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Die Justiz in Zeiten der Krise

veröffentlicht am: 26 Jun, 2020
Corona als Vorwand zum Abbau unserer Rechte

Das Justizsystem samt Gesetzen und Gesetzesauslegung ist Teil der kapitalistischen Gesellschaft und dient vorrangig der Verankerung und dem Schutz der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse. Manches haben wir uns hier erkämpfen können, und doch gibt es keine klassenunabhängige Justiz. Das ist nichts Neues und das hatte Marx seinerzeit schon im Vorwort „zur Kritik der politischen Ökonomie“ festgestellt. Da überrascht es nicht, dass Gesetze, wenn kein Widerstand kommt, oft schneller geändert werden können als die Kleidung, die man trägt. Besonders aktuell ist das in Krisenzeiten, wie wir grad eine erleben, namentlich die Corona-Pandemie. Unter dem Vorwand des Schutzes der Zivilbevölkerung wird grad an allen Ecken und Enden des „Rechtsstaats“ gewerkelt. Doch unserem Schutz dient das, was da beschlossen wurde in der Regel nicht!

Das Märchen vom unternehmerischen Risiko

Ein Beispiel ist hier das „Gesetz zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld“. Die Bundesregierung wird durch dieses Gesetzt ermächtigt, den für die Kurzarbeit normalerweise notwendigen Anteil der Arbeitnehmenden, die von Arbeitsausfällen betroffen wären, massiv herunterzusetzen. Kurz: Kurzarbeit wird durch die Maßnahme massiv erleichtert. In der Praxis bedeutet das: Das, was von den Herrschenden „Unternehmerrisiko“ genannt wird und für die Rechtfertigung diverser Schweinereien gegenüber den Werktätigen herangezogen wird, wird gerade auf die Werktätigen abgewälzt. So wird die Produktion gedrosselt, den Arbeitenden der Lohn massiv gekürzt und sie müssen ihn in letzter Konsequenz auch noch selbst bezahlen. Wir müssen also die Folgen davontragen, dass die Bosse ohne Rücksicht den Maximalprofit, also Rekordgewinne aus uns herausgepresst haben und jetzt auch noch durch das neue Kurzarbeits-Gesetz die Krise der Bourgeoisie für sie bezahlen! Diese Ermächtigung ist zwar erstmal bis Ende 2021 begrenzt, es wäre aber nicht das erste Mal, dass aus einer vorübergehenden Regelung ein dauerhaftes Gesetz wird.
Eine weitere Schweinerei ist eine Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 07.04.2020. Mit dieser Verordnung darf die maximale Arbeitszeit in pro Tag auf bis zu 12 Stunden angehoben werden. Gleichzeitig soll jetzt auch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden, wenn die Arbeiten nicht unter der Woche ausgeführt werden können. Gerechtfertigt wird dies als Maßnahme der Aufrechterhaltung der öffentlichen Versorgung, Sicherheit und Ordnung. Als Verordnung musste diese Maßnahme kein Parlament abnicken und sie gilt erstmal bis zum 31. Juli. Die Folge ist der gleiche Quatsch wie oben: Wir dürfen den Herrschenden ihre Krise bezahlen.

Wessen Freiheit?

