Deutschlands Stellung in der Welt

veröffentlicht am: 23 Sep, 2024

Der imperialistische Kampf um die Neuaufteilung der Welt eskaliert und die Kriegsgefahr steigt täglich. Dagegen formiert sich vielerorts Widerstand. Die Gegner der deutschen Arbeiter- und Friedensbewegung stehen in Deutschland – und an der Seite der USA.

Die „dümmste Regierung Europas“ sei die aktuelle Bundesregierung aus Sozialdemokratie und Liberalen. Die sogenannte Ampel-Regierung wurde von Sahra Wagenknecht v. a. aufgrund der Provokationen der grünen Partei, die keine Rücksicht auf den Frieden in Europa nehme, so bezeichnet. Sie sei außerdem dumm, weil sie keinen eigenen Standpunkt einnehme, also keine eigene Politik zum Ukraine-Krieg an den Tag lege. Ob die Ampel nun dumm ist oder dreist, das macht für unsere Lebensrealität keinen Unterschied. Dass die Sozialkürzungs- und Kriegspolitik nicht in unserem Interesse ist, ist klar: Während der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall die fettesten Profite seiner Geschichte einstreicht, sollen wir mit der Wehrpflicht wieder als „Deutschland dienen“. Ist das nicht eigenständige Politik der Ampel und ist diese nicht voll im Interesse der deutschen Banken und Konzerne?

Stationierung von US-Raketen in Deutschland

„Die Vereinigten Staaten von Amerika werden, beginnend 2026, als Teil der Planung zu deren künftiger dauerhafter Stationierung, zeitweilig weitreichende Waffensysteme ihrer Multi-Domain Task Force in Deutschland stationieren. Diese konventionellen Einheiten werden bei voller Entwicklung SM-6, Tomahawks und derzeit in Entwicklung befindliche hypersonische Waffen umfassen.“ So beginnt die gemeinsame Erklärung der US-Regierung und der Deutschen Regierung am Rande des letzten NATO-Gipfels. Das noch in Entwicklung befindliche Waffensystem ist das Hyperschallsystem Dark Eagle, welches Moskau schneller treffen kann, als die Russische Föderation Reaktionszeit für einen Gegenschlag bräuchte.

Neu sind diese Planungen zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland nicht. SPD-Kriegsminister Pistorius beruhigt, dass es bei der Stationierung der Kriegswaffen um eine eigene „ernstzunehmende Fähigkeitslücke in Europa“ gehe – was das heißt? Dass sich die Imperialisten in Europa bisher nicht in der Lage sehen, ihren Feind Russland militärisch anzugreifen. Diese Fähigkeiten sollen jetzt hergestellt werden – mit Hilfe der Mittelstreckenraketen aus den USA.

Deren Stationierung erhöht die Gefahr, dass der Krieg zwischen NATO und Russland, welcher aktuell in der Ukraine ausgetragen wird, weiter ausweitet wird und dass es durch den Einsatz der US-Waffen von deutschem Boden aus zu entsprechenden Reaktionen Russlands gegen Ziele in Deutschland kommt. Da die Stationierung ja von US- und Bundesregierung gemeinsam entschieden wurde, stellt sich die Frage: Was haben die Herrschenden in Deutschland davon? Sind die Kriegstreiber hierzulande etwa bereit, dass Deutschland zum Kriegsschauplatz wird? Ja – dafür sprechen die immer weiter anwachsenden „Hilfen“ für die Ukraine: Ausbildung, Munition, und Waffen in einem Ausmaß, dass nicht geleugnet werden kann, dass Deutschland selber längst Kriegspartei ist.

Gegen Staat, Nation und systemische Konkurrenz

Der Krieg sei alternativlos, weil die „autoritären Mächte“ – wie die Länder genannt werden, die wie China und Russland im Fadenkreuz des Imperialismus stehen – nicht gewinnen dürften. Die Angst um den imperialistischen Wohlstand verfängt bei manchem, der mit Politik nichts am Hut haben will, aber den die Herrschenden einen Teil von ihren Extraprofiten, die auf dem Rücken der abgehängten Teile der Welt erarbeitet wurden, dann Autos kaufen oder Urlaub machen lassen.

