Operation Interessensvertretung

veröffentlicht am: 19 Apr, 2014

Wie man sich als Azubi gegen Ekel-Keller, Kopiergeld und Chefs wehren kann

Schlechte Arbeitsbedingungen, Ausbeutung, man wird behandelt wie der letzte Dreck. Das ist für viele Azubis in Deutschland Alltag. Doch auch als Azubi ist man nicht völlig wehrlos. Eine Reportage über Azubis, die sich nicht den Mund verbieten lassen.

Nadine (Name geändert) macht eine Ausbildung in einem großen Autohaus in Nürnberg. Während der Arbeitszeit wird sie ins Büro des Geschäftsleiters gerufen. „Sie müssen doch wegen so einer Kleinigkeit nicht immer gleich zur Jugend- und Auszubildendenvertretung rennen. Das gibt am Ende immer Ärger, auch für dich“, sagt ihr der Geschäftsleiter in deutlichem Tonfall. Aber Nadine gibt nicht klein bei: „Wenn sie uns hier solche Drecksarbeit machen lassen, dann müssen wir doch was tun.“ Der Geschäftleiter droht ihr daraufhin, sie im Auge zu behalten. „Schließlich macht jeder mal Fehler“, meint er zum Schluss.
Nadine war zu ihrer Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) gegangen, weil die kaufmännischen Auszubildenden des Autohauses den schimmligen Keller ausräumen mussten, in dem alte Akten gelagert wurden. Dann war der Keller voll Wasser gelaufen. „Das war so richtig widerlich“, erzählt Philipp, der Mitglied dieser JAV ist: „Die Ordner waren so komplett verschimmelt, dass man sie nicht mehr öffnen konnte. Und so sah der ganze Keller aus.“ Ohne jede Schutzkleidung hatte das Unternehmen die Azubis eine Woche lang den Keller leerräumen lassen. „Sowas gehört nicht nur nicht zu unserer Ausbildung, das war absolut gesundheitsschädlich!“ schimpft Philipp. Als Nadine sich bei der JAV beschwert, schaltet die sofort den Betriebsrat ein. „Gemeinsam haben wir dem Geschäftsleiter sehr deutlich gemacht, dass das absolut nicht geht.“ Am Ende musste der Geschäftleiter ein externes Unternehmen beauftragen den Keller auszuräumen. Die Azubis mussten jedenfalls nicht mehr in den „Ekel-Keller“.

Erfolge erringen

Es ist 6 Uhr morgens und noch dunkel. Flo steht auf einer Werft in Rendsburg in Schleswig-Holstein vor der Lehrwerkstatt und raucht eine. Flo macht im zweiten Jahr eine Ausbildung zum Industriemechaniker und ist Vorsitzender der JAV auf der Werft. In der Hand hat er eine Unterschriftenliste. „Die meisten Azubis haben schon unterschrieben, es fehlen nur noch ein paar“, meint Flo noch ziemlich müde. Bei den Unterschriften geht es um ca. 100€ für Lehrbücher. Die Auszubildenden wollen, dass der Betrieb die Kosten übernimmt. „Die Ausbildungsmittel hat der Unternehmer zu zahlen, nicht wir,“ erklärt Flo.
Eine ähnliche Auseinandersetzung gibt es dann auch in der Berufsschule. Dort müssen die Azubis Kopiergeld bezahlen und wieder schlägt Flo vor, Unterschriften dagegen zu sammeln. „Zuerst fanden die anderen Azubis meine Formulierung zu angreifend,“ sagt Flo und lacht. „Tja, dann haben wir uns hingesetzt und gemeinsam eine Formulierung gefunden, die alle gut fanden.“ Aber dann ging es erst so richtig los. Die Schulleitung ist der Meinung, dass die Azubis ruhig weiter das Kopiergeld bezahlen sollen und droht Flo, den Betrieb über die Aktion zu informieren und ihn als Störenfried hinzustellen. Das bedeutet dann in aller Regel eine Abmahnung. „Das wäre schon scheiße gewesen, wenn die das gemacht hätten“, meint Flo. „Nicht vor allem, aber auch deswegen, ist es wichtig, dass man in der Gewerkschaft ist, weil man dann einen guten Rechtsschutz hat. Daher konnten sie mir eigentlich nichts.“
Im Nachhinein stellt sich heraus, wie gut es war, den Text für die Unterschriftenliste gemeinsam zu formulieren. „Das war enorm wichtig, für das Bewusstsein der Azubis. Sie haben den Erfolg selbst errungen, nicht ich für sie. Am Ende muss klar sein: ‚Wir haben das gemeinsam gemacht‘ – und nicht: ‚Das hat Flo oder die JAV für uns gemacht‘. Meiner Meinung nach ist das eine der größten Gefahren bei der Interessensvertretungsarbeit: Man wird schnell zu Stellvertreter für seine Azubis.“ Das war hier anders: Die Auszubildenden sind selbst für ihre Interessen aktiv geworden. Die Strategie geht auf: Der Betrieb muss die Kosten für die Lehrbücher übernehmen. In der Berufsschule konnte der Kampf nicht gewonnen werden. Das Kopiergeld muss weiter von den Azubis gezahlt werden. „Wir haben beim Kopiergeld zwar verloren, aber auch aus Niederlagen kann man lernen. Man hätte die Unterstützung der ganzen Schule gebraucht, von allen Azubis und nicht nur die aus meiner Klasse. Wir müssen uns also besser organisieren“, meint Flo

