In den Händen moderner Sklavenhändler

veröffentlicht am: 18 Apr, 2011

Massive Ausweitung von Leiharbeit ist die Strategie des Kapitals, sich „fit“ zu machen für kommende Krisen.

Stefan ist 23 Jahre alt. Er ist gelernter Chemikant. Eine gute Ausbildung in einem Großbetrieb der Region hatte er bekommen, aber jetzt sieht die Lage schlecht für ihn aus. Seit fast 2 Jahren arbeitet er für eine Leiharbeitsfirma. Stefan erinnert sich noch genau wie es war nach der Ausbildung. Alles ließ sich gut an: er wurde ein Jahr befristet übernommen, die Chancen auf Weiterbeschäftigung waren da. Aber dann wurde sein Vertrag doch nicht verlängert und er machte sich auf Jobsuche. Die Arbeitsagentur legte ihm mehr als 100 Jobangebote vor – ganze 3 davon waren Festanstellungen. Der Rest: Leiharbeit. So landete er dann bei den wie er sagt „modernen Sklavenhändlern“. Seitdem ist er Arbeiter zweiter Klasse und hat davon die Schnauze gestrichen voll. „Ich wurde eingesetzt wie ein Tagelöhner. Erst arbeitete ich eine Woche in einem Industriebetrieb für 9 €/h. Dann wurde es richtig lustig: ich wurde an eine andere Subfirma ausgeliehen, die auf demselben Gelände arbeitete- für 7 € die Stunde. Aber es ging noch weiter runter: bei der nächsten Firma war ich ganze 4 Tage. Diesmal 6,14 €/h. Für nen Monat war ich danach ganz arbeitslos. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie beschissen das ist. Nie weißt du was am nächsten Tag passiert und wie viel Geld du am Ende des Monats in der Tasche hast.“

Prekäre Beschäftigung – Alltag der Arbeiterjugend

Stefan ist damit kein Einzelfall. Für Jugendliche sind Leiharbeit und andere Formen der prekären Beschäftigung alles andere als „atypisch“- sie betreffen einen Großteil der Arbeiterjugend. Mehr als die Hälfte der inzwischen fast 1 Mio. LeiharbeiterInnen ist jünger als 36 Jahre. Fast 40 Prozent der Unter-30-Jährigen mit einer Vollzeit-Tätigkeit bekommen ihr Geld von einer Zeitarbeitsfirma – Tendenz steigend. Denn die meisten Betriebe decken neuen Personalbedarf durch Leiharbeit (43 %) oder befristete Neueinstellungen (42 %) ab. Jugendliche sind hiervon besonders betroffen. Die vergebliche Suche nach einem Ausbildungsplatz – es fehlen ca. 300.000 betriebliche Ausbildungsplätze, die Jugendarbeitslosigkeit von offiziell 11 % und die fehlende Übernahme nach der Ausbildung – nur ca. 36 % werden übernommen – treibt immer mehr junge Menschen in die Zeitarbeit. Und kein Ende in Sicht: die Verbände der Zeitarbeitsunternehmen rechnen mittelfristig mit einer Zunahme der Beschäftigten auf 2,5 Mio.

Leiharbeit – eine kapitalistische Erfolgsgeschichte

Nach der Einführung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) im Jahr 1973 wurden Schritt für Schritt alle Schranken abgebaut: Kein gleicher Lohn für gleiche Arbeit, kein Mindestlohn, keine maximale Überlassungsdauer. Zunächst nutzten Betriebe Leiharbeit, um kurzfristige Personalausfälle auszugleichen. Dann kam Leiharbeit als „Flexibilitätspuffer“ hinzu. Damit begegneten Betriebe Schwankungen im Auftragsvolumen. Die dritte und historisch jüngste Form ist die „strategische Nutzung der Leiharbeit“. Dabei geht es darum, das unternehmerische Risiko zu minimieren, indem die nicht ohne weiteres kündbare Stammbelegschaft möglichst klein gehalten wird. Für den Entleihbetrieb hebelt der Leiharbeitseinsatz faktisch den gesetzlichen Kündigungsschutz aus. Entlassungskosten werden vermieden. Es müssten weder Sozialpläne aufgestellt noch Abfindungen gezahlt werden. Ein unglaublich praktisches Instrument für die Unternehmer: sie bekommen nicht nur billigere Arbeitskräfte –Leiharbeiter verdienen durchschnittlich 30 % weniger als Festangestellte – sondern können sie auch jederzeit loswerden. Ohne viel Aufsehen, ohne Proteste. Und so wurden in Hochzeiten der Krise auch vor allem LeiharbeiterInnen entlassen – insgesamt 650.000 verloren ihren Job.

