W.I. Lenin: „Karl Marx“ (1914)

veröffentlicht am: 5 Mai, 2011

Karl Marx (1875)

Heute vor 193 Jahren wurde Karl Marx geboren. Daher dokumentieren wir hier die 1914 von W.I. Lenin geschriebene Marx-Kurzbiografie, die auch einen Überblick über die Grundlagen des Marxismus enthält.

Karl Marx wurde am 5. Mai 1818 in Trier (Rheinpreußen) geboren. Sein Vater war Rechtsanwalt, ein Jude, der 1824 zum Protestantismus übertrat. Die Familie war wohlhabend, gebildet, jedoch nicht revolutionär. Nach Beendigung des Gymnasiums in Trier bezog Marx die Universität, erst in Bonn, dann in Berlin, und studierte Rechtswissenschaft, vor allem aber Geschichte und Philosophie. Er beendete 1841 die Universität mit einer Doktordissertation über die Philosophie Epikurs. Seinen Anschauungen nach war Marx zu dieser Zeit noch Hegelianer und Idealist. In Berlin gehörte er dem Kreis der linken Hegelianer (Bruno Bauer und andere) an, die aus der Hegelschen Philosophie atheistische und revolutionäre Schlußfolgerungen zu ziehen suchten.

Nach beendetem Universitätsstudium übersiedelte Marx auf eine Professur rechnend nach Bonn. Allein die reaktionäre Politik der Regierung, die Ludwig Feuerbach 1832 um den Lehrstuhl gebracht, 1836 erneut seine Zulassung zur Universität verweigert und 1841 dem jungen Professor Bruno Bauer in Bonn das Vorlesungsrecht entzogen hatte, zwang Marx zum Verzicht auf die Gelehrtenlaufbahn. Die Entwicklung der Ansichten der linken Hegelianer in Deutschland machte zu dieser Zeit sehr rasche Fortschritte. Ludwig Feuerbach insbesondere begann von 1836 an die Theologie zu kritisieren und sich dem Materialismus zuzuwenden, der schließlich 1841 sein Denken völlig beherrschte („Das Wesen des Christentums”); 1843 erschienen seine „Grundsätze der Philosophie der Zukunft”. „Man muss die befreiende Wirkung” dieser Bücher „selbst erlebt haben”, schrieb Engels später über diese Feuerbachschen Schriften. „Wir” (d.h. die linken Hegelianer, darunter auch Marx) „waren alle momentan Feuerbachianer.” Zu dieser Zeit wurde in Köln von radikalen Bürgern des Rheinlands, die Berührungspunkte mit den linken Hegelianern hatten, ein oppositionelles Blatt gegründet: die ,,Rheinische Zeitung“ (sie begann am 1. Januar 1842 zu erscheinen). Marx und Bruno Bauer wurden als Hauptmitarbeiter herangezogen; im Oktober 1842 wurde Marx Chefredakteur und übersiedelt von Bonn nach Köln. Die revolutionär demokratische Richtung der Zeitung wurde unter der Redaktion von Marx immer bestimmter; die Regierung unterwarf sie zunächst einer doppelten und dreifachen Zensur und beschloss schließlich die gänzliche Unterdrückung der Zeitung am 1. Januar 1843. Marx sah sich daraufhin zur Niederlegung seines Redakteurpostens genötigt, aber sein Abgang rettete die Zeitung auch nicht, und sie musste im März 1843 ihr Erscheinen einstellen. Unter den von Marx in der „Rheinischen Zeitung“ veröffentlichten größeren Artikeln hebt Engels außer den weiter unten angegebenen (siehe Literaturverzeichnis) auch den über die Lage der Winzer im Moseltal hervor. Die journalistische Tätigkeit hatte Marx gezeigt, dass er mit der politischen Ökonomie nicht genügend vertraut war, und er machte sich daher, eifrig an ihr Studium.

Im Jahre 1843 vermählte sich Marx in Kreuznach mit Jenny von Westphalen, seiner Jugendfreundin, mit der er schon als Student verlobt war. Seine Frau entstammte einer reaktionären preußischen Adelsfamilie. Ihr älterer Bruder war preußischer Innenminister in einer der reaktionärsten Epochen, 1850-1858. Im Herbst 1843 übersiedelte Marx nach Paris, um im Ausland, gemeinsam mit Arnold Ruge (1802-1880; linker Hegelianer, 1825-1830 im Gefängnis, nach 1848 Emigrant; nach 1866-1870 Bismarckianer), eine radikale Zeitschrift herauszugeben. Es erschien nur das erste Heft dieser Zeitschrift, der ,,Deutsch Französischen Jahrbücher“. Schwierigkeiten bei ihrer geheimen Verbreitung in Deutschland und Meinungsverschiedenheiten mit Ruge führten zu ihrer Einstellung. In seinen in dieser Zeitschrift veröffentlichten Aufsätzen tritt Marx bereits als Revolutionär auf, der die „rücksichtslose Kritik alles Bestehenden“ und im besonderen die „Kritik der Waffen“ verkündet, der an die Massen und an das Proletariat appelliert.

Marx und Engels in Paris (1844)

Im September 1844 kam für einige Tage Friedrich Engels nach Paris und wurde seit dieser Zeit der nächste Freund von Marx. Beide nahmen gemeinsam den lebhaftesten Anteil an dem damals sehr regen Leben der revolutionären Gruppen in Paris (von besonderer Bedeutung war die Lehre Proudhons, mit der Marx in seinem „Elend der Philosophie“, 1847, entschieden abrechnete). In scharfem Kampf gegen die verschiedenen Lehren des kleinbürgerlichen Sozialismus arbeiteten sie die Theorie und Taktik des revolutionären proletarischen Sozialismus oder Kommunismus (Marxismus) aus. Siehe die Marxschen Schriften aus dieser Epoche, 1844-1848, weiter unten im Literaturverzeichnis. Im Jahre 1845 wurde Marx auf Betreiben der preußischen Regierung als gefährlicher Revolutionär aus Paris ausgewiesen. Er verlegte seinen Wohnsitz nach Brüssel. Im Frühjahr 1847 schlossen sich Marx und Engels einer geheimen Propagandagesellschaft an, dem „Bund der Kommunisten“, nahmen hervorragenden Anteil am II. Kongress dieses Bundes (November 1847 in London) und verfassten in seinem Auftrag das berühmte, im Februar 1848 erschienene Manifest der Kommunistischen Partei. Mit genialer Klarheit und Ausdruckskraft ist in diesem Werk die neue Weltanschauung umrissen: der konsequente, auch das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens umfassende Materialismus, die Dialektik als die umfassendste und tiefste Lehre von der Entwicklung, die Theorie des Klassenkampfes und der welthistorischen revolutionären Rolle des Proletariats, des Schöpfers einer neuen, der kommunistischen Gesellschaft.

Als die Februarrevolution von 1848 ausbrach, wurde Marx aus Belgien ausgewiesen. Er kam wieder nach Paris, ging aber von hier nach der Märzrevolution nach Deutschland, und zwar nach Köln. Dort erschien vom 1. Juni 1848 bis zum 19. Mai 1849 die „Neue Rheinische Zeitung“; ihr Chefredakteur war Marx. Die neue Theorie wurde durch den Verlauf der revolutionären Ereignisse von 1848/1849 glänzend bestätigt, wie sie auch später durch alle proletarischen und demokratischen Bewegungen in allen Ländern der Welt bestätigt worden ist. Von der siegreichen Konterrevolution wurde Marx zunächst vor Gericht gestellt (am 9. Februar 1849 freigesprochen) und dann aus Deutschland ausgewiesen (16. Mai 1849). Marx begab sich zuerst nach Paris, wurde nach der Demonstration vom 13. Juni 1849 auch von dort ausgewiesen und zog nach London, wo er bis zu seinem Tode lebte.

Die Bedingungen des Emigrantenlebens, die durch den Briefwechsel von Marx und Engels (herausgegeben 1913) besonders anschaulich aufgedeckt werden, waren äußerst schwer. Die Not lastete geradezu erdrückend auf Marx und seiner Familie; ohne die ständige aufopfernde finanzielle Unterstützung Engels“ wäre Marx nicht nur außerstande gewesen, „Das Kapital“ zu beenden, er wäre auch unvermeidlich in Not und Elend zugrunde gegangen. Außerdem war Marx durch die vorherrschenden Lehren und Strömungen des kleinbürgerlichen und überhaupt des nichtproletarischen Sozialismus ständig zu schonungslosem Kampf, zuweilen zur Abwehr der gehässigsten und absurdesten persönlichen Angriffe genötigt („Herr Vogt“). Marx hielt sich abseits von den Emigrantenzirkel und arbeitete in einer Reihe von historischen Schriften (siehe Literaturverzeichnis) seine materialistische Theorie aus; mit besonderem Eifer widmete er sich dem Studium der politischen Ökonomie. Marx revolutionierte diese Wissenschaft (siehe, weiter unten die Marxsche Lehre) in seinen Werken „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ (1859) und ,,Das Kapital“ (Bd. I, 1867).

Die Epoche des Neuauflebens der demokratischen Bewegungen Ende der fünfziger und in den sechziger Jahren rief Marx erneut zu praktischer Tätigkeit. 1864 (am 28. September) wurde in London die berühmte 1. Internationale gegründet, die „Internationale Arbeiterassoziation“. Marx war die Seele dieser Organisation, Verfasser ihrer ersten „Adresse“ und einer langen Reihe von Resolutionen, Erklärungen und Manifesten. Indem Marx die Arbeiterbewegung der verschiedenen Länder zusammenfasste und verschiedene Formen des nichtproletatischen, vormarxistischen Sozialismus (Mazzini, Proudhon, Bakunin, der englische liberale Trade Unionismus, die lassalleanischen Rechtsschwankungen in Deutschland u. dgl. m.) in die Bahnen gemeinsamen Handelns zu lenken suchte, wobei, er die Theorien aller dieser Sekten und Schulen bekämpfte, schmiedete er eine einheitliche Taktik des proletarischen Kampfes der Arbeitermasse der verschiedenen Länder. Nach dem Fall der Pariser Kommune (1871), die Marx (im „Bürgerkrieg in Frankreich“ 1871) so tief, treffend, glänzend, wirksam und in revolutionärem Geiste gewürdigt hat, und nach der Spaltung der Internationale durch die Bakunisten war ihr Fortbestehen in Europa unmöglich geworden. Nach dem Haager Kongress der Internationale (1872) setzte Marx die Verlegung des Generalrats der Internationale nach New York durch. Die I. Internationale hatte ihre historische Rolle erfüllt; sie räumte das Feld für eine Epoche unvergleichlich größeren Wachstums der Arbeiterbewegung in allen Ländern der Welt: die Epoche ihrer Entwicklung in die Breite, der Schaffung sozialistischer Massenparteien der Arbeiter auf dem Boden einzelner Nationalstaaten.

