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Klassenkampf übers Handelsregister

veröffentlicht am: 14 Sep, 2020
Die rechtliche Spaltung der Arbeiterklasse schreitet voran

Seit im Zuge der Corona-Pandemie plötzlich die menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen osteuropäischer ArbeiterInnen in der Fleischindustrie ein öffentliches Thema wurden, sind Werkverträge in aller Munde. Unabhängig davon, dass miese Wohn-, Lebens- und Arbeitsverhältnisse kein Alleinstellungsmerkmal von „Fremdbeschäftigten“ sind, sondern „Stammbeschäftigte“ genauso betreffen können (und allzu häufig auch betrifft), wird das Ausmaß von Belegschaftsspaltung in der heutigen Wirtschaftsordnung dabei gerne verschwiegen.

Die Drohung der Auslagerung sitzt immer mit am Tisch

Das Prinzip hinter Werkverträgen ist einfach. Ein Kapitalist gibt einem anderen Kapitalisten den Auftrag, für ihn Aufgaben zu erledigen, was dieser dann mit „seinen“ ArbeiterInnen macht. Läuft zwar auch die einmalige Reparatur eines Wasserrohrs unter dem Label „Werkvertrag“, ist von Interesse vor allem die Vergabe von Daueraufgaben. Während die allermeisten Reinigungs-, Sicherheits-, Küchen- oder Wartungsdienste bereits auf dieser Basis ablaufen, hat sich das Prinzip im vergangenen Jahrzehnt auch mehr und mehr bei sog. „Kernaufgaben“ etabliert. Offiziell dient es der Qualitätssteigerung, tatsächlich geht es in den meisten Fällen um zweierlei: Spaltung der Arbeiterinnen und Verlagerung von Verantwortung auf einen wesentlich kapitalschwächeren Kapitalisten, bei dem dann im Falle der Nichtzahlung von Lohn oder Nichteinhaltung von Arbeitsstandards nicht viel zu holen ist. Das Ausmaß solcher Werkvertragsnutzung ist enorm: 91 % aller Unternehmen in Deutschland sind in irgendeiner Form als Werkvertragsgeber tätig, 88 % aller Unternehmen lagern mindestens einen Kernprozess und gut die Hälfte mindestens sowohl einen Kern- als auch einen Randprozess aus. Die Auslagerungsquote, d.h. das Verhältnis von selbstausgeführten zu „outgesourceten“ Aufgaben, liegt bei etwas mehr als 25 %. Die Drohung, dass bestimmte Tätigkeiten ausgelagert werden, sitzt bei Tarifverhandlungen also stets mit am Verhandlungstisch.

Einfallsreiche Kapitalisten

Ist es dann nicht aber begrüßenswert, dass Werkverträge und Leiharbeit zur Erfüllung von Kernaufgaben in der Fleischindustrie ab 2021 verboten sind? Definitiv. Aber stellt das Problem einen Baum dar, dann wurde damit nicht an die Wurzel gegangen, sondern ein Blatt abgezupft. Denn mehr als ein Fünftel aller Kernerwerbstätigen sind inzwischen atypisch beschäftigt, von allen Beschäftigungsverhältnissen sind es sogar 40%. Bisher hat es den Kapitalisten nie an Ideenreichtum gefehlt, wenn es darum ging, eine Spaltungsmethode durch eine andere zu ersetzen. So erfreut sich im Baugewerbe, wo Leiharbeit seit den 1980ern verboten ist, die Solo-Selbständigkeit größter Beliebtheit. Am Frankfurter Flughafen wurde Leiharbeit nach den letzten Gesetzesverschärfungen durch die Konstellation des „Gemeinschaftsbetriebs“ ersetzt, was die Belegschaftsspaltung nur in ein neues Gewand hüllt.

Der Kampf gegen jede Form der Belegschaftsspaltung, auf rechtlicher Ebene, vor allem aber in den Betrieben, sollte oberste Priorität haben. Ein Ende wird den Spaltungs- und Auslagerungsorgien des Kapitals aber erst dadurch gemacht werden können, dass die „Verantwortung“ für die ArbeiterInnen in andere Hände gelegt wird – nämlich ihre eigenen.

Daniel, Trier

Dieser Artikel erschien in der aktuellen Position, dem Magazin der SDAJ.

Zur genaueren Background-Info:

Gemeinschaftsbetriebe

Noch ist es eine Art „Geheimtipp“ in den lichtdurchfluteten Frankfurter Designerbüros der Kapitalanwälte, Leiharbeit und Werkverträge durch die sicherere Variante der „gemeinsamen Betriebe“ zu ersetzen. Worum handelt es sich dabei? Wenn ein Kapitalist einem anderen nicht nur Arbeitskräfte zu dessen freier Verfügung bereitstellt, sondern mit diesem zusammen die Verantwortung sowohl für dessen als auch die eigenen ArbeiterInnen übernimmt, liegt rechtlich weder Leiharbeit noch ein Werkvertrag vor. Die Beschäftigten arbeiten Seite an Seite, haben aber unterschiedliche Arbeitgeber, d.h. es gilt weder der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz noch haften die Kapitalisten z.B. für einen etwaigen Sozialplan gemeinsam. Zwar kann die Belegschaft anders als bei Leiharbeit einen gemeinsamen Betriebsrat wählen und es gilt ein unternehmensübergreifender Kündigungsschutz, aber das ist den Kapitalisten die Anwendung verschiedener Tarifverträge oder die Spaltung bei Weihnachts- und Urlaubsgeld im Zweifel wert. GewerkschafterInnen sollten diese Konstellation also besser im Auge behalten.

 

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