Immer wieder montags

veröffentlicht am: 19 Feb, 2016

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Bodentruppen für die autoritäre Rechtsverschiebung

Was in Dresden im Herbst 2014 mit circa 350 TeilnehmerInnen begann, zwischenzeitlich auf rund 20.000 Demonstrierende anwuchs und kurz vor dem Weihnachtsfest mit dem gemeinsamen Singen von „Stille Nacht, heilige Nacht“ am Königsufer der sächsischen Landeshauptstadt einen scheinbar beschaulichen Jahresausklang fand, ist mehr als ein bloß überdimensioniert geratener regelmäßiger Abendspaziergang an der Elbe. Die immer wieder Montags zusammengetrommelten „Wutbürger“, die es unter dem Kürzel PEGIDA („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) zu bundesweiter und internationaler Bekanntheit gebracht haben, sind der erfolgreichste rechte Massenaufmarsch in diesem Land seit langer Zeit. Dieser Erfolg besteht nicht nur in der beachtenswerten Kontinuität und in der Anzahl der für diese Zwecke auf die Beine gebrachten Personen.

Umfunktionierer und Antreiber

Vor inzwischen gut drei Jahrzehnten unterbreitete der marxistische Sozialwissenschaftler Reinhard Opitz (1934-1986) in einem immer noch lesenswerten Buch, „Faschismus und Neofaschismus“, einen überzeugenden Vorschlag, um die Funktionalität faschistischer Gruppierungen in ihrer Bedeutung für den Imperialismus zu bestimmen. Er konstatierte, dass solchen Bewegungen eine Reihe dem Monopolkapital nützlicher und geradezu systemnotwendiger Funktionen zukommt, wodurch sich ihre erstaunlich schonsame Behandlung in allen parlamentarisch regierten monopolkapitalistischen Demokratien erklären lässt. Zu diesen Funktionen zählte er das Auffangen beziehungsweise die Ableitung und Umfunktionierung von Protestpotentialen („Sammlung der von den monopolkapitalistischen parlamentarischen Parteien sich abkehrenden und vom systemkonformen politischen Integrationsmechanismus des ‚Regierungs-Oppositions‘-Spiels nicht mehr einzufangenden […] Bevölkerungsschichten“), eine Alibifunktion für reaktionäre Regierungspolitik („Berufungsmöglichkeiten der Regierung auf Forderungen in der ‚Öffentlichkeit‘“) sowie ein aktives Antreiben in der Rechtsentwicklung. „In Rebellion gegen die richtig als ungerecht empfundenen Verhältnisse, aber den Kopf vollgefüllt mit der Ideologie der Herrschenden, äußert sich der Protest als Protest gegen das linke Protestpotential und als Anklage gegen die Herrschenden, die als unbefriedigend empfundenen Verhältnisse dadurch verursachen, weil sie nicht hart genug mit dem anderen Protestpotential“ verfahren würden, formulierte Opitz in einem anderen Text bereits im Jahr 1969.
Was Opitz hier beschrieb, liest sich wie das Drehbuch von PEGIDA und Co. Diese bauschten erst das – auch geopolitisch nützliche – Schreckgespenst der Islamisierung und ihrer angeblichen linken Vorschubleister auf. Dann versuchten sie, aus der sogenannten „Flüchtlingskrise“ politisches Kapital zu schlagen. Und mit ihrer Hilfe wurde ein Klima erzeugt, in dem Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte an der Tagesordnung sind und somit auch Politikern – beispielsweise der CSU – zur Begründung ihrer reaktionären Linie dienen.

Mit elitärem Standesdünkel gegen Rechts?

