„Corona-Krise“? Das Problem heißt Ökonomisierung!

veröffentlicht am: 24 Mrz, 2020

Die Ausbreitung des Virus CO-VID-19 führt uns in aller Deutlichkeit vor Augen, wie schnell die Gesundheitssysteme der reichsten Länder der Welt im Notfall an ihre Grenzen stoßen. Wie kann es sein, dass die Gesundheitssysteme der europäischen Staaten, auch Deutschlands, nicht auf die Bekämpfung der Folgen einer Pandemie vorbereitet sind?

Deutschland – Privatisierungsland
Kaum ein Land verkaufte öffentliche Krankenhäuser in dem Umfang an private Konzerne, wie es in Deutschland stattfand. Während der Marktanteil öffentlicher Krankenhäuser zwischen 2002 und 2013 von 37% auf 29,8% sank, wuchs der Anteil privater im selben Zeitraum von 23,7 auf 34,8%. Auch der Anteil gemeinnütziger Krankenhäuser in freier Trägerschaft sank von 39,5 auf 35,4%. Deutschland überholte so sogar die USA beim Marktanteil privater Krankenhäuser¹.

Dieser Prozess war politisch gewollt: Durch die Einführung der „Fallpauschalen“ (DRGs) zwischen 2003 und 2004 wurde der gesamte Klinikmarkt für private Klinikkonzerne erst profitabel. Fallpauschalen legen, kurz gesagt, für Leistungen eines Krankenhauses (z.B. eine bestimmte Operation) eine feste Vergütung für das Krankenhaus fest. Die Kliniken können bei den Krankenkassen nur das abrechnen, was durch Fallpauschalen abgedeckt ist. Wie viel Arbeit in einer Klinik real geleistet wurde, ist dafür uninteressant. Die Hauptprobleme dabei: Durch die Fallpauschalen stehen Klinken unter ständigem Druck, ihre Kosten zu senken. Wenn z.B. ein Patient länger als im DRG-System vorgesehen stationär aufgenommen werden muss, bedeutet das einen Verlust für das Krankenhaus. Gleichzeitig führen die Fallpauschalen dazu, dass oftmals unnötige, aber profitable Leistungen (z.B. Operationen des Hüftgelenks) viel zu häufig stattfinden, während notwendige, aber wenig profitable Behandlungen, wo immer möglich gekürzt werden. Besonders problematisch ist das in Krisensituationen. Ein Aufbau von Kapazitäten als Reserve rechnet sich nicht. Denn was nur in Notsituationen verwendet wird kann ansonsten nicht abgerechnet werden. Aus Sicht der Krankenhausbetreiber ist das ungenutztes Kapital.

Traumhafte Gewinne für Klink-Konzerne
Die großen deutschen Klinikkonzerne (Fresenius Helios, Asklepios, Sana) gehören heute zu den 10 größten der Welt. Schon das zeigt, wie viel Profit sich hierzulande mit der Gesundheit machen lässt. Allein Fresenius Helios machte 2018 einen Gewinn von 686 Millionen Euro. Wohlgemerkt: 686 Millionen Euro an Krankenkassenbeiträgen, die nicht in die Behandlung, sondern die Taschen der Anteilseigner des Konzerns flossen!

Um möglichst viel Profit zu garantieren, setzen die Klinikkonzerne v.a. auf drei Mittel: Rosinenpickerei, Arbeitsüberlastung und Lohndumping².
1. Rosinenpickerei: In privaten Klinken ist der Anteil bestimmter Routineoperationen überproportional hoch, während weniger lohnende Leistungen den öffentlichen Kliniken „überlassen“ werden.
2. Arbeitsüberlastung: Sowohl in öffentlichen als auch privaten Klinken ist das Verhältnis von Pflegekräften zu Patienten katastrophal: In öffentlichen Klinken beträgt es 1:56, in privaten 1:63.
3. Lohndumping: Die Gehälter in der Pflege sind in allen Krankenhäusern viel zu niedrig. In den privaten Kliniken, in denen oft nicht mal ein Tarifvertrag gilt, sind sie jedoch noch geringer, als in den öffentlichen. Im Schnitt verdienen Pflegekräfte in privaten Kliniken fast 5.000€ weniger im Jahr.

