An der Schule und in der Stadt – SchülerInnen und SDAJ gegen rechte Brandstifter, Kriegseinsätze und die Junge Union.

Bildschirmfoto 2016-04-13 um 12.42.40Es ist ein sonniger Donnerstagmorgen. Lisa steht vor dem Haupteingang ihrer Schule und wartet auf Nellie, ihre Freundin, die gerade aus dem Copy-Shop eine Straße weiter kommt. Es ist noch etwa eine halbe Stunde bis zum Unterrichtsbeginn. „Hast du die Zettel,“ fragt Lisa. „Ja, es kann losgehen“, antwortet Nellie, noch etwas außer Atem. Als die beiden gerade das Schulgebäude des Schiller-Gymnasiums in Witten betreten wollen, werden die beiden angesprochen. „Du bist doch Nellie, oder?“, fragt Winald, ein Mitschüler der beiden. „Äh, ja“, antwortet Nellie zögerlich. Eigentlich kennen sie sich nicht. „Hängt ihr immer heimlich die Zettel in der Schule auf?“, fragt Winald etwas schüchtern, und setzt dann nach: „Kann ich vielleicht mitmachen?“
Seit zwei Wochen hängen im Schiller-Gymnasium immer wieder kleine, selbstgemachte Plakate, in den Klassenräumen liegen Handzettel aus und Tafeln sind beschrieben: „Warum liefert Deutschland Waffen an IS-Unterstützer-Staaten?“, „Refugees Welcome“ oder „Hände weg von Syrien!“ steht darauf zum Beispiel. Nach ein paar Stunden sind die meisten Plakate von den Lehrern wieder abgerissen. Aber es dauert nicht lange, bis wieder neue angebracht sind.
Ein paar Tage später, nach einer weiteren Aktion mit Flyern und Plakaten, bekommt Lisa zu Hause eine Nachricht. Costa, ein Mitschüler, schreibt ihr: „Frau Weiler hat nach dir gefragt. Du sollst zum Schulleiter!“ Währenddessen wird Nellie schon aus dem Unterricht geholt. Ihnen wird vorgeworfen „schulfremde Druckschriften“ im Schiller-Gymnasium verbreitet zu haben. Das sei verboten und sie seien dabei gesehen worden. „Das war wie ein Verhör“, beschreibt Lisa danach die Situation. „Da sitzen zwei Lehrer und die Schulleitung, gucken böse und stellen Fragen.“ Anfang nächster Woche kommen die Briefe mit den Missbilligungen, der Vorstufe zum Schulverweis, per Einschreiben.

Gegen Rassismus und Gewalt
In der Nacht auf den 25.01.16 brennt in Witten eine gerade eingerichtete Flüchtlingsunterkunft fast vollständig ab. Die Polizei geht von Brandstiftung aus, über die Motive der Täter kann natürlich nichts gesagt werden. Nur wenige Tage zuvor hatte in Witten das erste Treffen einer rechten Bürgerwehr stattgefunden. Schon am Dienstag trifft sich das Ennepe-Ruhr-stellt-sich-quer-Bündnis. Diesmal sind auch Vertreter der großen Parteien da, außerdem die Kirchen, Anarchisten und auch Jonas, als Vertreter der SDAJ. Nach einiger Diskussion findet sich eine Mehrheit für eine Demonstration unter dem Motto „Gegen Rassismus und Gewalt“, statt dem erst vorgeschlagenen Gedenkgottesdienst mit Lichterkette. „Wir haben dann versucht an unserer Schule für die Demo zu mobilisieren“, erzählt Lisa. „Aber auch hier hat uns die Schulleitung wieder versucht Steine in den Weg zu legen.“ Immerhin: Nach zähen Verhandlungen dürfen die beiden Freundinnen Durchsagen über die Lautsprecheranlage machen und durch alle Klassen gehen und über die Demo informieren- allerdings nur in Begleitung eines Mitglieds der Schülervertretung (SV). Dass Lisa Stufensprecherin und ebenfalls in der SV ist, spielt für die Schulleitung keine Rolle. Auch dass die frisch gegründete BezirksschülerInnen-Vertretung auch zur Teilnahme aufruft, tut nichts zur Sache. „Sonst beschweren sich wieder bestimmte Personen“, ist das zentrale Argument der Schulleitung. Die Demo ist ein voller Erfolg. Über 1.000 Menschen beteiligen sich in der Kleinstadt an dem Zug durch die Innenstadt. Lisa und Nellie laufen bei der SDAJ mit, die laut Westdeutscher Allgemeiner Zeitung (WAZ) auf der Demo „nicht zu übersehen“ war. „Das beste war, als ich mit einem aus der SV gesprochen habe“, erzählt Lisa lachend, „er hat gesagt, der Schülersprecher hätte ihn angewiesen sich von mir fern zu halten, weil ich in der SDAJ sei! Aber er ist dann trotzdem zur Demo gekommen.“

