Die Schlagzeilen überschlugen sich Ende letzten Jahres: Die islamistische Terrororganisation HTS hatte in einer raschen Folge
von Angriffen syrische Regierungstruppen vertrieben und die Macht in Syrien an sich gerissen. Groß war der Jubel in der EU und den USA, obwohl beide die HTS (vollkommen zurecht) als Terrororganisation listeten. Das Triumphgeheule über die Flucht Baschar al-Assads nach Russland, die Erstürmung der Gefängnisse (und die damit verbundene Freilassung zahlreicher IS-Terroristen, aber das nur am Rande) und die vermeintliche
„Demokratisierung“ Syriens überdeckte dabei geschickt, was sonst noch so in Syrien passierte: Offensiven von mit der Türkei
verbündeten Kräften (wie der SNA) gegen die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete in Nordsyrien (ein Ausdruck davon, dass die Kurden abermals von den US-Amerikanern fallengelassen wurden), die Besetzung großer Teile Südsyriens durch Israel (die von der UN verurteilt wurde aber was interessiert das den engsten Verbündeten der USA im nahen Osten) und die zahlreichen westlichen Staatsbesuche, bei denen sich alte Kolonialmächte und heutige imperialistische Staaten
die Klinke in die Hand geben sind Ausdruck der de facto Abschaffung der nationalen Souveränität Syriens. Wie kam es dazu? Was war die letzten 14 Jahre los in Syrien und warum sollte uns das dringend interessieren, wie es dort weitergeht?
Terroristen mit Auftrag
Um das zu verstehen, müssen wir ein paar Jahre zurückblicken: 2011 erschüttern eine Reihe von Protesten Syrien, vor allem die Großstädte. Diese Proteste sind im Kontext der als „Arabischer Frühling“ bekanntgewordenen Protestwelle in vielen arabischen
Staaten zu verstehen, in denen von Anfang an westliche Staaten versuchten ihre Interessen durchzusetzen. Dass die Proteste in Syrien selbst von der westlichen Intervention maßgeblich beeinflusst wurden, ist wohl unum-stritten, wobei auch die Unzufriedenheit mit einer Privatisierungswelle von Seiten der Regierung Assad eine Rolle spielte (siehe Kasten). Binnen kürzester Zeit traten aus den Protesten offen aus dem Ausland finanzierte Terrorgruppen, Milizen und bewaffnete Banden hervor, die ihr Kampf gegen die syrischen Streitkräfte einigte. Eine der größten Gruppen wurde die „Freie Syrische Armee“ (FSA), deren Mitglieder wesentlich von den USA und der Türkei ausgebildet und unter anderem von der Bundesrepublik finanziert wurden. Die Interessenslage im sogenannten „Bürgerkrieg“ war dabei sehr unterschiedlich, jedoch wurde schnell klar, dass das kein reiner Bürgerkrieg, sondern eine Generaloffensive der NATO-Staaten gegen die syrische Regierung werden sollte. Symbolischer Ausdruck von dieser Entwicklung ist auch die Gründung der „Gruppe der Freunde des syrischen Volkes“, einem Interventionsrat, in dem Deutschland, Frankreich, die USA und einige weitere Staaten gemeinsam berieten, welches gemeinsame Vorgehen man in Syrien anstrebte.
Interventionen und Allianzen
Das Gesamtinteresse dabei: Syrien war ein oppositioneller Staat, auf den man von NATO-Seite aus wenig Zugriff hatte. Es gab zwar Handelsbeziehungen, diese waren aber streng reguliert. Gleichzeitig suchte die Regierung Assad die Annäherung vor allem an Russland, das rund um die 2010er Jahre begann, eine eigenständigere, sprich teilweise auch den Interessen der NATO widersprechende Außenpolitik zu betreiben. Diese Entwicklung sah der Westen richtigerweise als Ausdruck der zunehmenden Infragestellung der Hegemonie der NATO-Staaten unter Führung des US-Imperialismus. Und so wurde kräftig interveniert, Jahr für Jahr flossen Milliarden an Waffen direkt oder über Umwege in die Reihen sogenannter „Rebellen“, die das Land destabilisieren sollten. Ganze Landstriche wurden so der Anarchie preisgegeben und von diesem Chaos wiederum profitierte die Terrorgruppe „Islamischer Staat“, die zwischenzeitlich größere Teile Syriens unter ihre Kontrolle brachte. So entwickelte sich ein Krieg mit vielen Fronten: Im Nordosten Syriens riefen vor allem kurdische Gruppen unter der Führung der „Partei der Demokratischen Union“ 2016 die Föderation „Rojava“ aus, die sowohl vom IS, als auch von der Türkei permanent angegriffen wurde, selbst jedoch ihren Teil zur Destabilisierung Syriens beitrug und sich auf ein Bündnis mit den USA einließ, die sich da- von einen Brückenkopf in Syrien erhofften. Die von Israel seit dem Sechstagekrieg besetzten Golanhöhen im Westen des Landes sind dabei gleichermaßen Ausdruck der imperialistischen Einflussnahme. Im Verlauf des Krieges verlor die syrische Regierung dabei die Kontrolle über immer größere Teile des Landes, die die verschiedenen Player dann untereinander auf-
teilten. In den letzten Jahren war es um Syrien, überschattet von der Eskalation in der Ukraine und dem Krieg Israels gegen
Palästina, sehr ruhig geworden im deutschen Blätterwald.
