Wer macht die Revolution?

veröffentlicht am: 24 Apr, 2020

Lenins Eintreten gegen Opportunismus und Abenteuerertum und für die Einheit der Arbeiterklasse

Keine vier Jahre nach der erfolgreichen großen sozialistischen Oktoberrevolution in Russland toben die Klassenkämpfe in der neuen russischen Sowjetrepublik und weltweit ausgelassen. Während sich ArbeiterInnen in immer mehr Ländern ihre Rechte erkämpfen, stabilisiert sich zeitgleich das Kapital, bevor es Ende des Jahrzehnts in die größte Krise der bisherigen Geschichte des Kapitalismus kracht. Doch im Mai 1921, als der zehnte Parteitag der russischen KommunistInnen tagt, steckt der Kapitalismus in einer weltweiten Restaurationsphase. So jedenfalls sieht es Lenin.

 

Proletarische Offensive gegen die Kapitalisten

Der deutsche Komintern-Vertreter Karl Radek hingegen, noch beflügelt von geglückten und misslungenen Aufständen in den letzten Monaten, ist davon überzeugt, dass die revolutionäre Umbruchsperiode gerade erst losgeht und noch lange nicht an ihr (vorläufiges) Ende gelangt ist. In Deutschland zum Beispiel haben KommunistInnen im März 1921 versucht, die bürgerliche Staatsmacht anzugreifen. Doch die Zeit ist da (schon nicht mehr) reif für so einen Kampf um die Macht.

Wann ist die Zeit reif für die Revolution? Nach Lenin dann, wenn zwei Faktoren zusammenfallen: Erstens, wenn die Herrschenden nicht mehr herrschen können und zweitens, wenn die Beherrschten nicht mehr beherrscht werden wollen. Entscheidend dafür sind auf der Seite der Unterdrückten also ihr politisches Bewusstsein, ihr Organisationsgrad usw. Und auf der Seite der Herrschenden die Stabilität oder Krise des Systems, Einheit und Kämpfe zwischen den Herrschaftsfraktionen usw.

Die Offensiv-Strategie hingegen geht davon aus, dass die Arbeiterklasse und die KommunistInnen nur offensiv um die Macht kämpfen müssen, wenn sie die alten Herrscher stürzen wollen. Ihr „fehlt eine konkrete Analyse ganz bestimmter historischer Situationen“, wie Lenin in einer Kritik über Schriften von Georg Lukács und Bela Kun urteilt.

 

Streit in der kommunistischen Weltbewegung

In der Vorbereitung des 3. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (auch K.I. oder Komintern) treten diese Differenzen offen zutage. Der von Radek verfasste Entwurf für eine Kongress-Erklärung wird von Lenin zurückgewiesen. Bela Kun und August Thalheimer sollen den nächsten Entwurf schreiben, doch auch deren Entwurf bezeichnet Lenin als „Phrasen und linksradikale Spielerei“. Lenin hingegen setzt auf einen realistischen Weg, um die Kapitalisten zu schlagen. Dazu müssen die RevolutionärInnen das Kräfteverhältnis zwischen alter und neuer Herrschaft genau analysieren und die schwankenden Kräfte, die die alte Herrschaft noch unterstützten, zu sich hinüberziehen.

Denn: „Die Mehrheit (der Arbeiterklasse) haben die Kommunistischen Parteien noch nirgends erobert: nicht für die organisatorische Führung, aber auch nicht für die Prinzipien des Kommunismus. Das ist die Grundlage des Ganzen. Dieses Fundament der einzig vernünftigen Taktik ‚abzuschwächen‘ ist verbrecherischer Leichtsinn… Die Kommunistische Internationale muß die Taktik auf folgendem aufbauen: Man muß unentwegt und systematisch um die Mehrheit der Arbeiterklasse, in erster Linie innerhalb der alten Gewerkschaften, ringen. Dann werden wir bestimmt siegen, welche Wendung die Ereignisse auch nehmen mögen“, so Lenin noch vor dem 3. Weltkongress.