Befristet oder unbefristet

Philipp kennt das Problem des Stellvertreterdenks auch. „Die JAV hat eben bestimmte Rechte und Möglichkeiten, die wir Azubis einzeln nicht haben und das begünstigt dieses Denken leider.“ Wie wichtig es ist, die Möglichkeiten der JAV und des Betriebsrats trotz dieses Problems zu nutzen, zeigt sich bei der Auseinandersetzung mit dem Geschäftsleiter des Autohauses. Philipp hatte von seinem Chef eine unbefristete Übernahme zugesichtert bekommen. Die steht ihm als JAV-Mitglied laut Gesetz zu. Trotzdem bekam er nur einen befristeten Vertrag zur Unterschrift vorgelegt. Philipp hat den Vertrag dann in Absprache mit dem Betriebsrat abgelehnt und bestand auf einen unbefristeten.
Der Betriebsrat hatte daraufhin ein Gespräch mit dem Geschäftsleiter, Philipp wird später dazu geholt. Der Geschäftleiter legt nochmal sein Angebot vor: Zunächst eine Befristung auf ein Jahr, erst dann die Entfristung und sonst die üblichen Konditionen. „Ich habe dann wieder freundlich gesagt, dass ich gern unbefristet übernommen werden will, wie es mir zusteht“, erzählt Philipp. „Daraufhin ist der Geschäftleiter dann richtig ausgetickt und hat rumgeschrien und mir gedroht. Meine Leistungen seien schlecht, das stünde auch in meiner Akte und ich hätte in diesem Betrieb ohnehin keine Zukunft. Der ist richtig laut geworden.“ Philipp und der Betriebsrat verlassen daraufhin den Raum und besprechen sich gemeinsam mit der IG-Metall. Die rät Philipp, ein formales Schreiben mit seiner Forderung einzureichen. Daraufhin herrscht zunächst Funkstille im Betrieb. Schließlich wird Philipp in eine andere Abteilung versetzt. „Wahrscheinlich wusste der Geschäftsleiter, dass es mir in der einen Abteilung eigentlich sehr gut gefallen hat. In der neuen Abteilung durfte ich dann nur noch so scheiß machen, Ölwechsel zum Beispiel. Das macht halt keiner gerne und dafür bin ich auch eigentlich nicht ausgebildet“, berichtet der JAVler. Erst im Februar wird Philipp dann erneut in das Büro des Geschäftsleiters geholt. Er bekommt einen neuen Vertrag vorgelegt, aber dieses Mal unbefristet. „Als ich das gesehen habe, war ich ganz schön erleichtert. Aber dann hat er mir wieder gedroht. Er hätte mich im Auge, der Laden würde schließlich ihm gehören und er könne seine Rechte auch nutzen.“

