8 Stunden Woche Streik

Kampf um Arbeitszeitverkürzung seit jeher? Vom Beginn der aufgestellten Forderung bis heute

veröffentlicht am: 2 Jul, 2023

Das Thema „Arbeitszeit“ ist momentan wieder in aller Munde: In den Zeitungen diskutieren Journalisten, dass der heutigen Generation die Lust an der 40 Stunden- Woche verloren gegangen sei. Man wolle jetzt weniger arbeiten, mehr Zeit für die Familie, Hobbys und Freunde haben. Manche von ihnen finden das gut, andere schimpfen darüber, dass „die jungen Leute“ doch alle „faul“ geworden seien. Das habe etwas mit dem „Wertewandel“ und dem Verständnis von „gutem Leben“ der „Generation Z“ oder Ähnlichem zu tun. Das Bedürfnis nach einem kürzeren Arbeitstag ist allerdings alles andere als ein neues Phänomen. In Wahrheit gibt es den Kampf um die Länge des Arbeitstages schon solange es Ausgebeutete und Ausbeuter gibt. Darunter fallen ebenso Schilderungen von SklavInnen und Sklavenhaltern, Bauern und Adeligen; wir betrachten in diesem Artikel jedoch die Geschichte dieses Kampfes in dem System, in dem wir heute noch eben: Im Kapitalismus.

Schaffen bis zum „Geht nicht mehr.“

Zu Beginn des Kapitalismus waren der Länge des Arbeitstages die Grenzen in der physischen Belastbarkeit der ArbeiterInnen gesetzt. Das bedeutet, die ArbeiterInnen haben in der Regel so lange gearbeitet, wie es ihnen irgendwie „zuzumuten“ war. Und zuzumuten bedeutet hier Arbeitstage von mehr als 14 Stunden. Das ging so weit, dass beispielsweise der englische Staat die Arbeitszeit begrenzen musste, damit es ihm nicht an wehrfähigen Rekruten für die Armee fehlt. Viel entgegenzusetzen hatten die ArbeiterInnen dem selbst aber nicht. Wer sich geweigert oder zu viel beschwert hat, der wurde auf die Straße gesetzt. Erst als die ArbeiterInnen begonnen haben, sich zusammenzuschließen, konnten sie den Chefs die Stirn bieten. Eine der zentralen Forderungen der aufkommenden Arbeiterbewegung war die nach dem acht Stundentag. Acht Stunden schlafen, acht Stunden arbeiten und acht Stunden Freizeit – das war die Forderung, die die Arbeiterbewegung 1889 international aufstellte. Bis zu ihrer Durchsetzung bei uns in Deutschland brauchte es die Revolution von 1918. Als es den ArbeiterInnen und Soldaten gelang, das Kaiserreich zu stürzen, bekamen es die Kapitalisten mit der Angst zu tun. Mit dem Zugeständnis des Achtstundentags versuchten sie die ArbeiterInnen zu besänftigen. Achtstundentag heißt wohlgemerkt keine 40-Stunden-Woche. Samstags- und teils auch Sonntagsarbeit waren die Regel. Während des Faschismus stiegen in Folge der Vernichtung der Arbeiterbewegung sowie einer erhöhten Rüstungsproduktion die durchschnittliche Arbeitszeit auf ca. 50 Stunden die Woche.

Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die deutsche Arbeiterbewegung das Thema Arbeitszeit wieder ganz oben auf die Agenda. Der 1. Mai 1956 des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) stand unter dem Motto „Samstag gehört Vati mir!“, also der Forderung nach dem arbeitsfreien Samstag und damit der 40 Stunden Woche. Vorreiterrolle hatte dabei die IG Metall als größte deutsche Gewerkschaft mit einer starken Basis in den wichtigsten deutschen Konzernen. Stück für Stück setzte sie die Arbeitszeitreduzierung für die Tarifbeschäftigten auf formal 40 Stunden die Woche bis 1967 durch. Real aber, d.h. unter Berücksichtigung der Überstunden und Wochenendschichten, lag sie in vielen Fällen darüber. Zudem wurde durch die zunehmende Automatisierung der Produktion die Arbeit intensiver, stressiger, dichter. Außerdem ging diese Arbeitszeitverkürzung weder mit einem relevanten Personalausgleich einher (die Arbeitslosigkeit stieg Mitte der 70er Jahre auf Rekordhöhen), noch mit einer Reduktion der täglichen Arbeitszeit (sondern durch den Entfall der Samstagsarbeit). 1977 waren es dann erneut die ArbeiterInnen der IG Metall, die den Vorstoß wagten. Entgegen der Empfehlung des Gewerkschaftsvorstandes forderten sie die 35-Stunden Woche und den Siebenstundenarbeitstag zur Tarifforderung zu erklären. Und setzten sich durch. Ein Jahr später beschloss der Gewerkschaftstag des DGB das Gleiche, wieder gegen die Empfehlung vieler Gewerkschaftsvorstände und der Antragskommission.