„[…] solange es Leute gibt, die nichts können, nichts wissen und nichts geleistet haben, wird es auch Rassismus geben. Denn auch diese Leute wollen sich gut fühlen und auf irgendetwas stolz sein.“ Als der Kopf der Berliner Band „Die Ärzte“, Farin Urlaub, diese Worte im vergangenen Jahr im Rahmen eines Interviews mit dem Hallenser Stadtmagazin FRIZZ zu Protokoll gab, konnte er sich des Beifalls mitunter auch wohlmeinender Antifaschisten sicher sein. Die in diesen Sätzen zum Ausdruck kommende klassisch-liberale Abwertung vermeintlicher „Nichtskönner“, „Ungebildeter“ und „Nutzloser“ ist dem rechten Sozialdarwinismus allerdings weitaus näher als es den Fans des Edelpunks mit Abitur lieb sein kann. Mit dem politischen System des staatsmonopolistischen Kapitalismus Unzufriedene wird man so jedenfalls nicht für eine fortschrittliche Alternative mobilisieren können.
Eine antifaschistische Strategie kann allerdings auch nicht unversehens opportunistisch darauf schielen, den Rechten und den bereits in ihre Strategie fest einsortierten Kadern hinterherzulaufen. Feuerwehrpolitik ist so kurzsichtig wie ideologische Anbiederung falsch ist. Historische Negativbeispiele dafür gibt es zuhauf. Ziel müsste es sein, diejenigen VertreterInnen nicht-monopolistischer Bevölkerungsschichten, die zwar derzeit noch nicht bei PEGIDA mitmarschieren, denen aber jetzt bereits weisgemacht wird, dass die Rechten sie mit „Leistungsträger“ meinen und dass die Früchte ihrer Arbeit durch Migranten und Geflüchtete bedroht wären, vor einer möglichen Abwanderung nach rechts zu bewahren, um der sich formierenden rechten Massenbasis das Wasser abzugraben und zugleich die Interessenten einer solchen Politik – das Monopolkapital – gesellschaftlich und politisch zu isolieren.
Antifaschismus und soziale Frage
Einen Anknüpfungspunkt für die Art und Weise, wie die in diesem Zusammenhang zentrale soziale Frage sinnvollerweise zu bearbeiten wäre, könnte das Kasseler Bündnis „Wohnraum statt Leerstand“ liefern, das den Einsatz für die Rechte von Geflüchteten mit einem allgemeinen, im Keim bereits die Profitinteressen der Monopole und Spekulanten berührenden Ansatz verbindet. Das Bündnis fordert unter anderem „ein Sofortprogramm zur Schaffung menschenwürdigen Wohnraums für Geflüchtete“, „gesetzliche Initiativen, die Zugang zu und Nutzung von Leerstand ermöglichen“, ein „öffentliches Investitionsprogramm für bezahlbare und selbstbestimmte Wohnmöglichkeiten für alle“, „sozialen Wohnungsbau statt Immobilienspekulation und Luxusappartements“ und schließlich gleiche Rechte für alle statt Entrechtung und Abschiebungen“. Forderungen wie diese ließen sich systematisieren, weiter treiben und auf andere Bereiche übertragen. Dies würde dem Zweck dienen, das gemeinsame Interesse von Geflüchteten und „Einheimischen“ zu unterstreichen und gegen die Interessen der Monopole in Stellung zu bringen. Die Aufgabe von PEGIDA und Co. ist es auch, die Entstehung antimonopolistischen Bewusstseins zu verunmöglichen. Um erfolgreich zu sein, müssen demokratische Kräfte demgegenüber aber gerade eine aktive und aktivierende antifaschistische Politik betreiben, um die Möglichkeit des Anwachsens reaktionärer Bewegungen von vorneherein einzudämmen.

„Nützliche Idioten“

„Wir sind keine nützlichen Idioten für das Großkapital“, behauptet der Leipziger PEGIDA-Ableger (LEGIDA) – ganz so, als würde er damit jeder marxistischen Analyse und Kritik bereits präventiv zuvorkommen wollen. In Deutschlands Rechtskreisen ist derzeit aber gerade ein besonders auffälliger Wirtschaftsführer hoch im Kurs. So haben viele, egal ob in den Kommentarspalten der einschlägigen PEGIDA-Auftritte bei Facebook oder unter der Leserschaft der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit, einen Narren am US-amerikanischen Milliardär, Immobilien-Tycoon und Präsidentschaftsbewerber Donald Trump gefressen. Nicht nur seine Forderung nach einem Einreisestopp für Muslime findet Anklang. Trump ist gesellschaftspolitisch der am weitesten rechts stehende aussichtsreiche US-Präsidentschaftskandidat seit Ronald Reagans Einleitung der neoliberalen Wende in den 1980er Jahren und vielleicht sogar seit George C. Wallace, dem Verfechter der „Rassentrennung“, in den 1960er Jahren. Die „soziale Marktwirtschaft mit einer gerechten Umverteilung von faul nach fleißig“, wie sie beispielsweise das HoGeSa-Spaltprodukt Gemeinsam-Stark Deutschland e.V. fordert, wäre allerdings nicht nur nach dem Gusto eines Trump. Mit Hinblick darauf, dass das sozialreaktionäre transatlantische Freihandelsabkommen TTIP in den „Erläuterungen“ eines Anfang 2015 publizierten LEGIDA-Positionspapiers hauptsächlich wegen den negativen Folgen für „die europäische Wirtschaft“ (und nicht etwa wegen des massenhaften Angriffs auf demokratische und soziale Rechte auf beiden Seiten des großen Teichs) in der Kritik steht, dürften die bei PEGIDA und Co. zusammengefassten Bodentruppen für die autoritäre Rechtsverschiebung vor allem ein offenes Ohr für die „heimische Wirtschaft“ haben. Dabei treten gerade diejenigen Kapitalfraktionen in den Fokus, die an der Massenverelendung hierzulande und in ganz Europa sowie an der Destabilisierung der Länder, aus denen ein Großteil der zur Zeit Flüchtenden stammt, mitverdient haben. Ihren parlamentarischen Ansprechpartner finden diese Kreise im Moment bei der AfD und der stark der Kriegsindustrie (also einer Hauptursache von Fluchtbewegungen) verpflichteten CSU.

Phillip, Siegen

Dieser Artikel erschien in
POSITION #1/2016
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