„Leiharbeit muss zurückgedrängt werden!“

veröffentlicht am: 22 Apr, 2011

Die IG Metall in Thüringen kämpft gegen prekäre Beschäftigung. Ein Interview mit Kalle B. aus Südthüringen.

POSITION: Prekäre Arbeitsverhältnisse sind mittlerweile in fast allen Branchen zur Normalität geworden – gerade in Ostdeutschland. Wie sieht es in deiner Region aus?

Kalle: In Thüringen ist die Leiharbeitsquote mit 30 bis 50 Prozent relativ hoch. Sowohl die Tarifbindung als auch die Durchdringung mit Betriebsräten fällt hier sehr gering aus – insbesondere in Südthüringen. Stundenlöhne von 5.50 € im Metallbereich gibt es nicht nur bei Leiharbeitern, sondern auch bei den Stammbeschäftigten. Bei Bosch Eisenach wurde zum Beispiel mit Hilfe von IG Metall und Betriebsrat eine Besservereinbarung abgeschlossen, welche die Löhne von Leiharbeitern von 6.41 auf 11.71 Euro angehoben hat. Stammbelegschaften in anderen Betrieben können da nur neidvoll auf die Leiharbeiter bei Bosch blicken. Wenn Auszubildende in anderen Betrieben gefragt werden, ob sie nach ihrer Ausbildung übernommen werden wollen, ist die Antwort nein. Sie wollen lieber Leiharbeiter bei Bosch werden. Das macht doch deutlich, wie schlecht die Arbeitsbedingungen insgesamt sind!

POSITION: Wie geht die IG Metall mit dieser Situation um?

Kalle: Die IG Metall in Thüringen hat sich entschieden, aktiv auf Belegschaften und Mitglieder zuzugehen und ihnen Hilfe bei der Gründung von Betriebsräten anzubieten.
Als Erstes soll klar gestellt werden: Die beste Leiharbeit ist keine Leiharbeit. Leiharbeit dient heute nicht mehr nur dazu, Produktionsspitzen abzufangen. Sie wird von den Arbeitgebern ganz bewusst genutzt, um flexibler zu sein. Und sie wirkt sich auch auf die Festangestellten aus – die viel leichter erpressbar sind. Die Leiharbeiter selbst sind häufig schwer zu mobilisieren. Insgesamt wird dadurch die Kampfkraft extrem geschwächt.
Aber nicht nur Leiharbeit ist ein Thema, sondern die ganze Palette der atypischen Arbeitsverträge. Ziel müssen reguläre und unbefristete Arbeitsverhältnisse sein. Grundlage dafür und so notwendig wie ein Stromanschluss im Betrieb ist daher ein Betriebsrat.
Die IG Metall will nach und nach in jedem Metallbetrieb einen Betriebsrat gründen.
Nach gut einem Jahr sind Erfolge sichtbar: Neben mehreren hundert zusätzlichen Eintritten in die IG Metall gibt es etwa 30 Betriebe mit neuem Betriebsrat. In mehreren Betrieben finden Tarifverhandlungen statt – erstmalig!

POSITION: Was ist denn dabei das Erfolgsrezept?

Kalle: Das gelingt durch relativ einfache Rezepte. Leute ansprechen und auf die IG Metall und die Gründung von Betriebsräten verweisen. In Gesprächen über betrieblichen Fragen gehört die Frage nach einem Betriebsrat immer dazu.
Im weiteren Schritt finden mit Interessierten Gespräche statt über den Verlauf einer Betriebsratswahl und was dabei alles so passieren kann. Manchmal im Büro, manchmal auf einem Dachboden eines Kollegen oder auch in einer Kneipe.
Die IG Metall begleitet jeden Schritt hin zu einem Betriebsrat und unterstützt die Aktiven. Sie macht in der Regel auch den ersten Aufschlag und setzt sich mit den jeweiligen Geschäftsführern in Verbindung.

POSITION: Hat die Gründung von Betriebsräten auch Auswirkungen auf die Leiharbeitsverhältnisse?

Kalle: Auf jeden Fall. Das ganze System der Leiharbeit wird durch Betriebsräte eher hinterfragt. Über Schulungen der IG Metall wird Leiharbeit thematisiert. Die Betriebsräte werden sensibilisiert dafür, dass Leiharbeit auch schlecht für die Festangestellten ist.
Außerdem: woher kommt es denn, dass gerade hier in der Region die Leiharbeit so verbreitet ist? Während der Krise gab es in den Betrieben hier so gut wie keine Kurzarbeit – die Arbeiter wurden zum großen Teil einfach entlassen und bei verbesserter Auftragslage als Leiharbeiter wieder eingestellt. Das wäre sicher anders gewesen, hätte es mehr Betriebsräte gegeben.

POSITION: Versucht die IG Metall denn auch die Gründung von Betriebsräten in Leiharbeitsfirmen selbst zu unterstützen?

Kalle: Ja, auch in diesen Betrieben werden Betriebsratswahlen angestrebt. Man muss bedenken, dass die Beschäftigen einer Leiharbeitsfirma in mehreren Betrieben mit unterschiedlichsten betrieblichen Bedingungen beschäftigt sind. Das ist eine Herausforderung, aber lösbar. Schwieriger ist es mit der Motivation. Die größte Angst von Leiharbeitern, die an einen guten Betrieb ausgeliehen sind, ist es, da wieder abgezogen zu werden. Deshalb kämpfen sie häufig nicht für ihre Rechte. Viele haben resigniert. Die Überzeugungsarbeit, die man da zu leisten hat, ist enorm. Das Entscheidende ist aber die aktive und progressive Haltung der Gewerkschaft insgesamt. Also, dass sie aktiv auf die Betriebsräte zugeht und Leiharbeit immer wieder thematisiert. Die Betriebsräte sollen mit den Leiharbeitern reden und gemeinsam mit ihnen und den Festangestellten gegen prekäre Bedingungen kämpfen. Auch wenn die Forderung nach gleicher Bezahlung die richtige Einstiegsforderung ist, muss es doch am Ende um die Zurückdrängung der Leiharbeit gehen – was bei den Betriebsräten der Stammbelegschaften oft nicht selbstverständlich ist. Die Beschäftigten und die Leiharbeiter erleben aber, dass so Veränderungen möglich sind. Und das ermutigt, und atypische Arbeitsverhältnisse können zurückgedrängt werden.

Das Interview führte
Jella, Hamburg

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