GewerkschafterInnen im Kampf gegen Konzerneinfluss auf Schulen: ...

„Weder im Interesse der Schülerschaft noch der Lehrenden“

veröffentlicht am: 2 Okt, 2017

Martina ist Lehrerin in Hessen. Wir haben uns mit ihr über den Einfluss der Kapitalisten auf unsere Schulen unterhalten.

GewerkschafterInnen im Kampf gegen Konzerneinfluss auf Schulen: ...

GewerkschafterInnen im Kampf gegen Konzerneinfluss auf Schulen: Über mehrere Jahre hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine Broschüren-Reihe zur Privatisierung von Bildung erarbeitet. Die 16 Ausgaben des „Privatisierungsreports“ befassen sich mit dem Rückzug des Staates aus der Bildung und dem neuen Markt „Bildung“, welcher für Stiftungen und Konzerne geöffnet wird. Die Reports betrachten die Situation sowohl in der Schule, als auch in Kindertagesstätten oder im Berufsbildungs- und Hochschulwesen. Auch wird die Rolle von Auslandsschulen und Privatschulen kritisch hinterfragt. Hintergründe, wie die Rolle von Dienstleistungsunternehmen und die Auswirkungen des Konzerneinflusses auf die Qualität des Unterrichts werden analysiert. Außerdem untersucht wird die Legitimation privater Eingriffe durch die Auswirkungen der Finanzkrise und des neoliberalen Dogmas vom Freihandel sowie die Frage, wie viel Demokratie dabei noch im Bildungsbereich übrig bleibt.
In Hamburg hat die GEW dieses Jahr einen lokalen Privatisierungsreport vorgelegt. Sie berichtet unter anderem über Microsoft- und Apple-Kurse und Kooperationen für LehrerInnen und prangert die Ökonomisierung der Bildung an: „Entscheidend für eine gute Schule ist die angemessene und aufgabengerechte Versorgung mit Lehrkräften und nicht zuletzt mit Lehrmaterialien. Hierfür sind die Ministerien in die Verantwortung zu nehmen. Wir brauchen eine Schule der Demokratie und nicht eine Schule, die zum Spielfeld für private und wirtschaftliche Interessen gemacht wird.“ In Folge des Gewerkschaftstages im Sommer 2017 hat die Bildungsgewerkschaft beschlossen noch aktiver zu dem Thema zu arbeiten.
Unter dem Titel „Die GEW geht gegen die Ökonomisierung von Bildung und Erziehung vor“ heißt es im Beschluss: „Die GEW macht eine Bestandsaufnahme, inwieweit die Ökonomisierung an den Bildungseinrichtungen bereits gediehen ist und veröffentlicht dazu kritische Beiträge und Beispiele, die Erfolge bei den Auseinandersetzungen zeigen. Die GEW unterstützt und verbreitet pädagogische Ansätze, welche die Bedeutung der pädagogischen Beziehung in den Bildungseinrichtungen herausarbeiten. Die GEW führt einen verstärkten Kampf gegen die „Testeritis“. Die GEW lehnt public-private Partnership-Modelle der Bewirtschaftung von Bildungseinrichtungen auch als Eingriffe in die pädagogischen Freiheiten ab. Die GEW erarbeitet ein Schulkonzept, das die skizzierten Kritikpunkte aufnimmt und mit dem das Bewusstsein unter den Mitgliedern geschärft werden kann“.