Siege und Niederlagen

„Mit der Rechtslage ist das so eine Sache.“ meint Flo. „Natürlich muss man seine Rechte nutzen und so, aber das Problem ist, dass die Rechtslage nicht immer im Sinne der Beschäftigten ist. Dem Unternehmer gehört der Betrieb, er sitzt am längeren Hebel und im Endeffekt gewähren uns die Gesetze häufig nur Schutz vor dem Schlimmsten.“ Auf der Werft in Rendsburg dürfen nur die gewerblichen Azubis ihr Berichtsheft während der Arbeitszeit führen. „Wir wollten erreichen, dass diese Regelung auch für die kaufmännischen Azubis gilt, was bisher nicht der Fall war“, erzählt Flo. Aber der Betriebsrat und Personalabteilung positionieren sich gegen die Azubis und berufen sich auf ein Urteil aus den 1980ern. Sie meinen, dass das Berichtsheft während der Berufsschulzeit geführt werden könne, weil ein Schultag nicht so lang wie ein Arbeitstag im Betrieb sei. Die freie Zeit solle dann für das Berichtsheft genutzt werden. Mit der gleichen Begründung verbietet dann die Unternehmensführung dann auch den gewerblichen Azubis das Berichtsheft während der Arbeitszeit zu führen. „Das war natürlich eine ziemliche Niederlage“, erzählt Flo. Prinzipiell hätte man versuchen können den Fall durchzuklagen, um ein Urteil im Sinne der Azubis zu erreichen. Flo entscheidet sich aber dagegen. „Zum Einen war nicht sicher, ob ich die Klage gewonnen hätte, aber zum Anderen macht man die Auseinandersetzung dann auch zu einem sehr individuellen Fall. Ein Rechtsstreit zwischen mir und dem Betrieb ist nicht besonders geeignet, um die Azubis für ihre Interessen in Bewegung zu bringen“, meint Flo. Besonders ärgerlich ist in diesem Fall die Rolle des Betriebsrats. Statt im Betrieb Druck zu machen, kungelt man lieber mit der Personalabteilung und der Betriebsleitung. Denn innerbetrieblich hätte man diese Auseinandersetzung durchaus gewinnen können. „Aber der Betriebsrat ist leider nicht besonders kämpferisch, sondern stark sozialpartnerschaftlich orientiert – ohne ihn geht es in dem Fall aber nicht.“
Und auch für die anderen Azubis war eine Klage keine Option. Viele haben Angst nur befristet oder gar nicht übernommen zu werden, auf der Abschussliste der Betriebsleitung zu stehen und letzten Endes ihren Job ganz zu verlieren.

Hass und Lob

Hier zeigt sich das generelle Problem mit befristeten Verträgen. Die Angst, dass der Vertrag nicht verlängert wird, schwächt den Mut und die Kampfkraft der Belegschaften. „Ich glaube, dass das der Grund war, warum mir der Geschäftsleiter nur einen befristeten Vertrag geben wollte“, meint Philipp. „Damit wir ihm nicht weiter ‚reinreden‘, wie er es nennt. Damit meint er sowas wie die Auseinandersetzung um den Ekel-Keller und Nadine, die den Mut hat, ihm zu widersprechen.“ „Diesen Mut muss man haben,“ meint auch Flo. „Die Unternehmer werden immer versuchen, mehr Profit aus uns herauszuholen. Verbesserungen für uns können wir immer nur gegen sie erreichen.“
„Aber trotz alledem: Was kann man sich für ein besseres Lob wünschen, als den Hass des Gegners. Das heißt doch, dass wir gute Arbeit geleistet haben“, lacht Philipp und sagt: „Gegen den werden wir noch so einiges auszufechten haben. Aber eins steht fest: Wir werden uns nicht den Mund verbieten lassen.“

Jann, Essen

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