Der Standortnationalismus drückt sich aus im Wohlfühljubel um die deutsche Elf („Endlich mal gute Nachrichten!“), der schon 2006, wenige Jahre vor dem Beginn der EU-Krise, zur Schaffung einer breiten Zustimmung zu „Selbstbewusstsein“ und „Verantwortung“ Deutschlands in der Welt geführt hat. Er ersetzt die chauvinistische Deutschtümlerei durch die ebenso nationalistische Erzählung vom föderalen Europa, wie es das Auswärtige Amt des Deutschen Reichs schon im September 1943 in einer Denkschrift über die Schaffung eines „Europäischen Staatenbundes“ formuliert hat. Nachdem die Rote Armee zuvor die faschistischen Truppen in Stalingrad zurückgeschlagen hatte, zerbrachen sich die Strategen der imperialistischen deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik die Köpfe, wie sie ihre Zielstellung imperialistischer Vorherrschaft weiterhin erreichen können. In der Denkschrift ist die Notwendigkeit so formuliert: „Wenn Europa seine Stellung in der Welt verlöre, würden alle europäischen Völker davon aufs schwerste betroffen werden“.

Vor achtzig Jahren war es die Sowjetunion, die den Handlungsspielraum der imperialistischen Mächte so sehr einschränkte, dass sie in der Sorge um ihre weltweite Vorherrschaft mit dem Weltkrieg antworteten. Der Krieg der damaligen aggressiven imperialistischen Staaten, welche sich um Deutschland, Italien und Japan gruppierten, sollte die Sowjetunion als Systemkonkurrenten bezwingen. Heute sprechen die Imperialisten von der systemischen Konkurrenz zur Volksrepublik China. Diese setzt im eigenen Land auf eine starke staatliche Regelung des Marktes und ist in der Außenpolitik vorrangig auf eine gewaltfreie Konfliktlösung bedacht.

Kriegstreiber werden eingehegt, ihre Kriegsbereitschaft steigt

Ihre Vorschläge zur friedlichen Beilegung von Konflikten, wie die Vermittlung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, ihre Friedenspläne für die Beendigung von Kriegen, wie z. B. der Ukraine-Krieg von NATO und Russland, oder aber auch ihre Moderation zur Formierung von Einheitspolitik und Souveränität, wie beim Abkommen von 14 Gruppen zur Schaffung einer palästinensischen Regierung, sind Forderungen, die sich mit denen der Friedensbewegungen in den imperialistischen Zentren decken. Es sind jedoch auch konkrete politische Schritte, die die Allmacht der führenden imperialistischen Mächte einschränken.

Auch dieser Hegemonieverlust der NATO-Staaten, welche sich um die Führungsmacht USA gruppieren, ist an zahlreichen Rissen untereinander sichtbar, aber auch am neuen Nationalismus in Deutschland: Die Regierungskampagne gegen die teilweise faschistische AfD stützt sich nicht auf antifaschistische (wie auch, wenn die Regierungsparteien selber nur Abschiebepolitik und Verbote kennen), sondern auf außenpolitische Gründe. AfD-Politiker mit Kontakten nach Russland oder China werden aus der AfD geworfen, um diese fest auf die Hauptstoßrichtung des deutschen Imperialismus einzuschwören. Der Vorwurf des Vaterlandsverrats ist wieder präsent – er wird am lautesten von denen erhoben, die vorgeben, selber gegen jeden Nationalismus zu sein. So wird er von der „politischen Mitte“ gegen Rechtsaußen erhoben.

Auch beim Thema „Menschenrechte“ misst die deutsche Bundesregierung mit zweierlei Maß. Das EU-Lieferkettengesetz soll Produkte aus China fernhalten. Außenministerin Baerbock kritisiert China regelmäßig – spricht „Klartext“, wie es dann in den bürgerlichen Medien heißt. Ebendiesen Klartext hat die Bundesregierung auch gegenüber dem bisher wichtigsten Energielieferanten Russland gesprochen. Nachdem russische Truppen, als Kriegspartei an der Seite der seit 2014 unter Beschuss stehenden Donbass-Republiken, Ende Februar 2022 Kiew angriffen, gab die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung dem Druck aus Washington nach und verhängte ein Embargo gegen russische Energie. Die staatlich organisierte Boykott-Bewegung wurde von Medien und FFF-AnhängerInnen begrüßt, trieb jedoch viele Lohnabhängige, darunter Millionen junger MieterInnen, in finanzielle Schwierigkeiten.