Titelseite des „Kapitals“

Die angestrengte Tätigkeit in der Internationale und die noch angestrengteren theoretischen Studien untergruben endgültig Marx’ Gesundheit. Er setzte seine Neubearbeitung der politischen Ökonomie und die Fertigstellung des „Kapitals“ fort, sammelte zu diesem Zweck eine Menge neuer Materialien und studierte mehrere Sprachen (zum Beispiel die russische); doch Krankheit hinderte ihn, „Das Kapital“ zu vollenden.

Am 2. Dezember 1881 starb seine Frau. Am 14. März 1883 entschlief Marx still in seinem Lehnstuhl. Er ist neben seiner Frau auf dem Highgate Friedhof in London beigesetzt. Von Marx“ Kindern starben einige in zartem Alter in London, als die Familie große Not litt. Die drei Töchter verheirateten sich mit englischen und französischen Sozialisten: Eleanor Aveling, Laura Lafargue und Jenny Longuet. Der Sohn der letzteren ist Mitglied der französischen Sozialistischen Partei.

DIE MARXSCHE LEHRE

Der Marxismus ist das System der Anschauungen und der Lehre von Marx. Marx war der Fortführer und geniale Vollender der drei geistigen Hauptströmungen des 19. Jahrhunderts in den drei fortgeschrittensten Ländern der Menschheit: der klassischen deutschen Philosophie, der klassischen englischen politischen Ökonomie und des französischen Sozialismus in Verbindung mit den französischen revolutionären Lehren überhaupt. Die selbst von Marx“ Gegnern anerkannte bewundernswerte Folgerichtigkeit und Geschlossenheit seiner Anschauungen, die in ihrer Gesamtheit den modernen Materialismus und den modernen wissenschaftlichen Sozialismus als Theorie und Programm der Arbeiterbewegung in allen zivilisierten Ländern der Welt ergeben, veranlassen uns, der Darlegung des Hauptinhalts des Marxismus, der ökonomischen Lehre von Marx, einen kurzen Abriss seiner Weltanschauung überhaupt vorauszuschicken.

Der philosophische Materialismus

Von 1844/1845 an, den Jahren, in denen sich Marx“ Anschauungen geformt hatten, war er Materialist, und zwar im besonderen Anhänger L. Feuerbachs, dessen schwache Seiten er auch später ausschließlich darin erblickte, dass sein Materialismus nicht genügend folgerichtig und allseitig war. Marx sah die weltgeschichtliche, „epochemachende“ Bedeutung Feuerbachs gerade in dem entschiedenen Bruch mit dem Hegelschen Idealismus und in der Verkündung des Materialismus, der schon im 18. Jahrhundert, namentlich in Frankreich, „nicht nur ein Kampf gegen die bestehenden politischen Institutionen, wie gegen die bestehende Religion und Theologie war, sondern ebenso sehr gegen alle Metaphysik“ (im Sinne der „trunkenen Spekulation“ zum Unterschied von der „nüchternen Philosophie“) („Die heilige Familie“ im „Literarischen Nachlass“). „Für Hegel“, schrieb Marx, „ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg“ (Schöpfer, Erzeuger) „des Wirklichen. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“ („Das Kapital“, I, Nachwort zur 2. Auflage.) In völliger Übereinstimmung mit dieser materialistischen Philosophie von Marx schrieb Fr. Engels, ah er sie im „Anti Dühring“ darlegte (siehe daselbst) – Marx hatte sich mit diesem Werk im Manuskript bekannt gemacht – : „Die Einheit der Welt besteht nicht in ihrem Sein… Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen… durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft… Die Bewegung ist die Daseinsweise der Materie. Nie und nirgends hat es Materie ohne Bewegung gegeben, oder kann es sie geben… Materie ohne Bewegung ist ebenso undenkbar wie Bewegung ohne Materie …. Fragt man… was denn Denken und Bewußtsein sind und woher sie stammen, so findet man, dass es Produkte des menschlichen Hirns und dass der Mensch selbst ein Naturprodukt, das sich in und mit seiner Umgebung entwickelt hat; wobei es sich dann von selbst versteht dass die Erzeugnisse des menschlichen Hirns, die in letzter Instanz ja auch Naturprodukte sind, dem übrigen Naturzusammenhang nicht widersprechen, sondern entsprechen.“ „Hegel war Idealist, d.h., ihm galten die Gedanken seines Kopfs nicht als die mehr oder weniger abstrakten Abbilder“ (zuweilen spricht Engels von „Abklatsch“) „der wirklichen Dinge und Vorgänge, sondern umgekehrt galten ihm die Dinge und ihre Entwicklung nur als die verwirklichten Abbilder der irgendwo schon vor der Welt existierenden „Idee“.“ „ In seiner Schrift Ludwig Feuerbach, in der Fr. Engels seine und Marx“ Ansichten über die Philosophie Feuerbachs darlegt und die Engels erst nach erneuter Durchsicht ihres gemeinsamen alten Manuskripts aus den Jahren 1844/1845 über Hegel, Feuerbach und die materialistische Geschichtsauffassung in Druck gab, schreibt Engels: „Die große Grundfrage aller, speziell neueren Philosophie ist die nach dem Verhältnis von Denken und Sein… des Geistes zur Natur…Was ist das Ursprüngliche, der Geist oder die Natur?… Je nachdem diese Frage so oder so beantwortet wurde, spalteten sich die Philosophen in zwei große Lager. Diejenigen, die die Ursprünglichkeit des Geistes gegenüber der Natur behaupteten, also in letzter Instanz eine Weltschöpfung irgendeiner Art annahmen…, bildeten das Lager des Idealismus. Die andern, die die Natur als das Ursprüngliche ansahen, gehören zu den verschiednen Schulen des Materialismus.“ Jeder andere Gebrauch der Begriffe Idealismus und Materialismus (im philosophischen Sinne) stiftet nur Verwirrung. Marx warf entschieden nicht nur den in dieser oder jener Weise stets mit der Religion verbundenen Idealismus, sondern auch den in unseren Tagen besonders verbreiteten Standpunkt von Hume und Kant, den Agnostizismus, Kritizismus, Positivismus in verschiedenen Lesarten; eine Philosophie dieser Art galt ihm als „reaktionäre“ Konzession an den Idealismus und im besten Falle als „verschämte Weise, den Materialismus hinterrücks zu akzeptieren und vor der Welt zu verleugnen.“… Siehe zu dieser Frage außer den schon genannten Schriften von Engels und Marx den an Engels gerichteten Marxschen Brief vom 12. Dezember 1866, in dem Marx feststellt, daß der bekannte Naturforscher Th. Huxley „materialistischer“ als sonst bei ihm üblich aufgetreten sei und zugegeben habe: „Solange wir wirklich beobachten und denken, können wir nie aus dem Materialismus hinaus“; zugleich wirft Marx ihm vor, er habe sich eine „Hintertür“ zum Agnostizismus, Humeismus geöffnet. Besonders hervorgehoben werden muss Marx“ Auffassung über das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit: „Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird… Die Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“ (Engels im „Anti-Dühring“) = Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur und der dialektischen Verwandlung der Notwendigkeit in die Freiheit (zugleich mit der Verwandlung des unerkannten, aber erkennbaren „Dings an sich“ in ein „Ding für uns“, des „Wesens der Dinge“ in „Erscheinungen“). Den Hauptmangel des „alten“ Materialismus, darunter des Feuerbachschen (und erst recht des ,,vulgären“ Materialismus der Büchner, Vogt und Moleschott), sahen Marx und Engels darin: 1. dass dieser Materialismus ein „vorwiegend mechanischer“ war, der die neueste Entwicklung der Chemie und Biologie (in unseren Tagen wäre noch hinzuzufügen: der elektrischen Theorie der Materie) nicht berücksichtigte; 2. dass der alte Materialismus unhistorisch, undialektisch war (metaphysisch im Sinne von Antidialektik) und den Standpunkt der Entwicklung nicht konsequent und allseitig zur Geltung brachte; 3. dass man „das menschliche Wesen“ als Abstraktum und nicht als „das Ensemble der“ (konkret historisch bestimmten) „gesellschaftlichen Verhältnisse“ auffasste und deshalb die Welt nur ,,interpretierte“, während es darauf ankommt, sie „zu verändern“, d.h. dass man die Bedeutung der „revolutionären, der praktischen Tätigkeit“ nicht begriff.

Die Dialektik

In der Hegelschen Dialektik als der umfassendsten, inhaltsreichsten und tiefsten Entwicklungslehre sahen Marx und Engels die größte Errungenschaft der klassischen deutschen Philosophie. Jede andere Formulierung des Prinzips der Entwicklung, der Evolution, hielten sie für einseitig und inhaltsarm, für eine Entstellung und Verzerrung des wirklichen Verlaufs der (sich nicht selten in Sprüngen, Katastrophen, Revolutionen vollziehenden) Entwicklung in Natur und Gesellschaft. „Marx und ich waren wohl ziemlich die einzigen, die… die bewusste Dialektik in die materialistische Auffassung der Natur… hinübergerettet hatten“ (aus der Zerschlagung des Idealismus, einschließlich, des Hegelianertums). „Die Natur ist die Probe auf die Dialektik, und wir müssen es der modernen Naturwissenschaft nachsagen, dass sie für diese Probe ein äußerst reichliches“ (geschrieben vor der Entdeckung des Radiums, der Elektronen, der Verwandlung der Elemente u. dgl. m.) „sich täglich häufendes Material, geliefert und damit bewiesen hat, dass es in der Natur, in letzter Instanz, dialektisch und nicht metaphysisch hergeht.

