Bologna und die „Bildungsrepublik“

veröffentlicht am: 6 Mrz, 2011

Wie Bologna unsere Bildung klaut.

Die Bologna-Erklärung aus dem Jahre 1999 ist eine Ansammlung vager Formulierungen, die durchaus reale Probleme des Bildungssystems aufgreift: Erleichterung des Hochschulzugangs, gegenseitige Anerkennung von Bildungsabschlüssen europaweit, Angleichung/Vergleichbarkeit der Lehrpläne sowie Lifelong Learning (Lebenslanges Lernen) und Employability („Beschäftigungsfähigkeit“) sind Stichworte, die zum Teil gewerkschaftlichen Diskursen entlehnt sein könnten. Was soll auch schlecht daran sein, den Bachelor an der Ruhr-Uni mit einem Auslandsemester an der Pariser Sorbonne aufzupeppen, um anschließend seinen Master in Barcelona zu machen? Was soll schlecht sein an einem praxisnahen Studiengang, wenn mir nach dem Abschluss der Weg ins Berufsleben ohne Umwege offen steht, ohne nervige Praktikas und Probearbeiten? Und auch der Hochschulzugang für Menschen ohne Abitur steht seit Jahrzehnten auf der bildungspolitischen Wunschliste der Gewerkschaften.

Bologna konkret

Ein Begriff wie „Employability“ deutet es schon an: Die Unternehmen haben immer speziellere Anforderungen, wollen aber die Ausbildungskosten abwälzen. Egal, ob die Schulen und Hochschulen zu Arbeitskräfte-Zulieferbetrieben werden oder wir uns selber um unsere Ausbildung kümmern müssen, zahlen sollen wir in jedem Fall – über Gebühren, Teilnehmerbeiträge oder Steuern.

Auch das Lebenslange Lernen, was ja darauf hindeutet, dass mit der Aneignung von Bildung nach dem Abschluss nicht Schluss sein kann, wird zur Weiterbildungspflicht: Die Anforderungen der Arbeitgeber wandeln sich, und wir sollen uns laufend anpassen – meist auf eigene Kosten und in der Freizeit.

Deutschland gibt die Richtung an

Soziale Selektion schon in der Schule, Verknappung des Hochschuletats, Einführung von Studiengebühren in einigen Bundesländern, Hochschulrankings, Elitebildung…

Seit den 1990er Jahren geht es in der deutschen Bildungspolitik nicht mehr um die Reproduktion von gut ausgebildeten Arbeitskräften, sondern um die Erschließung neuer Märkte. Der Studierende soll auf den zukünftigen Arbeitsplatz spezialisiert werden – bei gleichzeitig kräftigen Gewinnen für private Bildungseinrichtungen.

Wie wir uns „fit“ machen für den Arbeitsmarkt, liegt in unserer eigenen Verantwortung, hängt also davon ab, was wir an Verwertbaren von Haus aus mitbringen (Geld, Kompetenzen, Kontakte). Wer für eine teure Hochschule oder einen Auslandsaufenthalt kein Geld hat, muss dann eben an der Billig-Hochschule am Ort bleiben oder einen „Bildungskredit“ aufnehmen, dessen Rückzahlung schließlich die Zukunftsplanung vieler junger Menschen beeinträchtigt. Diese ökonomischen Zwänge bewirken eine ungerechte Selektion, die vor allem diejenigen benachteiligt, die nicht aus einem reichen Elternhaus kommen.

Vor Bologna war Gütersloh

Diesen Bildungstrend verdanken wir neben unserer eigenen Schwäche nicht unwesentlich dem CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) der in Gütersloh beheimateten Bertelsmann Stiftung – einem Think Tank dieser „neuen Bildungspolitik“. Wer beim CHE-Hochschulranking (kosten- und kritiklos verbreitet u.a. durch zahlreiche Studizeitschriften) schlecht abschneidet, der hat ein Problem: Forschungsgelder und die so wichtige Anwerbung von „hochbegabten“ Studierenden bleiben aus. Das Kriterium für diesen Fall ist meistens die „Unwirtschaftlichkeit“ einer Hochschule.

Was vom CHE eh schon geplant war, wird mit dem Hinweis auf die internationale Dimension der Bologna-Reformen beschleunigt umgesetzt: Mehr Konkurrenz unter den Hochschulen um knapp gehaltene öffentliche Mittel, mehr soziale Selektion (nicht jede[r] soll den Master machen dürfen), Einsparung von Millionenbeträgen im öffentlichen Bildungsbereich durch Verkürzung der Studiendauer und Aufblähen der Stundenpläne, Ausrichtung vor allem der Bachelor-Studiengänge auf bestimmte Berufsfelder (tw. auf bestimmte Betriebe) usw.

Zum Weiterlesen:

Gütersloh weiß Rat

Gerade mit der „Vergleichbarkeit“ der Bildungsabschlüsse und der Quantifizierung uns verabreichter Bildungshappen hat uns das CHE mit seinen willigen Helferlein in den Ministerien wirklich einen eingeschenkt. Vom Zentralabitur über eine Krankheit namens ECTS (European Credit Transfer and Accumulation System) bis hin zur Dauerabfragung von unverdautem Wissen durch Modulprüfungen sind Studierende ständig gezwungen, Anforderungen zu erfüllen, die über Wohl und Wehe unseres Lebenslaufes bzw. der Endzensur bestimmten. Aber das CHE weiß Rat: sauteure Vorbereitungskurse, die Schüler/-innen und Studierende passgenau auf Prüfungen vorbereiten, haben sie bereits im Angebot (Juristen kommen seit langem kaum ohne aus). Auffällig ist, dass solche herrschaftssichernde Studiengänge durch ökonomische Zwänge vor allem dem Kleinbürgertum zur Verfügung stehen. Und auch die Unterfinanzierung der Forschung an den Hochschulen ist kein Problem, wenn es einen starken Partner aus der Wirtschaft gibt, der dann auch gleich bestimmt, was geforscht wird. So kostengünstig kommen Kapitalisten sonst nie an eine Forschungsabteilung.

Unsere Kritik am Bologna-Prozess kann nicht davon ausgehen, dass wir es wesentlich mit Umsetzungsmängeln zu tun haben. Sie muss gezielt die Institutionen (z.B. das CHE) angreifen, die erfolgreiche Bildungspolitik an Profitabilität messen. Erfolgreiche Bildungspolitik kann nicht Selektion, Prüfungsstress und teure Vorbereitungskurse beinhalten, sie muss den Weg zu einer demokratischen Hochschule nach unseren Wünschen öffnen.

Lars Mörking, Osnabrück

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