Das Messen mit zweierlei Maß

Was hat das mit Menschenrechten zu tun? Richtig: Nichts. Vergleichen wir die Reaktion der Bundesregierung mit derjenigen zu einem anderen Krieg: Dass im herrschenden Diskurs in Deutschland mit Bezug auf den Krieg Israels gegen Gaza zwar über die Angriffe vom 7. Oktober, aber nicht über die Vorgeschichte gesprochen wird, dass hier zwar über Menschenrechte in China und Russland, jedoch nicht über das Menschenrecht in Deutschland, Großbritannien, den USA oder Israel gesprochen wird, erklärt sich daraus, ob das jeweilige Beispiel geeignet ist, als Legitimation für den imperialistischen Herrschaftsanspruch des deutschen Monopolkapitals und seiner Bundesregierung herzuhalten oder nicht.

Und so kommt es, dass hier in Deutschland – entgegen der Berichterstattung im Rest der Welt, sogar weit stärker als in den USA – weggeschaut wird, wenn im Krieg Israels gegen Gaza, der als Verteidigungskrieg kaschiert mit deutschen und US-amerikanischen Waffen den Gaza-Streifen unbewohnbar macht. Der aktuelle Krieg in Gaza wird von vielen internationalen Beobachtern und Hilfsorganisationen nicht als militärischer Kampf gegen die Hamas gesehen, sondern als existenzielle Bedrohung für die palästinensische Zivilbevölkerung. Die hohe Zahl ziviler Opfer, das Aushungern der Bevölkerung, die Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur und die Blockade von Hilfsgütern haben zu einer katastrophalen humanitären Lage geführt.

Warum wird das von Deutschland nicht kritisiert? Noch im Jahr 2012 äußerte sich der damalige Außenminister Sigmar Gabriel bei einem Besuch vor Ort zur Menschenrechtslage in Palästina und verwendete dabei den Begriff „Apartheid“, um den rassistischen Dauerzustand der Entrechtung und Willkür für die Palästinenser zu beschreiben: „Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt“. Hätte er diese Worte nach den Angriffen am 7. Oktober 2023 gesagt, wäre ihm das wohl als Verhöhnung der zivilen Opfer der palästinensischen Offensive ausgelegt worden.

Gegen die international anerkannte Einordnung der Lage der PalästinenserInnen durch die Besatzung Israels als Apartheid wird in Deutschland auf die „Staatsräson“ gepocht, nach der die Politik der israelischen Regierung nicht zu kritisieren sei. Auch der außenpolitische Sprecher von „Die Linke“, Gregor Gysi, ist der Meinung, dass diese Staatsräson verteidigt werden müsse, da „die innige Verklammerung von Antiimperialismus und Sozialismus“ aufgelöst sei. Das ist mit Bezug auf Antiimperialismus und Sozialismus großer Unsinn, hört sich jedoch gut an, wenn es für den deutschen Imperialismus um eine Legitimation „von links“ geht.

Die fetten Jahre sind vorbei

Der Wandel in der deutschen Haltung ist nicht nur auf einzelne Politiker zurückzuführen, sondern auch auf das veränderte Kräfteverhältnis in der Welt. Deutschland, das mit der Eurokrise ab 2008 die dominante Rolle in EU-Europa einnahm, sieht sich heute mit neuen Problemen konfrontiert. Der Brexit, gescheiterte Versuche einer eigenständigen EU-Militärpolitik unter deutscher Führung und die Wiederbelebung der US-dominierten NATO haben die Position Deutschlands in Europa und die EU geschwächt.

Denn außerhalb der NATO ist kaum noch Spielraum für den deutschen Imperialismus – deswegen ist er gegenüber seinen engsten Verbündeten zu Zugeständnissen bereit. Auch wenn dazu Sanktionen, wie ab 2019 von den USA gegen „Nord Stream 2“ und das Sprengen von Pipelines, eben „Nord Stream 2“ im Jahr 2022, gehört. Auch hier zeigt sich Kalkül innerhalb des beschränkten Spielraums. Jamie Dimon, Chef der größten US-Bank J.P. Morgan, lobt die deutsche Bundesregierung für ihren Kurs an der Seite der imperialistischen Führungsmacht. Im Handelsblatt sagte er Kanzler Scholz sei „Schlau, kompetent und ehrlich“.

