„Sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg“

veröffentlicht am: 3 Dez, 2015

Die Geflüchteten, das Kapital und Wir

Mit „Refugees Welcome“ Schildern haben im Sommer dieses Jahres tausende Menschen die „trains of hope“, mit denen Geflüchtete über den Balkan nach Deutschland kamen, begrüßt. Mittlerweile droht die Stimmung zu kippen. Führende PolitikerInnen beschwören, dass die Kapazitäten zur Aufnahme von Geflüchteten erschöpft seien. Die Mittel sind tatsächlich begrenzt. Im sozialen Bereich, im Gesundheitswesen, auf dem Arbeitsmarkt – überall im Kapitalismus wird konkurriert, um KiTa-Plätze, um Versorgung, um Arbeitsplätze.

Entrechtete Arbeitskräfte

Bis ein Asylsuchender überhaupt das Recht erhält, einen Beruf auszuüben, vergeht eine lange Zeit. Nach drei Monaten im Bundesgebiet verfügen AsylbewerberInnen über eine sogenannte nachrangige Arbeitserlaubnis. Das bedeutet, dass ihnen Erwerbstätigkeit ausschließlich mit Erlaubnis der Ausländerbehörde gestattet ist. Die Ausländerbehörde prüft gemeinsam mit der Arbeitsagentur penibel, ob das vorhandene Jobangebot nicht auch von einem Deutschen oder Ausländer mit besserem Aufenthaltsstatus angenommen werden kann. Erst wenn sichergestellt ist, dass keinem „einheimischen“ Lohnabhängigen der Beruf weggenommen wird, kann ein Arbeitsvertrag unterschrieben werden. Erst nach einer Wartezeit von insgesamt 15 Monaten entfällt diese diskriminierende Vorschrift. Uneingeschränkte Arbeitserlaubnis erhalten zudem diejenigen, deren Asylantrag positiv beschieden wird – was selten der Fall ist. Ab dann ist das Jobcenter für sie zuständig, welches sie zu einem halbjährigen Integrationskurs verpflichtet. Danach stehen noch eventuelle Anschlussmaßnahmen wie Jobtrainings oder Praktika an. Auch Geflüchtete sind also vor den obligatorischen Warteschleifen nicht gefeit.

Zahlreiche Geflüchtete versuchen, ihre Bildungs- und Berufsabschlüsse aus der Heimat in Deutschland anerkennen zu lassen. Neben bürokratischer Hürden, wie dem Beschaffen ihrer Zeugnisse aus der kriegs- und krisengeprägten Heimat und der beglaubigten Übersetzung dieser auf Deutsch, werden die meisten Abschlüsse gar nicht oder nur auf dem untersten schulischen Niveau anerkannt. Konsequenz dessen ist, dass ihnen nur eine Beschäftigung im Niedriglohnsektor offen steht: Reinigungsfirmen, Pflegeeinrichtungen, Gärtnereien und handwerkliche Betriebe verlangen des weiteren keine umfassenden Deutschkenntnisse. In diesen Branchen ist die gewerkschaftliche Organisierung allerdings denkbar schlecht. Es werden kaum Arbeitsstandards eingehalten und die Bezahlung orientiert sich – wenn überhaupt – ausschließlich am Mindestlohn. Zu diesen spezifischen Problemen kommen solche hinzu, mit denen die deutsche Arbeiterklasse ebenso zu kämpfen hat. Wer kümmert sich beispielsweise tagsüber um die Kinder, wenn trotz Rechtsanspruch nicht ausreichend Betreuungsplätze vorhanden sind?

