Frauentag 1914 - Heraus mit dem Frauenwahlrecht

Die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung – Zwei Welten

veröffentlicht am: 26 Feb, 2023

Um frei denken zu können, braucht es Freizeit und Bildung. Als 1848 die ersten Bürger- und Freiheitsrechte populär wurden, waren es neben den Männern, Frauen aus dem Bürgertum, die die Freiheit besaßen, sich darüber Gedanken zu machen.

Durch die stetig zunehmende Technologisierung, die bis in die Haushalte gelang, wurde die Hausarbeit zunehmend monotoner. Gelangweilt von der zunehmenden Passivität, gründeten sie karitative Organisationen und starteten (meist erfolglose) Petitionen. Sie forderten, die mütterlichen und weiblichen Eigenschaften der Frau nicht nur in der Familie nutzbar zu machen. Erwerbsarbeit für Frauen oder eine Entscheidung gegen ein Kind lehnten sie ab. Sie wollten durch erhöhten Zugang zu Bildung, Selbstbestimmungsrecht in der Ehe und veränderte Gesetze mehr Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten. Im Gegensatz zu Frauen aus der arbeitenden Bevölkerung waren sie nicht gezwungen zu arbeiten. Als großen weiblichen Aufgabenbereich entdeckten sie die Linderung sozialer Not im patriotischen Interesse und die bessere Ausbildung von Mädchen. Durch die verweigerte Anerkennung setzte die Bewegung zunehmend auf Selbsthilfe. Privat finanzierte und organisierte Vereine widmete sich der Verbesserung der Mädchenbildung oder der qualifizierten Ausbildung in Berufen, die dem „weiblichen Wesen“ zu entsprechen schienen. Es entstanden Schulen für Krankenschwestern, Büroberufe, Lehrerinnen usw. Eine staatliche Anerkennung erhielten die Frauen in ihren Berufen aber dennoch nicht.

 

Wessen Rechte und für wen?

An dieser Konfliktlinie spaltete sich die bürgerliche Frauenbewegung zum ersten Mal mit einer radikalfeministischen. Diese waren der Ansicht, dass es zur Selbsthilfe keine staatliche Unterstützung geben dürfte. Sie wollten unabhängig von Männern, Parteien und anderen Institutionen versuchen, durch eigene Mittel und Engagement Frauenzentren aufzubauen. Ein Beispiel ist das erste Frauenzentrum in Hamburg, das sich 1897 gründete und ein Mittagessen für Arbeiterinnen, eine Kinderbetreuung, Beratungsstelle und Rechtsschutz anbot.

Frauen aus der Arbeiterklasse mussten im Gegensatz dazu zum Überleben arbeiten, denn das Gehalt des Mannes reichte für den Unterhalt der Familie nicht aus. Da sie, ähnlich wie Kinder, weder mit den gleichen Rechten wie die Männer ausgestattet waren (die in der Arbeiterklasse natürlich trotzdem nur geringfügig waren), und weil sie oft genug als Lohndrückerinnen gegen die männlichen Klassengenossen ausgespielt wurden, waren sie von Anfang an billigere Arbeitskräfte. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind, stellte sich meist gar nicht und war, wenn, eng geknüpft an die Frage, ob sie dieses versorgen konnten. Die Kindersterblichkeit war hoch und Proletarierinnen hatten meist wegen ihrer Lohnarbeit keine Zeit, Kinder zu betreuen. Während also bürgerliche Frauen in der Emanzipation den Ausbruch aus ihrer bürgerlich verordneten Passivität sahen, forderten Arbeiterinnen die Verknüpfung des Kampfes um die eigene Befreiung mit dem Kampf um die Befreiung der Menschheit, dem für den Sozialismus. Während bürgerliche Frauen die ökonomische Grundstruktur und die Ideologie des Patriachats nicht kritisierten, richteten Proletarierinnen sich gegen alle Formen von ökonomischer, ideologischer und politischer Unterdrückung. Denn in der ökonomischen Grundstruktur sagen sie den Ursprung ihrer Unterdrückung.