„Der große Grundgedanke“, schreibt Engels, „dass die Welt nicht als ein Komplex von fertigen Dingen zu fassen ist, sondern als ein Komplex von Prozessen, worin die scheinbar stabilen Dinge, nicht minder wie ihre Gedankenabbilder in unserm Kopf, die Begriffe, eine ununterbrochene Veränderung des Werdens und Vergehens durchmachen… dieser große Grundgedanke ist, namentlich seit Hegel, so sehr in das gewöhnliche Bewusstsein übergegangen, dass er in dieser Allgemeinheit wohl kaum noch Widerspruch findet. Aber ihn in der.. Phrase anerkennen und ihn in der Wirklichkeit im einzelnen auf jedem zur: Untersuchung kommenden Gebiet durchführen, ist zweierlei.“ „Vor ihr“ (der dialektischen Philosophie) „besteht nichts Endgültiges, Absolutes, Heiliges; sie weist von, allem und an allem die Vergänglichkeit auf, und nichts besteht vor ihr als der ununterbrochene Prozess des Werdens und Vergehens, des Aufsteigens ohne Ende vom Niedern zum Höheren, dessen bloße Widerspiegelung im denkenden Hirn sie selbst ist.“ Demnach ist die Dialektik nach Marx die Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzen der Bewegung, sowohl der äußern Welt wie des menschlichen Denkens.

Diese, die revolutionäre Seite der Hegelschen Philosophie wurde von Marx übernommen und weiterentwickelt. Der dialektische Materialismus „braucht keine über den andern Wissenschaften stehende Philosophie mehr“. Was von der bisherigen Philosophie noch bestehen bleibt, ist „die Lehre vom Denken und seinen Gesetzen – die formelle Logik und die Dialektik.“ Die Dialektik in der Marxschen ebenso wie in der Hegelschen Auffassung schließt aber in sich das ein, was man heute Erkenntnistheorie, Gnoseologie nennt, die ihren Gegenstand gleichfalls historisch betrachten muss, indem sie die Entstehung und Entwicklung der Erkenntnis, den Übergang von der Unkenntnis zur Erkenntnis erforscht und verallgemeinert.

In unserer Zeit ist die Idee der Entwicklung, der Evolution, nahezu restlos in das gesellschaftliche Bewusstsein eingegangen, jedoch auf anderen Wegen, nicht über die Philosophie Hegels. Allein in der Formulierung, die ihr Marx und Engels, ausgehend von Hegel, gegeben haben, ist diese Idee viel umfassender, viel inhaltsreicher als die landläufige Evolutionsidee. Eine Entwicklung, die die bereits durchlaufenen Stadien gleichsam noch einmal durchmacht, aber anders, auf höherer, Stufe („Negation der Negation“), eine Entwicklung, die nicht geradlinig, sondern sozusagen in der Spirale vor sich geht; eine sprunghafte, mit Katastrophen verbundene, revolutionäre Entwicklung; „Abbrechen der Allmählichkeit“; Umschlagen der Quantität in Qualität; innere Entwicklungsantriebe, ausgelöst durch den Widerspruch, durch den Zusammenprall der verschiedenen Kräfte und Tendenzen, die auf einen gegebenen Körper einwirken oder in den Grenzen einer gegebenen Erscheinung oder innerhalb einer gegebenen Gesellschaft wirksam sind; gegenseitige Abhängigkeit und engster, unzertrennlicher Zusammenhang aller Seiten jeder Erscheinung (wobei die Geschichte immer neue Seiten erschließt), ein Zusammenhang, der einen einheitlichen, gesetzmäßigen Weltprozess der Bewegung ergibt – das sind einige Züge der Dialektik als der (im Vergleich zur üblichen) inhaltsreicheren Entwicklungslehre. (Vgl. Marx’ Brief an Engels vom 8. Januar 1868 mit dem Spott über Steins „hölzerne Trichotomien“, die mit der materialistischen Dialektik zu verwechseln Unsinn wäre.)

Die materialistische Geschichtsauffassung

Die Erkenntnis der Inkonsequenz, Unzulänglichkeit und Einseitigkeit des alten Materialismus brachte Marx zu der Überzeugung von der Notwendigkeit, „die Wissenschaft von der Gesellschaft… mit der materialistischen Grundlage in Einklang zu bringen und auf ihr zu rekonstruieren““. Erklärt der Materialismus überhaupt das Bewusstsein aus dem Sein, und nicht umgekehrt, so forderte der Materialismus in seiner Anwendung auf das gesellschaftliche Leben der Menschheit die Erklärung des gesellschaftlichen Bewusstseins aus dem gesellschaftlichen Sein. „Die Technologie“, sagt Marx („Das Kapital“, I), „enthüllt das aktive Verhalten des Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produktionsprozess seines Lebens, damit auch seiner gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen.“ Eine abgeschlossene Formulierung der Grundsätze des Materialismus, ausgedehnt auf die menschliche Gesellschaft und ihre Geschichte, gab Marx im Vorwort zu seinem Werk „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ in folgenden Worten:

„In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft; die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern, umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen. Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt darin eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muss man stets unterscheiden zwischen der materiellen naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewusst werden und ihn ausfechten. So wenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann, man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewusstsein beurteilen, sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären… In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden.“ (Vgl. Marx“ kurze Formulierung in seinem Brief an Engels vom 7. Juli 1866: „Unsre Theorie von der Bestimmung der Arbeitsorganisation durch das Produktionsmittel.“)

Die Entdeckung der materialistischen Geschichtsauffassung oder richtiger: die konsequente Fortführung, der Ausdehnung des Materialismus auf das Gebiet der gesellschaftlichen Erscheinungen hat zwei Hauptmängel der früheren Geschichtstheorien beseitigt. Diese hatten erstens im besten Falle nur die ideellen Motive des geschichtlichen Handelns der Menschen zum Gegenstand der Betrachtung gemacht, ohne nachzuforschen, wodurch diese Motive hervorgerufen werden, ohne die objektive Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung des Systems der gesellschaftlichen Verhältnisse zu erfassen, ohne die Wurzeln dieser Verhältnisse im Entwicklungsgrad der materiellen Produktion zu erblicken; zweitens hatten die früheren Theorien gerade die Handlungen der Massen der Bevölkerung außer acht gelassen, während der historische Materialismus zum ersten Mal die Möglichkeit gab, mit naturgeschichtlicher Exaktheit die gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Massen sowie die Veränderungen dieser Bedingungen zu erforschen. Die „Soziologie“ und die Geschichtsschreibung vor Marx hatten im besten Falle eine Anhäufung von fragmentarisch gesammelten unverarbeiteten Tatsachen und die Schilderung einzelner Seiten des historischen Prozesses geliefert. Der Marxismus wies den Weg zur allumfassenden, allseitigen Erforschung des Prozesses der Entstehung, der Entwicklung und des Verfalls der ökonomischen Gesellschaftsformationen, indem er die Gesamtheit aller widerstreitenden Tendenzen untersuchte, diese auf die exakt bestimmbaren Lebens und Produktionsverhältnisse der verschiedenen Klassen der Gesellschaft zurückführte, den Subjektivismus und die Willkür bei der Auswahl bzw. Auslegung der einzelnen „herrschenden“ Ideen ausschaltete und die Wurzeln ausnahmslos aller Ideen und aller verschiedenen Tendenzen im gegebenen Stand der materiellen Produktivkräfte aufdeckte. Die Menschen machen ihre Geschichte selbst; aber wodurch die Motive der Menschen und namentlich der Massen der Menschen bestimmt, wodurch die Zusammenstöße der widerstreitenden Ideen und Bestrebungen verursacht werden, was die Gesamtheit aller dieser Zusammenstöße der ganzen Masse der menschlichen Gesellschaften darstellt, was die objektiven Produktionsbedingungen des materiellen Lebens sind, die die Basis für alles geschichtliche Handeln der Menschen schaffen, welcherart das Entwicklungsgesetz dieser Bedingungen ist auf all dies lenkte Marx die Aufmerksamkeit und wies so den Weg zur wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte als einen einheitlichen, in all seiner gewaltigen Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit gesetzmäßigen Prozesses.

Der Klassenkampf

Dass die Bestrebungen der einen Mitglieder einer gegebenen Gesellschaft den Bestrebungen der anderen zuwiderlaufen, dass das gesellschaftliche Leben voller Widersprüche ist, dass uns die Geschichte den Kampf zwischen Völkern und Gesellschaften wie auch den Kampf innerhalb derselben zeigt und außerdem noch den Wechsel der Perioden von Revolution und Reaktion, Frieden und Kriegen, Stagnation und schnellem Fortschritt oder Verfall – das sind allgemein bekannte Tatsachen. Der Marxismus gab uns den Leitfaden, der in diesem scheinbaren Labyrinth und Chaos eine Gesetzmäßigkeit zu entdecken erlaubt: die Theorie des Klassenkampfes. Nur die Untersuchung der Gesamtheit der Bestrebungen aller Mitglieder einer gegebenen Gesellschaft oder einer Gruppe von Gesellschaften ermöglicht es, das Resultat dieser Bestrebungen wissenschaftlich zu bestimmen. Der Ursprung der gegensätzlichen Bestrebungen liegt aber in der Verschiedenheit der Lage und der Lebensbedingungen der Klassen, in die jede Gesellschaft zerfällt. „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft“, schreibt Marx im „Kommunistischen Manifest“ (mit Ausnahme der Geschichte der ursprünglichen Gemeinwesen, fügt Engels nachträglich hinzu), „ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigner, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen… Die aus dem Untergange der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt. Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.“ Seit der Großen Französischen Revolution hat die Geschichte Europas mit besonderer Anschaulichkeit in einer Reihe von Ländern diesen wirklichen Hintergrund der. Ereignisse, den Kampf der Klassen, enthüllt. Und schon die Restaurationsepoche in Frankreich brachte eine Reihe von Historikern (Merry, Guizot, Mignet, Thiers) hervor, die bei der Verallgemeinerung der Geschehnisse nicht umhinkonnten, den Kampf der Klassen als den Schlüssel zum Verständnis der ganzen französischen Geschichte anzuerkennen. Die jüngste Epoche aber, die Epoche des rollen Sieges der Bourgeoisie, der Vertretungskörperschaften, des weitgehenden (wenn nicht allgemeinen) Wahlrechts, der billigen, in die Massen dringenden Tagespresse usw., die Epoche der mächtigen, sich immer mehr ausbreitenden Arbeiterverbände und Unternehmerverbände usw., zeigte noch anschaulicher (wenn auch mitunter in sehr einseitiger, „friedlicher“, „konstitutioneller“ Form) den Kampf der Klassen als die Triebfeder der Ereignisse. Die folgende Stelle aus dem Marxschen „Kommunistischen Manifest“ wird uns zeigen, welche Forderungen nach einer objektiven Analyse der Stellung jeder Klasse in der modernen Gesellschaft, im Zusammenhang mit der Analyse der Entwicklungsbedingungen jeder Klasse, Marx an die Gesellschaftswissenschaft stellte: Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse. Die übrigen Klassen verkommen und gehen unter mit der großen Industrie, das Proletariat ist ihr eigenstes Produkt. Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als Mittelstände vor dem Untergang zu sichern. Sie sind also nicht revolutionär, sondern konservativ. Noch mehr, sie sind reaktionär, denn sie suchen das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Sind sie revolutionär, so sind sie es im Hinblick auf den ihnen bevorstehenden Übergang ins Proletariat, so verteidigen, sie nicht ihre gegenwärtigen, sondern ihre zukünftigen Interessen, so verlassen sie ihren eigenen Standpunkt, um sich auf den des Proletariats zu stellen.“ In einer Reihe von historischen Schriften (siehe Literaturverzeichnis) gab uns Marx glänzende und tiefschürfende Musterbeispiele der materialistischen Geschichtsschreibung, der Analyse der Stellung jeder einzelnen Klasse, manchmal auch verschiedener Gruppen oder Schichten innerhalb der Klasse, und wies augenfällig nach, wie und warum „jeder Klassenkampf ein politischer Kampf“ ist. Der von uns angeführte Auszug zeigt, welch kompliziertes Netz von gesellschaftlichen Verhältnissen und Übergangsstufen von einer Klasse zur anderen, von der Vergangenheit zur Zukunft Marx analysiert, um die Resultante der ganzen historischen Entwicklung zu ermitteln.