Zwar sind die Bedingungen in öffentlichen Krankenhäusern oft noch etwas besser, doch auch diese sind durch das Fallpauschalensystem letztlich denselben Mechanismen wie die privaten unterworfen und betreiben ihre Häuser daher unter andauerndem Profitdruck.

Ökonomisiertes Gesundheitssystem in Zeiten von Corona
Deutsche Krankenhäuser funktionieren also grundsätzlich nach dem Prinzip „gemacht wird, was Gewinn bringt und nicht, was notwendig ist“. Das System funktioniert gerade so, solange alles seinen gewohnten Gang geht. Wobei „funktionieren“ in diesem Fall meint, dass die absolute Mindestversorgung der Bevölkerung und die Profitinteressen der Klinikkonzerne auf Kosten überlasteter und unterbezahlter Pflegekräfte sichergestellt werden. Dabei entstehen bereits im Normalbetrieb erhebliche Risiken für Patienten und Pflegekräfte dadurch, dass z.B. grundlegende Hygienevorschriften (wie regelmäßiges Händewaschen und –desinfizieren) wegen des enormen Zeitdrucks nicht immer eingehalten werden können.

Wozu das in einer Krisensituation führt, erleben wir schon jetzt, obwohl wir laut Robert-Koch-Institut noch ganz „am Anfang der Corona-Epidemie“ stehen. Den Kliniken droht Überlastung, es stehen bei weitem nicht ausreichend Plätze in Intensivbetten zur Verfügung. All die Einschränkungen unserer Grundrechte, die wir in den letzten Tagen erlebt haben, finden vor der „flatten the curve“-Debatte statt. Dabei geht es darum, die Verbreitungsgeschwindigkeit des Virus zu verringern, um einen totalen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern. Wäre dieses an einer sinnvollen Bedarfsplanung, die auch Notfallsituationen berücksichtigt, statt an der Profitmaximierung ausgerichtet, wären die Auswirkungen der Pandemie nicht annähernd so fatal und viele Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens nicht in dem Maße notwendig. Auch die Verschärfung der Arbeitsbedingungen der in der Pflege beschäftigten Menschen (Aussetzung von Personaluntergrenzen, Urlaubssperren, Ausweitung der Arbeitszeit), die auf Dauer niemand durchhalten kann, wären bei einer von vornherein ausreichenden Belegschaft nicht notwendig.

Wenn Jens Spahn ankündigt, mehr als 7 Mrd. € in die Rettung von Krankenhäusern zu stecken und gleichzeitig gesetzliche Regelungen zur Mindestpersonalbemessung aussetzen will, bedeutet das: Viel Geld für die Aktionäre von Asklepios und Co. bei noch größerer Belastung des Personals. Dass dabei öffentliche Gelder in private Taschen fließen ist nur ein Teil des Skandals. So lange Kliniken wegen der DRGs profitorientiert arbeiten müssen, ist keine angemessene Versorgung möglich.
Die Corona-Krise zeigt einmal mehr: Vorübergehende „Rettungspakete“ und kleinere Verbesserungen für Pflegekräfte sind keine Lösung. Wir brauchen eine gesetzliche Mindestpersonalbemessung, die eine Überlastung von Pflegekräften verhindert und eine Bedarfsplanung statt Fehlversorgung durch Marktmechanismen! Mit unserer Gesundheit darf kein Profit erwirtschaftet werden! Kliniken müssen verstaatlicht und in demokratische Kontrolle überführt werden.

¹ Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“, 2019: Fakten und Argumente zum DRG-System und gegen die Kommerzialisierung der Krankenhäuser, 23.03.2020. www.krankenhaus-statt-fabrik.de
² Ebda.

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