 

„Den Frauen ihr Recht“

Durch die Zusammenarbeit von proletarischer Frauenbewegung und der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) und dem zunehmenden politischen Anspruch der Bewegung manifestierte sich die Spaltung der Frauenbewegung. Bürgerliche Frauenvereine lehnten die proletarischen Forderungen weitestgehend ab und schlossen diese aus ihren Vereinen aus. Arbeiterinnen sahen diese allerdings als Grundlage für Veränderungen und organisierten sich auch entgegen Verboten und anderen Repressionen. Sie gründeten noch vor der Vereinigung der SAP (1875) eigene Organisationen und informelle Strukturen. Da bis 1890 die proletarischen Frauenvereine unter dem preußischen Vereins- und des reichsweit geltenden Sozialistengesetzes verboten waren, beteiligten sich viele Sozialdemokratinnen daher auch an der illegalen Arbeit der Partei. Sie leisteten mit anderen Frauen Agitationsarbeit in den Wahlkreisen und sprachen auf Versammlungen zu den Wählern. Die zentrale Ansicht der proletarischen Frauen war es, dass die Befreiung der Frau nur durch eine Veränderung der bestehenden Gesellschaftsform möglich sei, denn sie waren der Auffassung, dass die Frauenunterdrückung in den ökonomischen Verhältnissen ihren Ursprung hat. Sie forderten gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Arbeitsschutz, Frauenwahlrecht und gleiche Bildungschancen für Frauen. Erst im Sozialismus, prognostizierten sie, dass durch faire Bezahlung und den Wegbruch der doppelten Unterdrückung die völlige Befreiung möglich ist. Daraus ergab sich die Konsequenz, dass proletarische Frauen und Männer den Kampf (für den Sozialismus) gemeinsam führen müssen.

Clara Zetkin

Clara Zetkin (1857-1933)

Ihre ersten theoretischen Grundlagen waren eng geknüpft an Personen wie Karl Marx, Friedrich Engels, August Bebel und später Clara Zetkin. Marx und Engels analysierten beispielsweise bereits 1844 (vier Jahre vor Veröffentlichung des Kommunistischen Manifests) in „Die Heilige Familie“ die Lebensbedingungen zweier Pariser Frauen in den 1840er. Dabei schlussfolgerten sie, dass es nicht ausreicht, die Gesetzgebung zu verändern und somit neue Zugänge zu ermöglichen, sondern dass die allgemeine Stellung der Frau in der Gesellschaft verändert werden muss. Sie übten scharfe Kritik an der Frauenunterdrückung in der kapitalistischen Gesellschaft und verwiesen auf Ausbeutung und die schwierigen wirtschaftlichen Umstände von Frauen. Sie kritisierten sowohl die Produktionsverhältnisse, als auch die „unmenschliche“ Stellung der Frau in der „heutigen Gesellschaft“. Clara Zetkin prägte maßgeblich die theoretischen Schriften der proletarischen Frauenbewegung. Sie formulierte als erste ein Aktionsprogramm und formulierte die Theorie der Frauenemanzipation neu. 1891 gab sie die erste Ausgabe der Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ heraus. Die Zeitung wurde zum zentralen Koordinationsorgan. Eingebunden in die Debatte um eine allgemeine Wahlrechtsreform setzte sich die proletarische Frauenbewegung zunehmend für das Frauenwahlrecht ein. Im Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung, die das Dreiklassenwahlrecht nicht ablehnte, blieb für die Proletarierinnen das Hauptziel die Emanzipation der gesamten Arbeiterklasse, denn nur etwa 85% der Männer hatten in Deutschland das Wahlrecht. Das Wahlrecht war an die ‚Selbstständigkeit’ geknüpft, was z. B. Bezieher von Armenunterstützung, Dienstboten, Handwerksgehilfen, Fabrikarbeiter und Tagelöhner ausschloss. Frauen knüpften schnell an die sozialistische Arbeiterbewegung an und beteiligten sich in den sozialdemokratischen Kreisen. Ganz nach dem Motto „Können wir nicht wählen, so können wir doch wühlen!“ beteiligten sich viele Frauen an den Wahlkämpfen sozialdemokratischer Abgeordneter. Mit denselben riefen sie 1911 den ersten internationalen Frauentag aus. Der Tag sollte in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dienen und den außerparlamentarischen Druck erhöhen. Gleichzeitig stand der Tag im Zeichen des Kampfes gegen Militarismus und den drohenden Weltkrieg.