Im Klassenkampf immer flexibel bleiben

Im Juni und Juli 1921 tagt in Moskau der 3. Weltkongress der Komintern. Er bestätigt die Einschätzung von der vorübergehenden Stabilisierung des Kapitalismus und arbeitet daraus abgeleitet eine Strategie der Einheitsfront aus. Gemeint ist damit die Einheit der Arbeiterklasse über inhaltliche und parteipolitische Grenzen hinweg. Nur wenige Jahre, nachdem mit der Spaltung der Sozialdemokratie in ein reformistisches und ein kommunistisches Lager zwar die organisatorische Spaltung besiegelt wurde, gab es für die KommunistInnen keinen Grund nicht nach Zusammenarbeit für konkrete gemeinsame Ziele zu streben. Denn mit wem man im Klassenkampf auf einer Seite der Barrikade steht, ist Ergebnis der konkreten Situation und der Einschätzung der Kräfte und nicht von alten Freundschaften oder Grabenkämpfen. Die alte Clara Zetkin betont in der Diskussion auf dem 3. Weltkongress: „Ihr müsst Eurer Taktik die nötige Elastizität bewahren, um für alle Situationen gerüstet zu sein. Ihr müsst die Vorstoßkraft gewinnen, um in jeden Augenblick den Endkampf aufnehmen zu können, denn wir wissen nicht, ob nicht irgendwelche Ereignisse ihn herbeiführen, wie der Dieb in der Nacht kommt.“

Die Taktik der Kommunistischen Internationale…

Auch Lenin pflichtet ihr bei und spricht sich während den Debatten gegen die sogenannte Offensiv-Theorie aus: „Ich bestreite nicht unbedingt, daß die Revolution auch mit einer ziemlich kleinen Partei begonnen und zum siegreichen Ende geführt werden kann. Man muß aber wissen, mit welchen Methoden man die Massen für sich zu gewinnen hat. Dazu muß man die Revolution gründlich vorbereiten. Und da kommen die Genossen und erklären: Man muß die Forderungen ‚großer‘ Massen sofort fallenlassen. Gegen diese Genossen muß man den Kampf aufnehmen. Ohne gründliche Vorbereitung werden Sie in keinem Lande den Sieg erringen.“

Mit dieser deutlichen Kritik setzt sich Lenin mit anderen GenossInnen dann doch durch, diese Massenorientierung schlägt sich in den Beschlüssen des 3. Weltkongresses nieder und wird danach weltweit in den Kommunistischen Parteien diskutiert und umgesetzt. Diese Linie ist der Schlüssel, um aus den klugen Überlegungen weniger RevolutionärInnen eine breite Bewegung der Arbeiterklasse zu formieren.

 

…wird zur Taktik der deutschen Kommunisten

Nochmal Lenin im O-Ton vom Komintern-Kongress 1921: „Eine ganz kleine Partei kann genügen, um die Massen zu führen. In gewissen Augenblicken braucht man keine großen Organisationen. Um zu siegen, braucht man aber die Sympathie der Massen. Nicht immer ist die absolute Mehrheit erforderlich; doch um zu siegen und die Macht zu behaupten, ist nicht nur die Mehrheit der Arbeiterklasse erforderlich – ich gebrauche hier den Terminus ‚Arbeiterklasse‘ in westeuropäischen Sinne, meine also das Industrieproletariat –, sondern auch die Mehrheit der ausgebeuteten und werktätigen Landbevölkerung. Haben Sie darüber nachgedacht?“

Einer, der nach dem Kongress lange darüber nachgedacht hat, war Ernst Thälmann. Thälmann stand 1923 an der Spitze des Hamburger Aufstandes, der scheiterte. Einer der Gründe für das Scheitern war der noch zu wenig entwickelte Zustand der Kommunistischen Partei in Deutschland. Doch ein anderer war sicherlich eine zu positive Einschätzung des Kräfteverhältnisses. Thälmann stand ab 1925 an der Spitze der KP in Deutschland. Fünf Jahre nach dem wichtigen Weltkongress, bei welchem er selber noch für die Offensiv-Theorie eintrat und drei Jahre nach dem verlorenen Hamburger Aufstand stellt er fest: „Gerade wir, die damals in Opposition standen, müssen heute feststellen, wenn Lenin das Steuer nicht herumgerissen hätte, wenn die Kommunistische Internationale nicht nach einer wirklichen revolutionären marxistischen Analyse der Lage gehandelt hätte, wäre die Kommunistische Internationale von den Massen im weitesten Maße getrennt worden. Die Losung ‚Heran an die Massen!‘, die Einheitsfronttaktik, war der konkrete Ausdruck der veränderten Lage“.

Mark, München

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