Das Ende vom Lied?
Im Herbst 2024 kamen dann, einigermaßen plötzlich, Berichte von Vorstößen der islamistischen Terrororganisation „Hai`at Tahrir asch-Scham“ auf, die 2017 als indirekte Nachfolgeorganisation der von al-Quaida unterstützten al-Nusra-Front gegründet und
von der Türkei finanziert wurde. Im Zuge einer Offensive auf Aleppo und Damaskus rückte die HTS an die Spitze der „Oppositionskräfte“ vor und die syrische Regierung, geschwächt durch Bombardierungskampagnen Israels und den jahrelangen Krieg, kapitulierte. Baschar al-Assad floh ins Ausland, während die Terroristen und die westlichen Botschafter, die sich seitdem die Klinke in die Hand drücken, ihren Sieg in der Hauptstadt feierten. Und jetzt? Während man im Westen eifrig die „Demokratisierung“ Syriens feierte, kündigte die selbsternannte
„Übergangsregierung“ Syriens an, man werde frühestens in vier Jahren wählen und eine neue Verfassung verabschieden lassen – schauen wir mal. In der Zwischenzeit häufen sich die
Berichte von Angriffen auf syrische Parteien, allen voran diejenigen der ehemaligen Volksregierung Assad, darunter auch die vereinigte Kommunistische Partei Syriens und die Partei des Volkswillens, sowie die Angriffe auf ethnische und religiöse Minderheiten wie die drusischen Christen oder Alawiten. Die vereinigte Kommunistische Partei wurde verboten, ihre Büros beschlagnahmt. Während man im Westen der Öffnung der Gefängnisse im Fernsehen zuschauen durfte (wer da so weshalb im Gefängnis saß wurde rasch verdrängt), wird die nationale Souveränität Syriens schrittweise abgeschafft. Israel annektierte große Teile Westsyriens, während die US-Amerikaner scheinbar ihr Bündnis mit den kurdischen Kräften schritt- weise fallen lassen, da sich die NATO auch mit der HTS arrangieren kann (die lustigerweise in vielen NATO-Staaten noch als Terrororganisation gelistet ist). Die innerimperialistischen Interessenskonflikte, die sich etwa auch in den Scharmützeln der einzelnen Stellvertretermilizen im Krieg ausdrückten, sind mit der Eskalation in der Ukraine weitestgehend in den Hintergrund getreten, da das gemeinsame Interesse aller NATO-Staaten sich darauf richtete, vermittels Syrien Russlands militärische Stellung weiter zu schwächen. So fällt mit der nationalen Souveränität Syriens nämlich auch mit Tartus einer der strategisch besonders wichtigen Häfen weg, über den die russische Flotte den Zugang zum Mittelmeer gesichert hatte. Es zeigt sich also, dass in Syrien nicht etwa die Demokratie fröhlichen Einstand hält, sondern der Zugriff der NATO-Staaten auf ein Land, das ihnen jahrzehntelang vorenthalten war. Da gibt es nichts zu feiern, die reaktionäre Entwicklung in Syrien ist eine herbe Verschiebung im internationalen Kräfteverhältnis.
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Syrien vor dem Krieg
In Syrien regierte seit Mitte der 60er Jahre eine Koalition aus der arabisch-sozialistischen Baath-Partei, der kommunistischen Partei Syriens (vereinigte) und weiteren Parteien, wobei das Präsidentenamt bis zu seinem Tod im Jahr 2000 durch Hafiz Al-Assad ausgeübt wurde. Zu seinem Nachfolger wurde Baschar al-Assad gewählt. Syrien unterhielt bis zu ihrer Auflösung gute Beziehungen zu DDR und Sowjetunion und war eines der Zentren der panarabischen Bewegung, die als nationale Befreiungsbewegung ehemaliger Kolonialstaaten einiges an Fortschritt zustande brachte. Syrien hatte bis zum Bürgerkrieg ein vergleichsweise hohes Bildungsniveau, eine gute medizinische Versorgung und war säkulär ausgerichtet, was den zahlreichen religiösen und ethnischen Minderheiten zugutekam, die jahrhundertelang unterdrückt wurden. Seit der Konterrevolution in den War- schauer-Pakt-Staaten unternahm auch die Regierung Assad teils ausgesprochen unpopuläre „Liberalisierungsversuche“ in der Wirtschaft, war allerdings dennoch ein Land mit einem relativ hohen Lebensstandard und guten außenpolitischen Beziehungen vor allem zur russischen Föderation und engen Verbindungen zur palästinensischen Befreiungsbewegung.