Im Interesse des Kapitals

Die großen Banken und Konzerne gehen die hohe Zahl an Geflüchteten pragmatisch an. Sie versuchen mit möglichst geringem Aufwand möglichst viele Arbeitskräfte für sich nutzbar zu machen. Beim Tag der deutschen Industrie am 3. November zum Beispiel machte der Unternehmerverband BDI unmissverständlich klar, was die deutschen Industrieunternehmen von der Bundesregierung erwarten. Gerne seien sie bereit, ihre über 600.000 freien Arbeitsplätze auch für Geflüchtete bereit zu halten, bot BDI-Präsident Ulrich Grillo an. Dafür müsse die Bundesregierung jedoch alle nötigen Voraussetzungen wie Sprachkurse, weitere Integrationsmaßnahmen sowie Kinderbetreuung und schulische Bildung sicherstellen. Steuererhöhungen und finanzielle Abgaben zugunsten der Integrationsarbeit würden sich die Industriellen jedoch verbieten. Sie fordern stattdessen eine verstärkte Finanzierung aus öffentlicher Hand. Die Unternehmer freuen sich also offensichtlich über bereits ausgebildete, motivierte Arbeitskräfte aus dem Ausland. Wenn der Staat auch noch den letzten Feinschliff an ihnen zahlt, sind sie aus nahezu allen Kosten raus. Geflüchtete sind für die Unternehmer extrem billige und weitgehend rechtlose Arbeitskräfte. Als besonders schlecht bezahlte Arbeitskräfte sind sie Quelle von besonders hohen Profiten, aufgrund ihres begrenzten Arbeitsmarktzugangs sind sie zusätzlich besonders erpressbar, besonders abhängig und daher flexibel einsetzbar – oft zu unmenschlichen Bedingungen. Diese Art der Integration ist es, die herauskommt, wenn außer dem allgemein-humanistischen „Refugees Welcome“ nichts passiert. Die aktuelle Integration der Geflüchteten ist im Interesse der Banken und Konzerne. Das ist weder für die Geflüchteten noch für uns gut.

Insbesondere aus Syrien kommen überdurchschnittlich viele akademisch gebildete Geflüchtete. Ingenieure, Ärzte und Facharbeiter, die arbeitswillig nach Deutschland kommen und für die außer der Finanzierung des Sprachkurses keine nennenswerten Mehrkosten entstehen. Folgerichtig sollen nach Auffassung der Bundesregierung und der Wirtschaftsbosse tendenziell nicht so gut (aus)gebildete Geflüchtete aus den Balkanländern und dem vom NATO Krieg gezeichneten Afghanistan schnellstmöglich wieder in ihre Heimat abgeschoben werden.

Solidarität statt Konkurrenz

Es ist richtig, dass v.a. im Niedriglohnsektor beschäftigte Geflüchtete als LohndrückerInnen gegen ihre deutschen KollegInnen eingesetzt werden. Es stimmt, dass vorgebildete Geflüchtete die Unternehmer billiger kommen als eine umfassende Ausbildung. Und es entspricht der Realität, dass die Plätze in Kitas angesichts hunderttausender minderjähriger Geflüchtete dieses Jahr knapper und die Schulklassen wieder voller werden. Die von rechten Protestbewegungen wie Pegida und faschistischen Parteien befeuerte Hetze, dass die in Deutschland Schutz suchenden Geflüchteten an Lohnsenkungen, Arbeitslosigkeit und Sozialabbau Schuld seien, ist Ablenkung. Wir sollen gegen die Flüchtlinge, nicht mit ihnen kämpfen. Es ist der allgemeine Mangel an Arbeitsplätzen, an Kinderbetreuung, an der Unterfinanzierung des Sozial- und Gesundheitswesens, der schlecht für uns und schlecht für die Geflüchteten ist. Es ist die Spaltung der arbeitenden Bevölkerung in Einheimische und MigrantInnen, in Beschäftigte und Erwerbslose, in Fachkräfte und Ungelernte, die es den Banken und Konzernen erst ermöglicht, ihre Interessen knallhart durchzusetzen. Nur wenn dieser Spaltung Solidarität entgegengesetzt und der gemeinsame Gegner bekämpft wird, sind die Rechte auf Bildung, Ausbildung und Arbeit durchsetzbar. Bisher sind die Ansätze der Gewerkschaften noch sehr zaghaft, MigrantInnen zu werben. An der gezielten Organisierung Geflüchteter führt, wenn wir den Kampf ernst nehmen wollen, kein Weg vorbei. Der Kampf für die Rechte der Geflüchteten ist ein Kampf für die Rechte aller Lohnabhängigen.

Sepp, Düsseldorf

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