Lügenpresse?

veröffentlicht am: 7 Jul, 2016

Alternativlosigkeit, soziale Spaltung und Kriegsideologie sind nicht zufällig vorherrschend in der öffentlichen Meinung

Vor zwei Jahren wurde der Begriff „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres gekürt. Mehr und mehr Menschen verlieren ihr Vertrauen in die Nachrichtenmeldungen, es wird sogar von einer Medienkrise gesprochen. Wie stark beeinflussen die Medien unsere Meinung, was ist dran an der Gleichmacherei?
Ziemlich viel, wie es scheint. Denn in Deutschland haben die zehn großen Medienkonzerne mehr als den halben Medienmarkt in ihrer Hand. Bei den Boulevardblätter hat der Axel-Springer-Konzern, der auch die BILD-Zeitung herausgibt, 80 Prozent in der Hand. Das Privatfernsehen ist unter zwei Medienmultis aufgeteilt, die zwei Drittel aller ZuschauerInnen erreichen. Und natürlich vermitteln diese in ihren Zeitungen, Magazinen und TV-Sendern eine gewisse Meinung. Dass dem so ist, lässt sich relativ einfach nachweisen. Dazu reicht ein Blick in die Leitartikel der großen deutschen Zeitungen zum Thema Krieg und Frieden.
Und die Berichterstattung scheint zu fruchten: Während jahrelang alle Umfragen eine Meinungsmehrheit gegen Bundeswehr-Auslandseinsätze ermittelten, gibt es zum neuesten Syrieneinsatz nun sogar eine Unterstützung von über 50% der Deutschen.

Neutrale oder plurale Medienlandschaft?

Stern-Redakteur Hans-Ulrich Jörges meint, wer das System kennt, „der kann genau Journalisten zu Politikern zuordnen, der weiß dann auch, dass diese Kollegen in Wahrheit zu Medienreferenten geworden sind“ (Foto: Wikimedia)

Stern-Redakteur Hans-Ulrich Jörges meint, wer das System kennt, „der kann genau Journalisten zu Politikern zuordnen, der weiß dann auch, dass diese Kollegen in Wahrheit zu Medienreferenten geworden sind“ (Foto: Wikimedia)

Doch auch die BILD-Zeitung hat in der Eurokrise schon über „gierige Manager“ berichtet. Aber für ausgewogene Berichterstattung spricht das nicht. Schließlich hetzt sie auch gegen „Sozialschmarotzer“, zu denen sie keine Manager sondern „Hartz-IV-Betrüger“ zählt. Der Sozialwissenschaftler Werner Seppmann sieht hier eine Linie, die sich durch den Medienkomplex zieht: „Orientiert sich Entertainment an den Prinzipien der Kurzweiligkeit, so ist die Nachricht dem Sensationellen verpflichtet; ihr gemeinsamer Nenner ist Zerstreuung und Ablenkung“. Über die Hintergründe von sozialer Armut, wie dem Hartz-IV-Zwangssystem, über die Gründe für Arbeitslosigkeit und mangelnden Sozialstaat wird nichts geschrieben. Stattdessen kann man sich im Privatfernsehen angucken, wie sie angeblich sein soll, die Welt der „Hartzer“. Die im Drehbuch vorgeschriebene Welt der Reality-Dokus lässt uns soziales Elend konsumieren und als „normal“ erscheinen. Vor allem aber lenkt es von den Hintergründen sozialer Not und Perspektivlosigkeit ab.
Zum Glück gibt es noch das freie Internet. Da könne man sich selber aussuchen, was man ließt und wer einem die Nachrichten serviert. Als ob das so einfach wäre: Schließlich ist schon in der realen Welt die Informationsflut unüberschaubar groß. Doch in der im Internet astronomisch höheren Menge an Wahrheiten wird selektiert. Bestimmend sind dabei auch im digitalen Netz die Monopole: Google und Facebook beispielsweise bestimmen, welche Nachricht mir zuerst ins Auge springt.
So oder so ist die Auswahl dessen, was mir wichtig erscheint, durch Marktmechanismen bestimmt: 80% bis 90% der Jugendlichen in Deutschland halten Fleiß, Ehrgeiz und Unabhängigkeit von anderen für „eigenverantwortliches Leben und Handeln“ für relevant. Lasse ich mich von diesen Werten leiten, kann ich die Realität nur in Ausschnitten wahrnehmen. So, dass ich befähigt werde erfolgreich zu sein, um den kapitalistischen Alltag zu überstehen. Jedoch nützt mir noch so viel Leistungsstreben nichts, wenn die Realität an der Tür klopft. Da kann mir die sozialpornographische RTL-Unterhaltung die Geschichte von den faulen Arbeitslosen erzählen, die in einer Welt leben würden, in der ja jeder Arbeit finden würde, der nur arbeiten will. An den echten Erlebnissen, die man selber oder Freunde und Familie im Jobcenter sammeln kann, ändert das wenig.
Doch vielleicht sind die eigenen Erlebnisse ja nur Ausnahmen? Die sich immer wiederholende Darstellung des Alltags und seiner Herausforderungen setzen darauf, dass die Ungleichheit natürlich ist. Denn die Momentaufnahme steht scheinbar über allem. Weder die Situation noch die Hintergründe scheinen durchschaubar, geschweige denn veränderbar. Hier erfüllt das herrschende Denken einen ganz offensichtlichen Zweck für die Herrschenden: Wir werden belogen, auf vielfältigste Weise.