Und auch an den Freiheitsgrundrechten wird massiv gewerkelt. Das ist nach geltendem Recht häufig nur zulässig, wenn es um den Schutz eines mindestens gleichwertigen Rechtsgutes (also beispielsweise das Leben) geht, die Beschränkung dafür geeignet, erforderlich und angemessen ist. Zwar ist es gerade aus Infektionsschutzgründen richtig, keine großen Versammlungen zuzulassen, jedoch haben die Herrschenden mit der harten Repression – selbst gegen die Zusammenkunft von wenigen Menschen, die im ausreichenden Abstand zueinander stehen, Mundschutz tragen und so kein wirklich erhöhtes Risiko der gegenseitigen Infektion darstellen – das Recht auf Versammlungsfreiheit aktuell nicht nur eingeschränkt, sondern de facto außer Kraft gesetzt. Das bemängelte selbst das Bundesverfassungsgericht und setzte gegen die Stadt Gießen die Erlaubnis von Demos gegen den Grundrechteabbau und für den Ausbau des Gesundheitssystems (freilich unter den entsprechenden Auflagen) durch. Noch dazu ist die Einschränkung der Beweguradngsfreiheit, wie sie in einigen Bundesländern praktiziert wird, noch deutlich fragwürdiger: Das Risiko jemanden anzustecken ist, wenn man in seiner Freizeit mit einer anderen Person oder allein außerhalb seinen Hauses ist, nachweislich deutlich niedriger als wenn man auf der Arbeit unter selten ausreichenden hygienischen Bedingungen mit dutzenden anderen Leuten auf engstem Raum eingepfercht ist. Und auch die geplanten Tracking-Apps sind nicht zu Unrecht stark umstritten. Zwar werden, das wird hoch und heilig versprochen, keine persönlichen Daten eingesammelt (Wobei die Glaubwürdigkeit des deutschen Staates wohl spätestens seit Staatstrojaner und Co. diesbezüglich sehr gelitten hat), aber nichtsdestotrotz handelt es sich hier um eine Überwachungsmaßnahme, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung massiv einschränken kann. Wir leben nun mal in einem Klassenstaat, der solche Maßnahmen, wenn es ihm nützt, ohne Rücksicht auf Verluste gegen uns verwenden wird.

Schließlich ist dann auch noch die Bundeswehr mit der Begründung der „Amtshilfe“ im Inneren im Einsatz. Die Möglichkeit des Inlandseinsatzes des Militärs wurde erstmals mit den Notstandsgesetzen von 1968 möglich und ist mittlerweile nicht nur im Falle von Naturkatastrophen und Ähnlichem erlaubt, sondern auch möglich, wenn die „Freiheitlich-Demokratische Grundordnung“ oder „für die Allgemeinheit wertvolles Material“ gefährdet sind. Zwar darf das Militär laut Bundesverfassungsgericht noch nicht gegen „demonstrierende Menschen“ eingesetzt werden, aber was gerade passiert ist offensichtlich: Es wird der Fall der Fälle geprobt. Man schaut mal, wie hoch die Akzeptanz in der Bevölkerung für Innlandeinsätze ist und will sie im Pulverdampf der Corona-Pandemie noch deutlich erhöhen. Es soll Normalität werden, dass die Bundeswehr im Inland auftritt. Sowas kann auch zu Verschiebungen in der Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr zwecks Terrorbekämpfung im Inland führen.

Wer profitiert?

Das Alles zeigt: Wenn es darum geht zu beurteilen, welche Maßnahmen zur Krisenbekämpfung auch in unserem Interesse sind, lohnt es sich zu fragen, wer wohl davon profitiert, wenn statt mehr Geld und Personal Kurzarbeit und längere Arbeitszeiten durchgeboxt werden, wenn die Handyüberwachung a.k.a. „freiwillige Datenspende“ mehr und mehr zur Norm werden soll und so weiter. Im Hintergrund der Corona-Pandemie sitzt nämlich eine Überproduktionskrise, die das Potenzial hat, wesentlich verheerender als die Krise von 2008 zu werden. Fast alle Maßnahmen im Arbeits- und Sozialrecht die gerade unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Virus durchgeboxt werden, dienen auf die ein oder andere Weise zur späteren Abwälzung der Krisenlasten auf die werktätige Bevölkerung. Epidemiologisch notwendige Einschränkungen, die ja aktuell unterstützenswert sind, werden in einem solchen Maße verschärft und auf gesundheitlich unbedenkliche Protestformen erweitert, dass deutlich wird: Hier soll Widerstand gegen die unsoziale Politik unmöglich gemacht werden. Wir müssen verhindern, dass diese Maßnahmen zur Norm werden und dass sie, sobald vernünftig, wieder zurückgenommen werden. Der bürgerliche Staat steht nicht über den Klassen, sondern ist eben der Staat der Bourgeois. Deshalb müssen wir Widerstand in allen aktuell möglichen und vertretbaren Formen organisieren, statt regungslos zu schlucken, was uns die Herrschenden servieren.

Max, Solingen

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