Die Gründe für den aktuellen Kurs haben also drei Quellen. Zum Einen profitiert die deutsche Rüstungsindustrie von den gestiegenen Militärausgaben. Zum anderen wird der globale Spielraum kleiner und sieht sich Deutschland stärker in die NATO-Strategie eingebunden, um dem Einfluss Chinas auf der Welt entgegenzutreten. Mangels Alternativen zu dieser gemeinsamen Strategie des imperialistischen Bündnis NATO sind manche deutschen Monopolfraktionen gezwungen, für eine Zeit lang auf Extraprofite zu verzichten, und suchen stattdessen nach Wegen, als Freund unter Freunden gestärkt hervorzugeben: Bei der Ausbildung von bisher rund 10.000 ukrainischen Soldaten durch die deutsche Bundeswehr kann diese ihre eigene Kriegsfähigkeit ebenso trainieren. Zum Dritten wird das Gewicht der militärischen Großmächte in einer Zeit militärischer Konflikte und Delegitimierung der internationalen Ordnung immer größer. Dass der deutsche Bundestag nicht einmal über diese Ausbildungsmission für die Ukraine abgestimmt hat, ist ein Beispiel für dieses stärkere Gewicht der größten Militärmacht USA bzw. die engere Einbindung in NATO-Strukturen. Hier zeigt sich die Vorherrschaft der Rüstungsindustrie gegenüber den politischen Strukturen der deutschen Außenpolitik.

 

„DER WANDEL IN DER DEUTSCHEN HALTUNG IST NICHT NUR AUF EINZELNE POLITIKER ZURÜCKZUFÜHREN, SONDERN AUCH AUF DAS VERÄNDERTE KRÄFTEVERHÄLTNIS IN DER WELT“

Die Perspektive des Imperialismus: Krieg

Die laute Rolle, die sich die deutsche Außenpolitik gewaltsam bei der „Lösung“ der EU- und Eurokrise ab 2008 erarbeitet hat, basierte auf wirtschaftlicher Stärke. Durch die Agenda-Politik wurde Deutschland zum exportierenden Niedriglohnland und hatte damit einen sogenannten „Wettbewerbsvorteil“ auf dem EU-Binnenmarkt. Beim Hauen und Stechen der imperialistischen Zentren um die Welt spielt Deutschland zwar mit, hat jedoch einen Nachteil gegenüber den Partnern in Crime, Frankreich, Großbritannien und USA: Es ist militärisch schlechter aufgestellt, die deutschen Kriegstreiber verfügen über keine eigene Atombombe.

Die deutsche Außenpolitik ist seit jeher auf ihren eigenen Vorteil bedacht – die Außenpolitik der anderen Länder, deren Herrschende als imperialistische Macht agieren können, aber auch. Um den eigenen Einfluss zu erhalten, ist das politische Berlin zu Zugeständnissen gegenüber den NATO-Bündnispartnern bereit. Doch diese stehen weiterhin auch in Konkurrenz zueinander. An der Eigenständigkeit des deutschen Imperialismus ändert die freiwillige Unterordnung unter den NATO-Kurs an der Seite der USA also nichts. Vielmehr passt diese Politik des deutschen Imperialismus zu seiner Tradition: Seit der Gründung der Bundesrepublik ist diese der kleine Bruder an der Seite des größten Kriegstreibers seit 1945 – der USA.

Die Debatte um die Bestimmung des Hauptfeinds war und ist in zweierlei Hinsicht zentral für die revolutionäre Weltbewegung. Zum einen in Abgrenzung von der Sozialdemokratie, die sich schon vor 110 Jahren zu Beginn des Ersten Weltkriegs auf die Seite ihrer imperialistischen Kriegstreiber stellte.

Liebknecht und Lenin formulierten damals als Kommunisten in den Ländern der kriegstreibenden Großmächte, dass wir internationalistisch Seite an Seite mit den Arbeiter- und Friedensbewegungen der anderen Länder gegen die jeweils eigene nationale Monopolbourgeoisie kämpfen!

Zwar können wir aus der konkreten Analyse der internationalen Verhältnisse einen Hauptkriegstreiber ausmachen, doch ergibt sich für uns Kommunistinnen und Kommunisten im imperialistischen Zentrum der Hauptfeind aus einer grundsätzlichen Gegnerschaft zur bestehenden Ordnung: …Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

Markell Mann

Markell Mann ist in der Friedensbewegung und in der kommunistischen Partei in München aktiv. Er schreibt für die Wochenzeitung „Unsere Zeit“ und war von 2016 bis 2020 Chefredakteur der POSITION.

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