Die herrschenden Gedanken sind immer die Gedanken der Herrschenden
Besondere Wirkung entfaltet die Meinungsdominanz als ideologische Komponente der Offensive des Kapitals. Seitdem vor knapp 25 Jahren mit dem Ende des Sozialismus in Europa das „Ende der Geschichte“ eingeläutet wurde, wird vor allem die Anti-Kriegs-Haltung massiv angegriffen. Das geht bis in die Gewerkschaften: Selbst von manchen DGB-Vertretern wird ein Zusammenhang zwischen Kritik an der US-amerikanischen und im Nahen Osten an der israelischen Kriegspolitik mit antisemitischen Einstellungen konstruiert. Und die Spitze des DGBs hat sogar schon einen „Workshop zu Friedens- und Sicherheitspolitik“ zusammen mit der Bundeswehr durchgeführt. Auch in der Linkspartei sind antideutsche Denkmuster und die Anerkennung der deutschen Armee – als potentiell friedenssichernd – keine Seltenheit mehr. Dabei ist der imperialistische Krieg und das damit einhergehende Elend das krasseste Beispiel, wie Widersprüche verursacht werden, damit sie von den Herrschenden wieder ausgenutzt werden, um die Arbeiterklasse in den nächsten Krieg zu zerren.
Dass es keinen „gerechten“ imperialistischen Krieg geben kann, ist der Grund warum sich die jeweiligen Feldherren immer gezwungen sehen zu lügen, um den Krieg herbeizuführen. Schon Hitler z.B. hat in falschen Uniformen den Überfall auf einen Radiosender inszenieren lassen, um dann „zurück“ zu schießen. Der erste Angriffskrieg an dem Deutschland nach 1945 beteiligt war, wurde mit der Verhinderung eines angeblichen neuen „Holocaust“ (!) auf dem Balkan begründet. Und als die USA den letzten Irak-Krieg vor dem UN-Sicherheitsrat begründeten stellte sich ihre Behauptung, der Irak besäße Massenvernichtungswaffen, schnell als plumpe Lüge heraus. Für einen kurzen Moment scheint der damalige US-Außenminister beim Lügen ein schlechtes Gewissen gehabt zu haben, schließlich wurde Picassos Bild „Guernica“ im UN-Hauptquartier für die Lügen-Präsentation mit dem Blauen UN-Logo verhüllt.
Aber das Gewissen der jeweiligen Herrschenden ist nicht entscheidend, sondern die Logik, nach der die Herrschenden als Klasse ihre Handlungen ausrichten. Und bevor die Leute anfangen, diese Logik zu hinterfragen, sind Politik und Monopolmedien sofort wieder dabei unliebsame Staatschefs zu dämonisieren. In diesen Fällen heißen Regierungschefs lieber „Machthaber“ oder „Diktator“. Oder Kriege werden als globale Polizeieinsätze oder humanitäre Interventionen verniedlicht. In diesem Fall sei es „unsere“ Verantwortung „einzugreifen“. Schon der alte Bismarck frage seine Mitarbeiter auf der Suche nach einer Rechtfertigung für seine Kolonialbestrebungen: „Kann man nicht schaurige Details über Menschenquälerei auftreiben?“. Wenn diese Sprachregelung in den zahlreichen Netzwerken von Politikern und Journalisten übernommen wird, dominiert sie auch die Schlagzeilen.