POSITION: Seit deiner Kindheit wolltest du Lehrerin werden. Nun unterrichtest du an einer Gesamtschule in Gießen. Hast du das Gefühl, deinem Anspruch an diesen Beruf gerecht zu werden? Wo werden dir Grenzen gesetzt?
Martina: Nein, denn uns Lehrerinnen und Lehrern werden immer mehr Aufgaben auf’s Auge gedrückt. Dazu gehören die allgemeine Zunahme bürokratischer Aufgaben, Förderpläne schreiben ohne entsprechende Qualifikation und Kinder unterrichten, die eigentlich individuelle Unterstützung benötigen würden.
Die Lernziele werden jetzt in Kompetenzen umformuliert, die Stoffpläne müssen also neu geschrieben werden. Die Kinder und auch die Eltern haben zu Hause immer mehr Probleme, die sie mit in die Schule nehmen und die somit zu unserem Problem werden. Die Familien benötigen dringend finanzielle, zeitliche und personelle Unterstützung, die wir weder auffangen, noch leisten können.
Immer mehr Schulmaterial muss von den Familien selbst angeschafft werden. Dazu gehören Übungsbücher, Kopiergeld, Bücher uvm., was manche Familien schwer oder gar nicht leisten können. Die Kinder brauchen außerdem mehr Platz zum Entspannen und Zeit, um ganz in Ruhe zu lesen oder zu lernen.

Ist es dann nicht großartig, wenn Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) fordert, 5 Milliarden Euro für die Digitalisierung der Klassenzimmer bereit zu stellen?
Martina: Mit Microsoft, Fujitsu, Telekom, Ericsson und Intel sind es fünf global operierende IT-Unternehmen, die diesen Auftrag erhalten sollen. Daran merkt man sofort, wessen Interessen im Vordergrund stehen.
Kinder werden mit Smartphone und Tablet aber nicht automatisch mehr oder besser lernen. Am besten lernen Kinder, wenn alle Sinne angesprochen werden, sie die Natur fühlen, riechen, schmecken und sehen dürfen – in der Schulzeit!
Denn Lernen ist kein einfacher Prozess. Ich benötige eine Herausforderung, die mich persönlich anspricht. Ich brauche einen Vermittler, einen Menschen, der leidenschaftlich für etwas einsteht, was mit einem Computer nicht möglich ist. Ich meine die Leidenschaft zum Kämpfen, zum Lernen und zum Lieben.

Du bist aktives GEW-Mitglied, wie kämpft ihr gegen die bevorstehende Einflussnahme auf die Bildungseinrichtungen?
Martina: Die Einflussnahme ist schon in vollem Gange. Konzerne stellen Schulmaterial zur Verfügung, bieten Seminare und Weiterbildungen für Lehrerinnen und Lehrer, Projektwochen für Schülerinnen und Schüler an. So ist beispielsweise die Bertelsmann-Stiftung als Teil der RTL-Group auch Teil der Meinungsmache der Herrschenden. Denn wenn ich beeinflussen kann, was die Kinder lernen sollen, dann kann ich die politische Richtung bestimmen, in der es weiter gehen soll. Auch die Bundeswehr darf sich in den Schulen vorstellen und Werbung fürs Sterben machen. All das ist weder im Interesse der Schülerschaft noch der Lehrenden.
Daher fordert die GEW, dass eine „Monitoringstelle für Unterrichtsmaterial“ eingerichtet wird. Sie soll von LehrerInnen genutzt werden können, um auffällig einseitige Materialien zu melden und zu prüfen. Außerdem fordern wir, dass die Finanzierung der Materialien offen gelegt wird und auf den ersten Blick erkennbar ist, wessen Interessen darin vertreten werden. Wir wollen auch, dass alle bestehenden Kooperationen zwischen den Kultusministerien oder Schulen und Dritten kritisch geprüft werden und dass Werbung an Schulen umfassend verboten wird. Das Ganze geht natürlich nur, wenn die staatliche Finanzierung des Bildungssystems und die Ausbildung von zukünftigen LehrerInnen endlich verbessert wird.
Da dem Ganzen aber Grenzen gesetzt sind, kämpfe ich darüberhinaus für eine andere Gesellschaft, in der es wirklich um die Interessen und das Wohlergehen der Kinder und ihre Zukunft geht, und darum, ihnen zu ermöglichen die Welt zu verstehen und aktiv mitzugestalten.

Das Interview führte Tobi, Gießen

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