Die tiefgründigste, umfassendste und detaillierteste Bestätigung und Anwendung der Theorie von Marx ist seine ökonomische Lehre.

Die ökonomische Lehre von Marx

„Es ist der letzte Endzweck dieses Werks“, sagt Marx im Vorwort zum „Kapital“, „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen“, d.h. der kapitalistischen, der bürgerlichen Gesellschaft. Die Erforschung der Produktionsverhältnisse der gegebenen, historisch bestimmten Gesellschaft in ihrer Entstehung, ihrer Entwicklung und ihrem Verfall – das ist der Inhalt der ökonomischen Lehre von Marx. In der kapitalistischen Gesellschaft herrscht die Produktion von Ware; und die Marxsche Analyse beginnt daher mit der Analyse der Ware.

Der Wert

Eine Ware ist erstens ein Ding, das irgendein menschliches Bedürfnis befriedigt; sie ist zweitens ein Ding, das gegen ein anderes austauschbar ist. Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert. Der Tauschwert (oder einfach Wert) ist vor allem ein Verhältnis, die Proportion, worin sich eine bestimmte Anzahl von Gebrauchswerten einer Art gegen eine bestimmte Anzahl von Gebrauchswerten anderer Art austauscht. Die tägliche Erfahrung zeigt uns, dass Millionen und Milliarden solcher Tauschakte alle, selbst die verschiedensten und miteinander nicht vergleichbaren Gebrauchswerte fortwährend einander gleichsetzen. Was haben nun diese verschiedenartigen Dinge miteinander gemein, die in einem bestimmten System gesellschaftlicher Verhältnisse fortwährend einander gleichgesetzt. werden? Was sie miteinander gemein haben ist, dass sie Arbeitsprodukte sind. Indem die Menschen Produkte austauschen, setzen sie die verschiedensten Arten von Arbeit einander gleich; Die Warenproduktion ist ein System von gesellschaftlichen Verhältnissen, bei dem die einzelnen Produzenten verschiedenartige Produkte erzeugen (gesellschaftliche Arbeitsteilung) und alle diese Produkte beim Austausch einander gleichgesetzt werden. Das Gemeinsame, das in allen Waren enthalten ist, ist also nicht die konkrete Arbeit eines, bestimmten Produktionszweiges, nicht Arbeit einer bestimmten Art, sondern abstrakte menschliche Arbeit, menschliche Arbeit schlechthin. Die gesamte Arbeitskraft einer gegebenen Gesellschaft, die sich in der Summe der Werte alter Waren darstellt, gilt als ein und dieselbe menschliche Arbeitskraft: Milliarden von Tauschakten beweisen das. Folglich stellt jede einzelne Ware nur einen bestimmten Teil der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit dar. Die Wertgröße wird bestimmt durch das Quantum der gesellschaftlich notwendigen Arbeit oder die zur Herstellung einer gegebenen Ware, eines gegebenen Gebrauchswerts gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. „Indem sie“ (die Menschen) „ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es.“ Der Wert ist ein Verhältnis zwischen Personen, wie ein alter Ökonom gesagt bat; er hätte bloß hinzusetzen müssen: ein unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältnis. Nur vom Standpunkt des Systems der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation, und zwar von Verhältnissen, die in der milliardenmal sich wiederholenden Massenerscheinung des Austausches zum Vorschein kommen, kann man begreifen, was der Wert ist. „Als Werte sind alle Waren nur bestimmte Maße festgeronnener Arbeitszeit.“ Nach eingehender Analyse des Doppelcharakters der in den Waren verkörperten Arbeit geht Marx zur Analyse der Wertform und des Geldes über. Die Hauptaufgabe, die sich Marx dabei stellt, ist die Untersuchung der Entstehung der Geldform des Wertes, die Untersuchung des historischen Prozesses der Entwicklung des Austausches, von den einzelnen, zufälligen Tauschakten („einfache, einzelne oder zufällige Wertform“: ein bestimmtes Quantum einer Ware wird gegen ein bestimmtes Quantum einer anderen Ware ausgetauscht) bis zur allgemeinen Wertform, bei der eine Reihe von verschiedenen Waren gegen ein und dieselbe bestimmte Ware ausgetauscht wird, und bis zur Geldform des Wertes, bei der als diese bestimmte Ware, als das allgemeine Äquivalent, das Gold auftritt. Das Geld als das höchste Produkt der Entwicklung des Austausches und der Warenproduktion vertuscht und verschleiert den gesellschaftlichen Charakter der privaten Arbeiten, den gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Produzenten, die durch den Markt vereinigt sind. Marx unterzieht die verschiedenen Funktionen des Geldes einer außerordentlich eingehenden Analyse, wobei es auch hier (wie überhaupt in den ersten Kapiteln des „Kapitals“) von besonderer Wichtigkeit ist, festzustellen, dass die abstrakte und mitunter scheinbar rein deduktive Form der Darstellung in Wirklichkeit ein gewaltiges Tatsachenmaterial zur Entwicklungsgeschichte des Austausches und der Warenproduktion wiedergibt. „ …das Geld… setzt… eine gewisse Höhe des Warenaustausches voraus. Die besonderen Geldformen, bloßes Warenäquivalent, oder Zirkulationsmittel, oder Zahlungsmittel, Schatz und Weltgeld, deuten, je nach dem verschiedenen Umfang und dem relativen Vorwiegen einer, oder der anderen Funktion, auf sehr verschiedne Stufen des gesellschaftlichen Produktionsprozesses.“ („Das Kapital“, I)

Der Mehrwert

Auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der Warenproduktion verwandelt sich Geld in Kapital. Die Formel der Warenzirkulation war: W (Ware) – G (Geld) – W (Ware), d. h. eine Ware verkaufen, um eine andere zu kaufen. Die allgemeine Formel des Kapitals dagegen ist: G-W-G, d. h. kaufen… um (mit Profit) zu verkaufen. Mehrwert nennt Marx diesen Zuwachs zum ursprünglichen Wert des in Umlauf gesetzten Geldes. Die Tatsache dieses „Zuwachses“ des Geldes im kapitalistischen Umlauf ist allgemein bekannt. Eben dieser „Zuwachs“ verwandelt das Geld in Kapital als ein besonderes, historisch bestimmtes gesellschaftliches Produktionsverhältnis. Der Mehrwert kann nicht aus der Warenzirkulation entspringen, denn diese kennt nur den Austausch von Äquivalenten; er kann auch nicht aus einem Preisaufschlag entspringen, denn die gegenseitigen Verluste und Gewinne der Käufer und Verkäufer wurden sich ausgleichen, es handelt sich aber gerade um eine gesellschaftliche Massen- und Durchschnittserscheinung und nicht um eine individuelle Erscheinung. Um Mehrwert zu erhalten, muss der „Geldbesitzer… auf dem Markte eine Ware… entdecken, deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein“, eine Ware also, deren wirklicher Verbrauch zugleich Wertschöpfung wäre. Eine solche Ware gibt es. Es ist die Arbeitskraft des Menschen. Ihr Verbrauch ist Arbeit, Arbeit aber schafft Wert. Der Geldbesitzer kauft die Arbeitskraft zu ihrem Wert, der gleich dem Wert jeder anderen Ware durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt wird, die zu ihrer Herstellung erforderlich ist (d. h. durch die Unterhaltskosten des Arbeiters und seiner Familie). Hat der Geldbesitzer die Arbeitskraft gekauft, so hat er das Recht, sie zu gebrauchen, d. h., sie einen ganzen Tag, sagen wir 12 Stunden, arbeiten zu lassen. Indes erzeugt der Arbeiter im Laufe von 6 Stunden (der „notwendigen“ Arbeitszeit) ein Produkt, durch das sein Lebensunterhalt gedeckt wird, im Laufe der übrigen 6 Stunden (der „Surplus“-Arbeitszeit) aber erzeugt er ein vom Kapitalisten nicht bezahltes „Mehr“-Produkt oder den Mehrwert. Folglich muss man vom Standpunkt des Produktionsprozesses zwei Teile des Kapitals unterscheiden: das konstante Kapital, das für die Produktionsmittel (Maschinen, Arbeitswerkzeuge, Rohmaterial usw.) verausgabt wird – sein Wert geht (auf einmal oder in Teilen) unverändert auf das fertige Produkt über – und das variable Kapital, das für die Arbeitskraft verausgabt wird. Der Wert dieses Kapitals bleibt nicht unverändert, sondern nimmt im Arbeitsprozess durch Schaffung des Mehrwerts zu. Um den Grad der Ausbeutung der Arbeitskraft durch das Kapital auszudrucken, hat man daher den Mehrwert nicht mit dem Gesamtkapital, sondern mir mit dem variablen Kapital zu vergleichen. Die Rate des Mehrwerts, wie Marx dieses Verhältnis nennt, wird also in unserem Beispiel 6:6, d. h. 100 Prozent, betragen.