Was tun? Kämpfen!

Dieser Artikel ist aus der aktuellen POSITION, dem Magazin der SDAJ. Du kannst es für 10€ jährlich abonnieren oder Dir erstmal eine Ausgabe zuschicken lassen (Mehr Infos siehe unten)

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Doch man darf sich nicht einlullen lassen von Alternativlosigkeit und Ideologiefreiheit. Sich dem nicht hinzugeben, erfordert eigenständiges Denken und Kritikfähigkeit. Statt sich der falschen Realität des Internets hinzugeben, die doch neben dem verbindendem in der Cloud hauptsächlich isoliert im Real-Life, braucht es eine Gegenöffentlichkeit. Wenn wir die real-existierenden, täglich sichtbaren Widersprüche thematisieren, können wir anfangen die Gleichmacherei der Gedanken zu brechen. Das beginnt im Konkreten: Wo immer die Logik und Ungerechtigkeit des Profitsystems oder des Krieges erfahrbar wird, sollte man sich nicht ablenken lassen sondern die Diskussion eben darum führen. „Wo immer“, ist ganz konkret dort, wo wir leben und arbeiten oder zur Schule gehen.
Das Diskutieren kann gut dabei helfen, die Welt zu erkennen. Und eben dieses Erkennen ist ganz schön hilfreich, schließlich lässt sich die Welt dann auch verändern. Denn zur Kriegspolitik und zur sozialen Ungerechtigkeit gibt es auch Alternativen, die diesen Namen verdienen. Wenn sich AfD und Pegida als Gegenspieler der „Lügenpresse“ aufspielen, muss man sich mit Blick auf ihre Forderungen klar machen, dass auch sie sich im Rahmen der herrschenden Ideen und Interessen bewegen. Sie wollen spalten in Deutsche und Ausländer und die Sozialsysteme zerschlagen.
Wenn wir uns jedoch außerhalb dessen bewegen und den Blick von unserem Interesse heraus richten, bekommen wir einen Blick auf’s Ganze. Wir müssen aufzeigen, wo soziale Spaltung und Krieg herkommen und wer daran verdient. Dann lassen sich die Kriegstreiber auch überall dort benennen, wo sie sitzen: Im Militär, in der Rüstungsproduktion und in der Politik ebenso wie in zahlreichen Stiftungen, Think-Tanks und Redaktionen der Leitmedien – es sind eben die Herrschenden als Klasse und ihre Handlanger. Je deutlicher wir diesen Zusammenhang für unsere KollegInnen und Freunde in Schule, Uni und Betrieb deutlich machen, desto offensichtlicher prallt die Kriegspropaganda auf die Realität. Vielleicht ändern sich die Zustimmungszahlen zum Syrieneinsatz doch noch.

 

Mark, München

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POSITION #3/2016
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