Kein Wunder also, dass Leiharbeit während des derzeitigen Aufschwungs boomt. In Vorbereitung auf die nächste Krise wird die Personalstruktur „flexibilisiert“. 30 % der Personalkosten innerhalb von 3 Wochen einsparen zu können, gibt beispielsweise ein mittelständischer Chemiebetrieb als Managementziel aus. Ähnliches gilt bei den Betrieben der Autoindustrie: BMW ist wegen hoher Leiharbeiterzahlen relativ unbeschadet aus der Krise hervorgegangen. Jetzt wollen Daimler und VW nachlegen. Denn Leiharbeit und Befristung sind der Weg zum Erfolg.

Leiharbeit schafft Druck

Leiharbeiter werden also nicht mehr nur für Hilfstätigkeiten eingesetzt, sondern verrichten häufig die gleiche Arbeit wie Angehörige der Stammbelegschaft. In einigen Betrieben bekommen Leiharbeiter die gleichen Zulagen und Prämien wie die Stammbelegschaft. Stefan hat diese Erfahrung auch gemacht. Seit mehr als 10 Monaten ist er jetzt an dieselbe Firma verliehen. Jeden Tag geht er dorthin, arbeitet Seite an Seite mit festangestellten Kollegen. Und trotzdem ist er anders. „Ich spür den Druck so krass. Ich hab das Gefühl, dass mir ständig jemand über die Schulter guckt und sagt: ich beobachte dich – arbeite schneller – du bist sonst ganz schnell raus.“ Mit dieser Angst im Nacken ist er leicht erpressbar. Manchmal stempelt er sich aus und arbeitet weiter – unbezahlt versteht sich.

Ausgeliehene und fest angestellte Beschäftigte stehen so in einem direkten Konkurrenzverhältnis. Da sie die gleichen Arbeiten erledigen und oft über eine gleichwertige Qualifikation verfügen, fürchtet die Stammbelegschaft ständig um ihren Arbeitsplatz.

Die POSITION #2/2011 behandelt schwerpunktmäßig das Thema Leiharbeit.

Neben Kosteneinsparung und Flexibilität ist Leiharbeit also auch ein willkommenes Mittel zur Spaltung der Belegschaften. Natürlich kann die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zu Entsolidarisierung führen und zu Rücksichtlosigkeit bei der Durchsetzung individueller Interessen. So sind Fälle bekannt, in denen die Stammbelegschaft die beginnende Umwandlung einiger Arbeitsplätze in Leiharbeit unterstützt hat, denn das mache ihre Arbeitsplätze –kurzfristig gedacht – sicherer. Die LeiharbeiterInnen sollen als eine Art Flexibilitätspuffer dienen, bevor die fest angestellten KollegInnen entlassen werden. Gerade KollegInnen der Stammbelegschaften klammern sich an die vermeintliche Sicherheit des Normalarbeitsverhältnisses, Standortsicherung hat große Bedeutung und ist ein Totschlagargument, wenn die Angst umgeht.
Andererseits kann die zunehmende Unsicherheit des Arbeitsverhältnisses auch das totale Gegenteil bewirken. Gerade Jugendliche sind wurzelloser geworden. Der Fall, dass man in einem Betrieb lernt und dann bis zur Rente dort arbeitet ist die Ausnahme. Das kann natürlich einerseits zu Resignation führen, aber auch dazu, dass Jugendliche weniger empfänglich für Verzichtslogik und Standortsicherungsverträge sind. Sie erleben, dass Unsicherheit kapitalistische Normalität ist.

„Equal Pay“ reicht nicht

Die Gewerkschaften gehen mit der Forderung „ Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in die Auseinandersetzung um Leiharbeit. Es ist von „Missbrauch“ die Rede und die Notwendigkeit einer „fairen Gestaltung“ der Leiharbeit wird betont. Klar, „equal pay“, also die gleiche Bezahlung von Stammbelegschaft und LeiharbeiterInnen ist ein richtiger und wichtiger Schritt, um den sich in den einzelnen Betrieben, in jeder Tarifauseinandersetzung und auch politisch zu kämpfen lohnt. Es greift aber zu kurz. Denn gegen die Nutzung von Leiharbeit als Flexibilitätspuffer und Spaltungsstrategie hilft „equal pay“ nicht. Dafür müssen andere Forderungen auf die Tagesordnung in den betrieblichen Auseinandersetzungen, wie die Übernahme aller Leiharbeiter nach spätestens 3 Monaten. Nur ein komplettes Verbot von Leih- und Zeitarbeit und der Kampf um die Abschaffung anderer Formen prekärer Beschäftigung helfen aber langfristig. Leiharbeit ist ein Instrument, das einzig und allein den Kapitalisten dient – das lässt sich nicht „fair gestalten“.

Heide, Bremen

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