Historische Voraussetzung für die Enthebung des Kapitals ist erstens die Akkumulation einer bestimmten Geldsumme in den Händen einzelner Personen bei verhältnismäßig hohem Entwicklungsniveau der Warenproduktion im allgemeinen, zweitens das Vorhandensein eines in doppeltem Sinne „freien“ Arbeiters – frei von allen Behinderungen oder Einschränkungen beim Verkauf der Arbeitskraft und frei von Grund und Boden sowie von Produktionsmitteln überhaupt -, eines an keinen Herrn gebundenen Arbeiten, eines „Proletariers“, der nicht anders als vom Verkauf seiner Arbeitskraft existieren kann. Der Mehrwert kann hauptsächlich durch zwei Methoden vergrößert werden: durch Verlängerung des Arbeitstags („absoluter Mehrwert“) und durch Verkürzung des notwendigen Arbeitstages („relativer Mehrwert“). Bei der Analyse der ersten Methode entwirft Marx ein grandioses Bild vom Kampf der Arbeiterklasse für die Verkürzung des Arbeitstags und vom Eingreifen der Staatsgewalt zuerst zugunsten der Verlängerung des Arbeitstags (14.-17. Jahrhundert) und dann zugunsten seiner Verkürzung (die Fabrikgesetzgebung des 19. Jahrhunderts). Seit dem Erscheinen des „Kapitals“ hat die Geschichte der Arbeiterbewegung in allen zivilisierten Ländern der Welt Tausende und aber Tausende neuer Tatsachen geliefert, die dieses Bild vervollständigen.

Bei seiner Analyse der Produktion des relativen Mehrwerts untersucht Marx die drei historischen Hauptstadien der Erhaltung der Arbeitsproduktivität. durch den Kapitalismus; 1. einfache Kooperation; 2. Teilung der Arbeit und Manufaktur; 3. Maschinerie und große Industrie. Wie tief Marx hier die grundlegenden, typischen Züge der kapitalistischen Entwicklung aufgedeckt hat, wird unter anderem daraus ersichtlich, dass die Untersuchungen über die so genannte ,,Kustar“-Industrie in Russland sehr reiches Material zur Illustrierung der beiden ersten von den drei genannten Stadien liefern. Die revolutionierende Wirkung der großen maschinellen Industrie aber, wie sie von Marx im Jahre 1867 beschrieben worden ist, offenbarte sich im Laufe des seitdem verflossenen halben Jahrhunderts in einer ganzen Reihe „neuer“ Länder (Russland; Japan u. a.).

Weiter. Höchst wichtig und neu ist Marx´ Analyse der Akkumulation des Kapitals, d. h. der Verwandlung eines Teils des Mehrwerts in Kapital, der Verwendung dieses Teils nicht für die persönlichen Bedürfnisse oder Launen des Kapitalisten, sondern zu neuer Produktion. Marx wies den Fehler der ganzen früheren klassischen politischen Ökonomie (seit Adam Smith) nach, die angenommen hatte, dass aller Mehrwert, der in Kapital verwandelt wird, zu variablem Kapital geschlagen würde. In Wirklichkeit aber zerfällt er in Produktionsmittel plus variables Kapital. Von gewaltiger Bedeutung im Prozess der Entwicklung des Kapitalismus und seiner Umwandlung in den Sozialismus ist die Tatsache, dass der Anteil des konstanten, Kapitals (an der Gesamtsumme des Kapitals) rascher wächst als der des variablen Kapitals.

Indem die Akkumulation des Kapitals die Verdrängung der Arbeiter durch die Maschine beschleunigt und auf dem einen Pol Reichtum, auf dem Gegenpol Elend produziert, erzeugt sie auch die so genannte „industrielle Reservearmee“ den „relativen Überfluss“ an Arbeitern oder die „kapitalistische Übervölkerung“, die außerordentlich mannigfaltige Formen annimmt und dem Kapital die Möglichkeit bietet, die Produktion außerordentlich rasch zu erweitern. Diese Möglichkeit in Verbindung mit dem Kredit und der Akkumulation des Kapitals in Produktionsmitteln liefen unter anderem den Schlüssel zum Verständnis der Krisen durch Überproduktion, die in den kapitalistischen Ländern periodisch ausbrachen, anfänglich im Durchschnitt alle 10 Jahre, dann in längeren und weniger bestimmten Zeitabständen. Von der Akkumulation des Kapitals auf der Basis des Kapitalismus muss die so genannte ursprüngliche Akkumulation unterschieden werden: die gewaltsame Trennung des Arbeitenden von den Produktionsmitteln, die Verjagung der Bauern von ihrem Boden, der Raub von Gemeindeländereien, das System der Kolonien, der Staatsschulden, des Schutzzolls usw.. Die „ursprüngliche Akkumulation“ erzeugt auf dem einen Pol den „freien“ Proletarier, auf dem Gegenpol den Geldbesitzer, den Kapitalisten.

Die „geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation“ wird von Marx in folgenden berühmten Worten charakterisiert: „Die Expropriation der unmittelbaren Produzenten wird mit schonungslosestem Vandalismus und unter dem Trieb der infamsten, schmutzigsten, kleinlichst gehässigsten Leidenschaften vollbracht. Das selbst erarbeitete, sozusagen auf Verwachsung des einzelnen, unabhängigen Arbeitsindividuums“ (des Bauern und Handwerkers) „mit seinen Arbeitsbedingungen beruhende Privateigentum wird verdrängt durch das kapitalistische Privateigentum, welches auf Exploitation fremder, aber formell freier Arbeit beruht.. . Was jetzt zu expropriieren, ist nicht länger der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist. Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele tot. Hand in Hand mit dieser Zentralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets wachsender Stufenleiter, die bewusste technische Anwendung der Wissenschaft, die planmäßige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die Ökonomisierung aller Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als Produktionsmittel kombinierter, gesellschaftlicher Arbeit, die Verschlingung aller Volker in das Netz des Weltmarkts, und damit der internationale Charakter des kapitalistischen Regimes. Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse. Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert.“ („Das Kapital“, I)

Höchst wichtig und neu ist ferner die von Marx im II. Band des „Kapitals“ gegebene Analyse der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Auch hier untersucht Marx nicht eine individuelle, sondern eine Massenerscheinung, nicht einen Bruchteil der Ökonomie der Gesellschaft, sondern diese ganze Ökonomie in ihrer Gesamtheit. Den oben erwähnten Fehler der Klassiker korrigierend, teilt Marx die gesamte gesellschaftliche Produktion in zwei große Abteilungen: 1. Produktion von Produktionsmitteln und 2. Produktion von Konsumtionsmitteln, und untersucht eingehend an Hand von Zahlenbeispielen die Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals im Ganzen, sowohl bei Reproduktion im früheren Umfang als auch bei Akkumulation. Im III. Band des „Kapitals“ wird das Problem der Bildung der Durchschnittsprofitrate auf Grund des Wertgesetzes gelöst. Ein großer Fortschritt der ökonomischen Wissenschaft ist es, dass Marx bei seiner Analyse von den ökonomischen Massenerscheinungen, von der Gesamtheit der gesellschaftlichen Wirtschaft ausgeht, nicht aber von Einzelfällen oder von äußerlichen Erscheinungen der Konkurrenz, worauf sich die vulgäre politische Ökonomie oder die moderne „Grenznutzentheorie“ oft beschranken. Zunächst analysiert Marx die Entstehung des Mehrwerts, um erst dann zu dessen Spaltung in Profit, Zins und Grundrente überzugehen. Der Profit ist das Verhältnis des Mehrwerts zum gesamten in einem Unternehmen angelegten Kapital. Kapital von „hoher organischer Zusammensetzung“ (d.h. mit Überwiegen des konstanten Kapitals über das variable in einem den gesellschaftlichen Durchschnitt übersteigenden Ausmaß) ergibt eine Profitrate, die niedriger ist als die durchschnittliche. Kapital von „niedriger organischer Zusammensetzung“ ergibt eine Profitrate, die höher ist als die durchschnittliche. Die Konkurrenz zwischen den Kapitalen, ihr freies Abwandern aus einem Produktionszweig in den anderen gleichen in beiden Fällen die Profitrate zur durchschnittlichen aus. Die Summe der Werte aller Waren einer gegebenen Gesellschaft fällt mit der Summe der Warenpreise zusammen; aber in den einzelnen Unternehmungen und in den einzelnen Produktionszweigen werden die Waren unter dem Einfluss der Konkurrenz nicht zu ihren Werten verkauft, sondern zu den Produktionspreisen, die dem aufgewandten Kapital plus Durchschnittsprofit gleich sind.

Die allgemein bekannte und unbestreitbare Tatsache des Abweichens der Preise von den Werten und der Gleichheit des Profits wird also von Marx auf Grund des Wertgesetzes vollauf erklärt, denn die Summe der Werte aller Waren fällt mit der Summe der Preise zusammen. Aber die Zurückführung des (gesellschaftlichen) Wertes auf die (individuellen) Preise ist kein einfacher, unmittelbarer, sondern ein sehr komplizierter Vorgang: Es ist ganz natürlich, dass in einer Gesellschaft zersplitterter Warenproduzenten, die nur durch den Markt miteinander verbunden sind, die Gesetzmäßigkeit sich nicht anders als in einer durchschnittlichen, gesellschaftlichen, massenhaften Gesetzmäßigkeit äußern kann, durch gegenseitige Aufhebung der individuellen Abweichungen nach der einen oder anderen Seite.