 

Vor knapp 40 Jahren kam es dann zu einem der härtesten Streikkämpfe der Bundesrepublik. Sieben Wochen lang wurde in der Metall- und 13 Wochen in der Druckindustrie gestreikt. Einer der zentralen Forderungen war die 35h-Woche. Es streikten 58.000 MetallarbeiterInnen und 45.000 Beschäftigte der Druckerindustrie. Mehr als eine halbe Millionen Menschen wurden von den Chefs „ausgesperrt“ (d.h. sie durften nicht arbeiten, standen also ohne Lohn da). Die Regierung griff in den Arbeitskampf ein und setzte eine Schlichtung an. Deren Ergebnis war die Einführung der 38,5 – Stunden-Woche, wobei dieser Wert als zu erreichender Durchschnitt galt, deren konkrete Umsetzung auf Betriebsebene zu regeln war. Das Ergebnis war ein zweischneidiges Schwert: Einerseits gelang es den ArbeiterInnen der IG Metall bis 1995 Schritt für Schritt die 35h-Woche einzuführen. Andererseits öffnete das Ergebnis Tür und Tor für eine weitreichende „Verbetrieblichung“ der Arbeitszeitregeln. Sprich: Immer öfter wurde von Betrieb zu Betrieb entschieden, wie lange und wie genau gearbeitet werden sollte. Das erschwert den Gewerkschaften den Kampf um eine einheitliche Reduktion der Arbeitszeit. Sowieso gilt die 35h-Woche nur für die Druck-, Elektro-, Metall-, Stahl- und Holzindustrie. Alle anderen Branchen stehen für sich.

Anders lief das in der DDR ab: Hier wurde die Wochenarbeitszeit qua Gesetz schrittweise gesenkt – 1957 auf 45 Stunden, 1967 die Fünftagewoche und eine weitergehende Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Die Arbeitszeit sank weiter, da es in der DDR nicht um den größtmöglichen Profit, sondern um gute Lebensbindungen der Bevölkerung bei großer Produktivität ging.

Einen weiteren Rückschlag erlitt der Kampf um die Arbeitszeitverkürzung mit der Niederlage der IG Metall im Kampf um die 35h-Woche auch in den „neuen Bundesländern“, also Ostdeutschland. Sie brach den Streik 2003 trotz kämpferischer ostdeutscher ArbeiterInnen, auch auf Druck westdeutscher Betriebsratsvorsitzender, ab. Seit den 2000ern gab es zudem, auch im Zuge der Agenda 2010, eine massive Zunahme an Outsourcing (hin zu weniger gut organisierten Betrieben, teils ganz ohne Tarifverträge), Flexibilisierung und Zunahme von Überstunden. So ist auch die 35h-Woche für viele ArbeiterInnen und Angestellte der Metall- und Elektroindustrie nur eine Zahl auf dem Papier.

 

Was bedeutet der Kampf für uns?

In jüngster Zeit rückte der Kampf um die Arbeitszeit wieder in den Fokus der Gewerkschaften. Hierbei handelt es sich im Ergebnis aber oft nicht um eine fortschrittliche Arbeitszeitverkürzung. Die würde bedeuten, dass alle weniger arbeiten bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Stattdessen dominieren „Wahlmodelle“, bei denen man sich entweder für wen Arbeitszeit oder mehr Lohn entscheiden kann, zudem oftmals nur für einen kleinen Teil der Beschäftigten. Diese Modelle der Arbeitszeitverkürzung und die mit ihnen verbundenen Diskussionen müssen für uns aber Anlass sein, die Debatte um die „echte“ Arbeitszeitverkürzung wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Und um sie zu kämpfen.

 

Michael, Kassel

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