Illegale Meinungsäußerungen?
Ebenfalls in der WAZ erscheint tags darauf eine Presseerklärung der Jungen Union (JU) Witten, die sich besorgt zeigt: Linksextreme Gruppierungen wie die SDAJ würden die Debatte nach dem Brandanschlag instrumentalisieren. Ferner sei es nicht hinnehmbar, dass die SDAJ an einer Wittener Schule habe werben dürfen. Gleichzeitig hat sich die JU weder an der Demo, noch am Bündnis beteiligt – trotz wiederholter Einladung.
„Dahinter steckt vor allem Nicholas.“, meint Lisa. Nicholas ist 17, Mitglied der JU in Witten, besucht ebenfalls das Schiller-Gymnasium und geht mit Nellie in den gleichen Geschichtskurs. „Ich vermute mal sehr stark, dass er es auch war, der uns bei der Schulleitung angeschwärzt hat. Sein Wort hat irgendwie mehr Gewicht als das anderer Leute – sein Vater ist ein hohes Tier bei VW.“, ergänzt Nellie. In der Schule kippt in dieser Situation die Stimmung. Erst hatten viele MitschülerInnen Sympathien für die „illegalen Meinungsäußerungen“ der Gruppe um Nellie und Lisa, die nach und nach auch weitere „Mittäter“ gewinnen können. Jetzt wird es deutlich komplizierter. „Ich bin es ja gewohnt, dass Nicholas versucht mich zu mobben, aber diese Verunglimpfungen haben ziemlich verletzt“, beschreibt Nellie ihre Situation.
In den folgenden Tagen bricht ein Shitstorm auf der Website der WAZ und in den Leserbriefspalten los. Kaum jemand kann die Haltung der JU nachvollziehen. Jonas kommentiert: „Das ist gut, denn faktisch spielt die JU den Rassisten von NPD und AfD in die Hände und diskreditiert den Protest gegen den Brandanschlag. Ein Anschlag, für den auch die Regierung aus CDU und SPD mitverantwortlich ist, denn Massenunterkünfte für Flüchtlinge, die immer weitere Abschaffung des Asylrechts und der laufende Sozialabbau aller Regierungen der letzten Jahre sind der Boden, auf dem Rassismus und Faschismus gedeihen.“

Total überzogen
„Das war ein mega gutes Gefühl“, erzählt Lisa. „Nach der Presseerklärung der SDAJ, die auch teilweise in der WAZ abgedruckt wurde und den Beiträgen von anderen, ist vielen klar geworden, um was es hier geht.“ In der Schule wird jetzt viel diskutiert. Als ein Mitschüler erfährt, dass Nellie und Lisa eine Missbilligung bekommen haben, meint er: „Wie albern ist das denn?! Das ist doch total überzogen!“ Das Thema wird auch im Unterricht aufgegriffen. In Nellies Geschichtskurs geht es um Flüchtlinge. Viele Mitschüler meinen, dass Kriegsflüchtlinge schon kommen dürfen, Wirtschaftsflüchtlinge hingegen nicht. Nellie hält dagegen: „Niemand flieht freiwillig. Und die Bundesrepublik ist daran nicht unschuldig, siehe Waffenexporte.“ Und Lisa und Nellie finden auch hier Unterstützung: „Der Grund ist der Profit. Das ist im Kapitalismus so, nur das Geld zählt“, meint daraufhin ein Mitschüler. „Da war ich schon ein bisschen stolz“, meint Nellie.
„Das letztlich Entscheidende ist doch“, sagt Lisa, „Nicholas hat sich in der Schule genauso blamiert wie die JU in der ganzen Stadt und die SDAJ, naja, die SDAJ ist jetzt überall bekannt, als die Kraft, die sich weder von Schulleitungen noch sonst irgendwem was sagen lässt und konsequent gegen rechte Brandstifter, Kriegseinsätze und Rassismus steht.“

Jann, Essen

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Dieser Artikel erschien in
POSITION #2/2016
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