Steigerung der Arbeitsproduktivität bedeutet schnelleres Anwachsen des konstanten Kapitals im Vergleich zum variablen. Da aber der Mehrwert Funktion des variablen Kapitals allein ist, so ist es begreiflich, dass die Profitrate (das Verhältnis des Mehrwerts zum gesamten Kapital, nicht aber zu seinem variablen Teil allein) eine Tendenz zum Sinken bat. Marx analysiert eingehend diese Tendenz und eine Reihe sie verhüllender oder ihr entgegenwirkender Umstände. Ohne uns bei der Wiedergabe der außerordentlich interessanten Abschnitte des Ill. Bandes aufzuhalten, die dem Wucher , Handels und Geldkapital gewidmet sind, gehen wir zum Wichtigsten über: zur Theorie der Grundrente. Der Produktionspreis der landwirtschaftlichen Erzeugnisse wird infolge der Beschränktheit der Bodenfläche, die in den kapitalistischen Ländern ganz von Einzelwirtschaften besetzt ist, durch die Produktionskosten nicht auf dem mittleren, sondern auf dem schlechtesten Boden, nicht unter den durchschnittlichen, sondern unter den schlechtesten Bedingungen bestimmt, unter denen das Erzeugnis auf den Markt gebracht wird. Die Differenz zwischen diesem Preis und dem Produktionspreis auf besserem Boden (bzw. unter besseren Bedingungen) ergibt die Unterschieds- oder Differentialrente. Marx analysiert eingebend die Differentialrente, weist nach, dass sie der unterschiedlichen Fruchtbarkeit der einzelnen Grundstücke, der unterschiedlichen Größe des im Boden angelegten Kapitals entspringt, und deckt dadurch (siehe auch die „Theorien über den Mehrwert“, wo die Kritik an Rodbertus besondere Aufmerksamkeit verdient) restlos den Irrtum Ricardos auf, wonach die Differentialrente unbedingt sukzessiven Fortgang von besserem zu schlechterem Boden voraussetze. Im Gegenteil, es findet auch ein umgekehrter Fortgang statt, die Umwandlung einer bestimmten Bodenart in eine andere (dank dem Fortschritt der Agrotechnik, dem Wachstum der Städte usw.), und das vielgerühmte „Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag“ erweist sich als ein tiefer Irrtum, als ein Versuch, die Unzulänglichkeiten, Beschränktheiten und Widersprüche des Kapitalismus auf die Natur abzuwälzen. Ferner setzt die Gleichheit des Profits in allen Zweigen der Industrie und der Volkswirtschaft überhaupt die volle Freiheit der Konkurrenz voraus, die Freiheit der Übertragung des Kapitals aus einem Produktionszweig in den anderen. Das Privateigentum an Grund und Boden erzeugt indes ein Monopol, eine Schranke für diese freie Übertragung. Infolge dieses Monopols gehen die Erzeugnisse der Landwirtschaft, die durch eine niedrigere Zusammensetzung des Kapitals und folglich durch eine individuell höhere Profitrate gekennzeichnet ist, nicht in den völlig freien Prozess der Ausgleichung der Profitrate ein. Der Grundeigentümer als Monopolist erlangt die Möglichkeit, den Preis über dem Durchschnitt zu halten, und dieser Monopolpreis erzeugt die absolute Rente.

Die Differentialrente kann, solange der Kapitalismus besteht, nicht abgeschafft werden, die absolute Rente dagegen kann es z. B. wenn der Boden nationalisiert wird, wenn der Boden in Staatseigentum übergeht. Ein solcher Übergang würde die Untergrabung des Monopols der Privateigentümer und eine konsequentere, vollkommenere Durchführung der Konkurrenzfreiheit in der Landwirtschaft bedeuten. Aus diesem Grunde sind auch, wie Marx vermerkt, radikale Bourgeois in der Geschichte wiederholt mit dieser progressiven bürgerlichen Forderung nach Nationalisierung des Bodens aufgetreten, die jedoch die Mehrheit der Bourgeoisie abschreckt, da sie noch einem anderen, in unserer Zeit besonders wichtigen und „empfindlichen“ Monopol allzusehr „auf den Leib rückt“: dem Monopol an den Produktionsmitteln überhaupt. (Unübertrefflich populär, gedrängt und klar hat Marx selbst seine Theorie des Durchschnittsprofits des Kapitals und der absoluten Grundrente in dem Brief an Engels vom 2. August 1862 dargelegt. Siehe „Briefwechsel“, Ed. Ill, S. 77 81 vgl. auch den Brief vom 9. August 1862, ebenda, S. 86/87) Zur Geschichte der Grundrente ist es wichtig, auch auf die Analyse van Marx hinzuweisen, die zeigt, wie sich die Arbeitsrente (wobei der Bauer das Mehrprodukt durch seine Arbeit auf dem Boden des Grundherrn erzeugt) in Produkten- oder Naturalrente verwandelt (wobei der Bauer das Mehrprodukt auf seinem eigenen Boden erzeugt, es aber kraft „außerökonomischen Zwanges“ an den Grundherrn abliefert), weiter in Geldrente (dieselbe Naturalrente, aber infolge der Entwicklung der Warenproduktion in Geld umgewandelt, der „obrok“ im alten Russland) und schließlich in kapitalistische Rente, wobei an Stelle des Bauern der landwirtschaftliche Unternehmer tritt, der den Boden mit Hilfe von Lohnarbeit bestellt. Im Zusammenhang mit dieser Analyse der „Genesis der kapitalistischen Grundrente“ ist auf eine Reihe von tief schürfenden (und für rückständige Länder wie Russland besonders wichtigen) Marxschen Gedanken über die Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft zu verweisen. „Die Verwandlung der Naturalrente in Geldrente wird… nicht nur notwendig begleitet, sondern selbst antizipiert durch Bildung einer Klasse besitzloser und für Geld sich verdingender Tagelöhner. Während ihrer Entstehungsperiode, wo diese neue Klasse nur noch sporadisch auftritt, hat sich daher notwendig bei den besser gestellten rentepflichtigen Bauern die Gewohnheit entwickelt, auf eigne Rechnung ländliche Lohnarbeiter zu exploitieren, ganz wie schon in der Feudalzeit die vermögenderen hörigen Bauern selbst wieder Hörige hielten. So entwickelt sich nach und nach bei ihnen die Möglichkeit, ein gewisses Vermögen anzusammeln und sich selbst in zukünftige Kapitalisten zu verwandeln. Unter den alten, selbst arbeitenden Besitzern des Bodens selbst entsteht so eine Pflanzschule von kapitalistischen Pächtern, deren Entwicklung durch die allgemeine Entwicklung der kapitalistischen Produktion außerhalb des flachen Landes bedingt ist… „ („Das Kapital“, III, 332) „Die Expropriation und Verjagung eines Teils des Landvolks setzt mit den Arbeitern nicht nur ihre Lebensmittel und ihr Arbeitsmaterial für das industrielle Kapital frei, sie schafft den innern Markt.“ („Das Kapital“, I, 778) Die Verelendung und Ruinierung der Landbevölkerung trägt ihrerseits dazu bei, dass eine Reservearmee von Arbeitern für das Kapital geschaffen wird. In jedem kapitalistischen Land „befindet sich daher ein Teil der Landbevölkerung fortwährend im Übergang zur Metamorphose in städtische oder Manufakturbevölkerung… (Manufaktur hier im Sinn aller nichtagrikolen Industrie.) Diese Quelle der relativen Übervölkerung fließt also beständig … Der Landarbeiter wird daher auf das Minimum des Salärs herabgedrückt und steht mit einem Fuß stets im Sumpf des Pauperismus.“ („Das Kapital“, I, 668) Das Privateigentum des Bauern am Boden, den er bestellt, ist die Grundlage des Kleinbetriebs und die Bedingung seiner Blüte, die Voraussetzung dafür, dass er seine klassische Form erreicht. Aber dieser Kleinbetrieb ist nur mit engen, primitiven Schranken der Produktion und. der Gesellschaft vereinbar. Im Kapitalismus „unterscheidet sich die Exploitation der Bauern von der Exploitation des industriellen Proletariats nur durch die Form. Der Exploiteur ist derselbe: das Kapital. Die einzelnen Kapitalisten exploitieren die einzelnen Bauern durch die Hypotheke und den Wucher, die Kapitalistenklasse exploitiert die Bauernklasse durch die Staatssteuer.“ („Die Klassenkämpfe in Frankreich“) „Die Parzelle des Bauern ist nur noch der Vorwand, der dem Kapitalisten erlaubt, Profit, Zinsen und Rente von dem Acker zu ziehn und den Ackerbauer selbst zusehen zu lassen, wie er seinen Arbeitslohn herausschlagt.“ („Der achtzehnte Brumaire“) In der Regel tritt der Bauer sogar der kapitalistischen Gesellschaft, d. h. der Kapitalistenklasse, einen Teil des Arbeitslohns ab und sinkt „auf die Stufe des irischen Pächter“ herab – „und alles unter dem Vorwande, Privateigentümer zu sein“ („Die Klassenkämpfe in Frankreich“) Worin besteht nun „eine der Ursachen, warum der Getreidepreis in Ländern vorherrschenden Parzelleneigentums niedriger steht als in den Ländern kapitalistischer Produktionsweise“? („Das Kapital“, III, 340.) Darin, dass der Bauer der Gesellschaft (d. h. der Kapitalistenklasse) einen Teil des Mehrprodukts umsonst abgibt. „Dieser niedrigere Preis“ (des Getreides und anderer landwirtschaftlicher Produkte) „ist also ein Resultat der Armut der Produzenten und keineswegs der Produktivität ihrer Arbeit,“ („Das Kapital“, III, 340.) Das Parzelleneigentum, die normale Form des Kleinbetriebs, wird unter dem Kapitalismus degradiert, zerstört und geht unter. „Das Parzelleneigentum schließt seiner Natur, nach aus: Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit, gesellschaftliche Formen der Arbeit, gesellschaftliche Konzentration der Kapitale, Viehzucht auf großem Maßstab, progressive Anwendung der Wissenschaft. Wucher und Steuersystem müssen es überall verelenden. Die Auslage des Kapitals im Bodenpreis entzieht dies Kapital der Kultur. Unendliche Zersplitterung der Produktionsmittel und Vereinzelung der Produzenten selbst.“ (Kooperativen, d. h. Genossenschaften von Kleinbauern, die eine außerordentlich große bürgerlich progressive Rolle spielen, vermögen diese Tendenz nur abzuschwächen, ohne sie jedoch aufzuheben; man darf auch nicht vergessen, dass diese Genossenschaften den vermögenden Bauern viel der Masse der Dorfarmut aber sehr wenig, fast gar nichts, einbringen und dass die Genossenschaften überdies selbst zu Ausbeutern von Lohnarbeit werden.) „Ungeheure Verschwendung von Menschenkraft. Progressive Verschlechterung, der Produktionsbedingungen und Verteuerung der Produktionsmittel ein notwendiges Gesetz des Parzelleneigentums.“ In der Landwirtschaft gestaltet der Kapitalismus ebenso wie in der Industrie den Produktionsprozess nur um den Preis der ,,Martyrologie der Produzenten“ um. „Die Zerstreuung der Landarbeiter über größte Flächen bricht zugleich ihre Widerstandskraft, während Konzentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen (kapitalistischen) Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größte Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben… Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ („Das Kapital“, I, Schluss des 13. Kapitels)

Der Sozialismus

Aus dem Vorhergehenden ist ersichtlich, dass Marx die Unvermeidlichkeit der Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in die sozialistische einzig und allein aus dem ökonomischen Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft ableitet. Die Vergesellschaftung der Arbeit, die in tausendfaltiger Form mit ständig zunehmender Geschwindigkeit vorwärts schreitet und in dem halben Jahrhundert seit dem Tode von Marx besonders sinnfällig in Erscheinung tritt im Wachstum des Großbetriebs, der kapitalistischen Kartelle, Syndikate und Trusts, ebenso aber im gigantischen Anwachsen des Umfangs und .der Macht des Finanzkapitals das ist die hauptsachliche materielle Grundlage für das unvermeidliche Kommen des Sozialismus. Die intellektuelle und moralische Triebkraft, der physische Vollstrecker dieser Umwandlung ist das vom Kapitalismus selbst geschulte Proletariat. Sein Kampf gegen die Bourgeoisie, der sich in verschiedenen und immer inhaltsreicheren Formen äußert, wird unvermeidlich zum politischen Kampf, gerichtet auf die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat (,Diktatur des Proletariats“). Die Vergesellschaftung der Produktion muss zum Übergang der Produktionsmittel in das Eigentum der Gesellschaft fuhren, zur Expropriation der Expropriateurs“. Gewaltige Steigerung der Produktivität der Arbeit, Verkürzung des Arbeitstags, Ersetzung der Überbleibsel, der Trümmer des primitiven, vereinzelten Kleinbetriebs durch die vervollkommnete kollektive Arbeit das sind die direkten Folgen dieses Übergangs. Der Kapitalismus zerreißt endgültig den Zusammenhang zwischen Landwirtschaft und Industrie, bereitet aber zugleich in seiner höchsten Entwicklung neue Elemente vor für die Herstellung dieses Zusammenhangs, für die Vereinigung von Industrie und Landwirtschaft auf der Grundlage der bewussten Anwendung der Wissenschaft und der Kombinierung kollektiver Arbeit, für eine neue Siedlungsweise der Menschheit (mit Abschaffung sowohl der Öde, Weltabgeschiedenheit und Barbarei der Dörfer wie auch der widernatürlichen Zusammenballung gigantischer Massen in den großen Städten). Eine neue Form der Familie, neue Verhältnisse in der Stellung der Frau und in der Erziehung der heranwachsenden Generationen werden durch die höchsten Formen des modernen Kapitalismus vorbereitet: Die Frauen- und Kinderarbeit, die Auflösung der patriarchalischen Familie durch den Kapitalismus nehmen in der modernen Gesellschaft unvermeidlich die furchtbarsten, katastrophalsten und ekelhaftesten Formen an. Nichtsdestoweniger „schafft die große Industrie mit der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisierten Produktionsprozessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue ökonomische Grundlage für eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider Geschlechter. Es ist natürlich ebenso albern, die christlich germanische Form der Familie für absolut zu halten als die altrömische Form, oder die altgriechische oder die orientalische, die übrigens untereinander eine geschichtliche Entwicklungsreihe bilden. Ebenso leuchtet ein, dass die Zusammensetzung des kombinierten Arbeitspersonals aus Individuen beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, obgleich in ihrer naturwüchsig brutalen, kapitalistischen Form, wo der Arbeiter für den Produktionsprozess, nicht der Produktionsprozess für den Arbeiter da ist, Pestquelle des Verderbs und der Sklaverei, unter entsprechenden Verhältnissen umgekehrt zur Quelle humaner Entwicklung umschlagen muss“ („Das Kapital“, I, Schluß des 13. Kapitels) Das Fabriksystem zeigt uns den „Keim der Erziehung der Zukunft, welche für alle Kinder über einem gewissen Alter produktive Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine Methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, sondern als die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Menschen“ (ebenda). Auf dieselbe historische Basis nicht nur im Sinne bloßer Erklärung der Vergangenheit, sondern auch im Sinne furchtloser Voraussicht der Zukunft und kühner praktischer Tätigkeit für die Verwirklichung dieser Zukunft, stellt der Marxsche Sozialismus auch die Fragen der Nationalität und des Staates. Die Nationen sind ein unvermeidliches Produkt und eine unvermeidliche Form der bürgerlichen Epoche der gesellschaftlichen Entwicklung. Auch die Arbeiterklasse konnte nicht erstarken, ins Mannesalter eintreten und sich formieren, ohne „sich selbst als Nation zu konstituieren“, ohne „national“ zu sein („wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie“). Aber die Entwicklung des Kapitalismus zerstört mehr und mehr die, nationalen Schranken, hebt die nationale Absonderung auf und setzt an die Stelle der nationalen Antagonismen die der Klassen. In den entwickelten kapitalistischen Ländern ist es daher volle Wahrheit dass „die Arbeiter kein Vaterland haben“ und dass die „vereinigte Aktion“ der Arbeiter wenigstens der zivilisierten Länder für das Proletariat „eine der, ersten Bedingungen seiner Befreiung“ ist („Kommunistisches Manifest“ ) Der Staat, diese organisierte Gewalt, wurde eine Notwendigkeit auf einer bestimmten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, als die Gesellschaft sich in unversöhnliche Klassen spaltete, als sie nicht mehr existieren konnte ohne eine „Macht“, die scheinbar über der Gesellschaft steht und sich bis zu einem gewissen Grade von ihr abgesondert hat. Mitten im Konflikt der Klassen entstanden, wird der Staat zum „Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, die vermittelst seiner auch politisch herrschende Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klasse. So war der antike Staat vor allem Staat der Sklavenbesitzer zur Niederhaltung der Sklaven, wie der Feudalstaat Organ des Adels zur Niederhaltung der leibeigenen und, hörigen Bauern und der moderne Repräsentativstaat Werkzeug der Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital.“ (Engels im „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“, worin er seine und Marx“ Auffassung darlegt) Selbst die freieste und fortschrittlichste Form des bürgerlichen Staates, die demokratische Republik, beseitigt keineswegs diese Tatsache, sondern ändert nur ihre Form (Allianz von Regierung und Börse, Korruption direkte und indirekte der Beamten und der Presse usw.). Der Sozialismus, der zur Aufhebung der Klassen führt, führt damit zugleich zur Aufhebung des Staates. „Der erste Akt“, schreibt Engels im „Anti Dühring“, „worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt – die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft – ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht abgeschafft er stirbt ab.“… „Die Gesellschaft, die die Produktion auf Grundlage freier und gleicher Assoziation der Produzenten neu organisiert, versetzt die ganze Staatsmaschine dahin, wohin sie dann gehören wird: ins Museum der Altertümer, neben das Spinnrad und die bronzene Axt.“ (Engels in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“)

Was schließlich die Stellung des Marxschen Sozialismus zur Kleinbauernschaft angeht, die in der Epoche der Expropriation der Expropriateure bestehen bleiben wird, so muss auf eine Erklärung von Engels hingewiesen werden, der Marx“ Gedanken zum Ausdruck bringt: „… wenn wir im Besitz der Staatsmacht sind; können wir nicht daran denken, die Kleinbauern gewaltsam zu expropriieren (einerlei ob mit oder ohne Entschädigung), wie wir dies mit den Großgrundbesitzern zu tun genötigt sind. Unsere Aufgabe gegenüber dem Kleinbauer besteht zunächst darin, seinen Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck. Und da haben wir allerdings Mittel genug, um dem Kleinbauer Vorteile in Aussicht zu stellen, die ihm schon jetzt einleuchten müssen.“ (Engels, „Zur Agrarfrage im Westen“, herausgegeben von Alexejewa, S. 17, russische Übersetzung mit Fehlern. Original in der „Neuen Zeit“)

Die Taktik des proletarischen Klassenkampfes

Marx, der es schon 1844/1845 als einen der Hauptmängel des alten Materialismus bezeichnet hatte, dass er die Bedingungen der revolutionären praktischen Tätigkeit nicht zu begreifen und deren Bedeutung nicht einzuschätzen wusste, widmete sein ganzes Leben hindurch neben den theoretischen Arbeiten den Fragen der Taktik des proletarischen Klassenkampfes unablässige Aufmerksamkeit. Alle Werke von Marx und besonders sein 1913 herausgegebener vierbändiger Briefwechsel mit Engels liefern in dieser Hinsicht ein gewaltiges Material. Dieses Material ist noch lange nicht vollständig gesammelt, noch lange nicht zusammengefasst, erforscht und bearbeitet. Deshalb müssen wir uns hier auf ganz allgemeine und kurze Bemerkungen beschränken, wobei wir betonen, dass Marx den Materialismus ohne diese Seite mit Recht für halb, einseitig und leblos hielt. Die Hauptaufgabe der Taktik des Proletariats bestimmte Marx in strenger Übereinstimmung mit allen Leitsätzen seiner materialistisch dialektischen Weltanschauung. Nur die objektive Berücksichtigung der Gesamtheit der Wechselbeziehungen ausnahmslos aller Klassen einer gegebenen Gesellschaft, und folglich die Berücksichtigung der objektiven Entwicklungsstufe dieser Gesellschaft, wie auch der Wechselbeziehungen zwischen ihr und anderen Gesellschaften, kann als Grundlage für eine richtige Taktik der fortgeschrittenen Klasse dienen. Dabei werden alle Klassen und alle Länder nicht in ihrer Statik, sondern in ihrer Dynamik betrachtet, d. h. nicht im starren Zustand, sondern in der Bewegung (deren Gesetze den ökonomischen Existenzbedingungen jeder Klasse entspringen). Die Bewegung wiederum wird nicht nur vom Standpunkt der Vergangenheit betrachtet, sondern auch vom Standpunkt der Zukunft, und zwar nicht nach der platten Auffassung der „Evolutionisten“, die nur langsame Veränderungen sehen, sondern dialektisch. Man soll nicht glauben, schrieb Marx an Engels, „dass in der gleichen großen Entwicklungen 20 Jahre mehr als ein Tag sind, obgleich nachher wieder Tage kommen können, worin sich 20 Jahre zusammenfassen“ („Briefwechsel“, Bd. III, S. 127) Auf jeder Entwicklungsstufe, in jedem Moment muss die Taktik des Proletariats diese objektiv unvermeidliche Dialektik der menschlichen Geschichte berücksichtigen, in denen einerseits die Epochen der politischen Stagnation oder schneckenhaft langsamen, so genannten „friedlichen“ Entwicklung ausnutzt, um das Bewusstsein, die Kraft und Kampffähigkeit der fortgeschrittenen Klasse zu entwickeln, und indem sie anderseits diese ganze Arbeit auf das „Endziel“ der Bewegung der betreffenden Klasse ausrichtet und darauf einstellt, diese Klasse zur praktischen Leistung der großen Aufgaben in den großen Tagen zu befähigen, „worin sich 20 Jahre zusammenfassen“. In dieser Frage sind zwei Erwägungen von Marx besonders wichtig: die eine im „Elend der Philosophie“ über den ökonomischen Kampf und die ökonomischen Organisationen des Proletariats, die andere im „Kommunistischen Manifest“ über seine politischen Aufgaben. Die erste lautet: „Die Großindustrie bringt eine Menge einander unbekannter Leute an einem Ort zusammen. Die Konkurrenz spaltet sie in ihren Interessen; aber die Aufrechterhaltung des Lohnes, dieses gemeinsame Interesse gegenüber ihrem Meister, vereinigt sie in einem gemeinsamen, Gedanken des Widerstandes Koalition.“ Dann „formieren sich die anfangs isolierten Koalitionen… zu Gruppen, und gegenüber dem stets vereinigten Kapital wird die Aufrechterhaltung der Assoziationen notwendiger für sie als die des Lohnes… In diesem Kampfe – ein veritabler Bürgerkrieg vereinigen und entwickeln sich alle Elemente für eine kommende Schlacht. Einmal auf diesem Punkte angelangt, nimmt die Koalition einen politischen Charakter an.“ Hier haben wir Programm und Taktik des ökonomischen Kampfes und der gewerkschaftlichen Bewegung auf einige Jahrzehnte hinaus, für die ganze lange Epoche der Vorbereitung der Kräfte des Proletariats „für eine kommende Schlacht“. Hinzu kommen noch die zahlreichen Hinweise, in denen Marx und Engels am Beispiel der englischen Arbeiterbewegung zeigten, wie die industrielle „Prosperität“ Versuche hervorruft, „das Proletariat zu kaufen“ („Briefwechsel“ mit Engels, I, 136), es vom Kampf abzulenken; wie diese Prosperität überhaupt die Arbeiter „demoralisiert“ (II, 218); wie das englische Proletariat „verbürgert, so dass diese bürgerlichste aller Nationen“ (die englische) „es schließlich dahin bringen zu wollen scheint, eine bürgerliche Aristokratie und ein bürgerliches Proletariat neben der Bourgeoisie zu besitzen“ (II, 290); wie aus ihm die „revolutionäre Energie“ „verduftet“ (III, 124); wie man mehr oder minder lange abwarten muss, bis „die englischen Arbeiter von ihrer scheinbaren Bourgeoisansteckung sich befreien“ (III, 127); wie der englischen Arbeiterbewegung „das mettle [Feuer] der alten Chartisten“ fehlt (1866; III, 305), wie die englischen Arbeiterführer zu einer Art Mittelding werden „zwischen den radikalen Bourgeois und den Arbeitern“ (über Holyoake, IV, 209); wie infolge der Monopolstellung Englands, und solange diese Monopolstellung nicht zusammenbricht, „der British working man [britische Arbeiter] eben nicht weiter will“ (IV, 433). Die Taktik des ökonomischen Kampfes im Zusammenhang mit dem allgemeinen Gang (und Ausgang) der Arbeiterbewegung wird hier von einem bewundernswert umfassenden, allseitigen, dialektischen, wahrhaft revolutionären Standpunkt aus betrachtet.

Das „Kommunistische Manifest“ stellte zur Taktik des politischen Kampfes die grundlegende These des Marxismus auf: „Sie“ (die Kommunisten) „kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung.“ Demgemäß unterstützte Marx im Jahre 1848 in Polen die Partei der „agrarischen Revolution“, „dieselbe Partei, welche die Krakauer Insurrektion von 1846 ins Leben rief“. In Deutschland unterstützte Marx in den Jahren 1848/1849 die extreme revolutionäre Demokratie, und er nahm in der Folge niemals zurück, was er damals über die Taktik gesagt hatte. Die deutsche Bourgeoisie betrachtete er als ein Element, das „von vornherein zum Verrat gegen das Volk“ (nur ein Bündnis mit der Bauernschaft hätte der Bourgeoisie die volle Verwirklichung ihrer Aufgaben ermöglichen können) „und zum Kompromiss mit dem gekrönten Vertreter der alten Gesellschaft geneigt“ war. Hier bringen wir die von Marx gegebene abschließende Analyse der Klassenstellung der deutschen Bourgeoisie in der Epoche der bürgerlich demokratischen Revolution übrigens ein Musterbeispiel des Materialismus, der die Gesellschaft in ihrer Bewegung betrachtet und dabei nicht nur von der Seite der Bewegung, die rückwärts gerichtet ist: „ohne Glauben an sich selbst, ohne Glauben an das Volk, knurrend gegen oben, zitternd gegen unten … eingeschüchtert vom Weltsturm… Energie nach keiner Richtung, Plagiat nach allen Richtungen… ohne Initiative… ein vermaledeiter Greis, der sich dazu verdammt sah, die ersten Jugendströmungen eines robusten Volks in seinem eigenen altersschwachen Interesse zu leiten…“ („Neue Rheinische Zeitung“, 1848; siehe „Literarischer Nachlass“, Bd. III, S. 212) Ungefähr 20 Jahre später bezeichnete Marx in einem Brief an Engels (III, 224) als die Ursache für das Misslingen der Revolution von 1848, dass die Bourgeoisie damals die Ruhe mit der Knechtschaft der bloßen Aussicht des Kampfes für die Freiheit vorgezogen habe. Als die Epoche der Revolutionen von 1848/1849 zu Ende war, trat Marx gegen jede Revolutionsspielerei auf (Schapper-Willich und der Kampf gegen sie) und verlangte, dass man in der neuen Epoche zu arbeiten verstehe, die scheinbar „friedlich“ neue Revolutionen vorbereite. In welchem Sinne Marx diese Arbeit geführt sehen wollte, wird ersichtlich aus seiner Einschätzung der Lage in Deutschland zur Zeit der schwärzesten Reaktion, im Jahre 1856: „The whole thing in Germany [Die ganze Sache in Deutschland] wird abhängen von der Möglichkeit, to back the Proletarian revolution by some second edition of the Peasants“ war [die proletarische Revolution durch eine Art zweite Auflage des Bauernkriegs zu unterstützen].“ („Briefwechsel“ mit Engels, II, 108) Solange die demokratische (die bürgerliche) Revolution in Deutschland nicht vollendet war, richtete Marx in der Taktik des sozialistischen Proletariats die ganze Aufmerksamkeit auf die Entfaltung der demokratischen Energie der Bauernschaft. Er war der Ansicht, dass die Haltung Lassalles „objektiv… ein Verrat der ganzen Arbeiterbewegung an die Preußen“ war (III, 210), unter anderem gerade deshalb, weil Lassalle den Junkern und dem preußischen Nationalismus Vorschub leistete. Bei einem Gedankenaustausch mit Marx anlässlich einer geplanten gemeinsamen Erklärung in der Presse schrieb Engels 1865, „dass in einem vorwiegenden Ackerbauland … es eine Gemeinheit ist, im Namen des industriellen Proletariats über die Bourgeoisie ausschließlich herzufallen, daneben aber der patriarchalischen „Prügelexploitation“ des Landproletariats durch den großen Feudaladel mit keinem Wort zu gedenken“ (III, 217). In der Periode von 1864 1870, als die Epoche zu Ende ging, in der die bürgerlichdemokratische Revolution in Deutschland zum Abschluss kam, die Epoche, in der die Ausbeuterklassen in Preußen und Österreich dafür kämpften, diese Revolution auf die eine oder andere Weise von oben zum Abschluss zu bringen, verurteilte Marx nicht nur Lassalle, der mit Bismarck „geliebeleit“ hatte, sondern wies auch Liebknecht zurecht, der in „Östreicherei“ verfiel und den Partikularismus verteidigte; Marx forderte eine revolutionäre Taktik, die mit gleicher Schonungslosigkeit sowohl gegen Bismarck wie auch gegen die Austrophilen kämpfte eine Taktik, die sich dem „Sieger“, dem preußischen Junker, nicht anpasste, sondern unverzüglich den revolutionären Kampf gegen ihn von neuem aufnahm, und zwar auf dem Boden der durch die militärischen Siege der Preußen gegeben war. („Briefwechsel“ mit Engels, III, 134, 136, 147, 179, 204, 210, 215, 418, 437, 440/441) In der berühmten Adresse der Internationale vom 9. September 1870 warnte Marx das französische Proletariat vor einem vorzeitigen Aufstand; als der Aufstand aber dennoch ausbrach (1871), begrüßte Marx mit Begeisterung die revolutionäre Initiative der Massen, dieser „Himmelsstürmer“ (Brief von Marx an Kugelmann). Eine Niederlage der revolutionären Aktion in dieser Situation, wie in vielen anderen, war vom Standpunkt des Marxschen dialektischen Materialismus für den ganzen Gang und Ausgang des proletarischen Kampfes ein kleineres Übel als ein Verzicht auf die einmal eingenommene Position, als eine Kapitulation ohne Kampf: eine solche Kapitulation hätte das Proletariat demoralisiert, seine Kampffähigkeit untergraben. Marx, der die Ausnutzung legaler Kampfmittel in Epochen der politischen Stagnation und der Herrschaft der bürgerlichen Legalität sehr wohl zu würdigen wusste, verurteilte in den Jahren 1877/1878, nach Erlass des Sozialistengesetzes, sehr scharf die „Revolutionsphrasen“ eines Most, aber nicht minder heftig, wenn nicht noch heftiger wandte er sich gegen den Opportunismus, der sich damals eine Zeitlang er offiziellen sozialdemokratischen Partei bemächtigt haue, als diese nicht sofort Festigkeit, Standhaftigkeit, revolutionäre Haltung und Bereitschaft an den Tag legte, als Antwort auf das Ausnahmegesetz zum illegalen Kampf überzugehen. (Briefwechsel von Marx und Engels, IV, 397, 404, 418, 422, 424; vgl. auch die Briefe an Sorge.)

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