 

„Krieg dem Kriege“

Mit der zunehmenden Bedrohung des Weltfriedens setzte sich die proletarische Frauenbewegung gegen Krieg und Militarismus ein. Auf dem außerordentlichen Basler Sozialistenkongress sprach Clara Zetkin im Namen der sozialistischen Frauen aller Länder. Sie forderte die Frauen auf, sich gegen das Verbrechen eines Krieges zu wehren, als „Hüter des Lebens“ seien sie zur Friedenserziehung verpflichtet. Ihre Rede schloss sie mit den Worten „Krieg dem Kriege“.  Der Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 leitete eine neue Epoche in der Entwicklung der internationalen sozialistischen Frauenbewegung ein. Die Sozialistische Internationale – und damit auch die Fraueninternationale – löste sich in ihre nationalen Bestandteile auf. Während sozialdemokratische Parteien in den kriegführenden Ländern sich zur Burgfriedenspolitik, der Schließung der Reihen um die jeweiligen Kriegstreiber, bekannten und den Krieg jeweils als Verteidigungskrieg sahen, sprach sich Zetkin im November 1914 entschieden gegen den Krieg, den sie richtig als imperialistischen Krieg erkannte, und für breite Friedensaktionen aus. An dieser Frage spaltete sich nicht nur die proletarische Frauenbewegung, sondern auch 1917 die SPD. Es kam zur Spaltung in einen reformorientierten sozialdemokratischen Flügel und einen revolutionären kommunistischen Flügel. Die antimilitaristisch orientierten sozialistischen Frauen wollten die baldige Beendigung des Krieges erreichen. Viele Frauen schlossen sich der neu gegründeten USPD an, weil sie die Kriegspolitik der SPD-Führung und vor allem die Bewilligung der Kriegskredite nicht weiter mittragen wollten. Clara Zetkin verlor dadurch ihre Stelle als Frauensekretärin im zentralen Parteivorstand und die Redaktionsleitung der „Gleichheit“.

Das nahende Kriegsende, die politischen Unruhen und die Revolutionswirren gaben der Frauenwahlrechtsbewegung neuen Aufschwung. Bei den Arbeiter- und Soldatenräten, die sich im November 1918 überall formierten, fanden die Frauen mit ihren Frauenwahlrechtsforderungen offene Ohren. Für die Räte gehörte die Forderung nach dem Frauenstimmrecht zu den Parolen der Revolution. Mit Erfolg! 1919 durften alle über 20 jährigen Menschen zur Wahlurne gehen und konnten sich wählen lassen.

 

Was können wir aus der Geschichte der deutschen Frauenbewegung nun lernen ?

Die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist heute immer noch aktuell. Laut des Statistischen Bundesamts liegt die deutsche Lohnlücke bei 18 %. Rechnet man den Prozentwert in Tage um, arbeiten Frauen 66 Tage umsonst. Auch verrichten Frauen heute noch die meiste unbezahlte Arbeit. Haushalts, Sorgearbeit uvm. wird meist immer noch von Frauen übernommen. Durch die proletarische Frauenbewegung konnten wirkliche Fortschritte in diesen Bereichen errungen werden, auch indem sie für bürgerliche Rechte kämpfte. Sie erkannten schon früh, dass jene Mittel zur Organisation der Arbeiterklasse sind. Auch heute kämpfen Frauen bspw. für das Recht auf Abtreibung, was diese Kämpfe zu wichtigen Schritten auf dem Weg zu gesellschaftlicher Veränderung macht.

Wir müssen für unsere Rechte kämpfen! Wahlrechtsreformen oder nur selbstorganisierte Fraueninitiativen leiten uns nicht den Weg zur Gleichberechtigung. Sie schaffen wichtige, aber nur kurzfristige Hilfe und Schutz in einer patriarchalen Gesellschaft, doch um auch diese Gewalt zu beenden, braucht es einen Kampf gegen ihre Ursachen. Wir müssen an den Arbeits- und Lebensbedingungen aller anknüpfen, denn der Kampf ist noch nicht abgeschlossen. Es lohnt sich also noch heute, am 8. März, auf die Straße zu gehen, den Tag wieder zu einem sozialistischen Kampftag zu machen und kämpferische Forderungen zu stellen!

 

Selma, Jena

Gruppenkarte

finde die SDAJ Gruppe in deiner Nähe!

mehr zum Thema

Care Revolution? Wirksame Kämpfe um die Care-Arbeit

Care Revolution? Wirksame Kämpfe um die Care-Arbeit

In den letzten Jahrzehnten hat sich auch in Deutschland der ursprünglich im englischsprachigen Raum etablierte Begriff Care- Arbeit durchgesetzt. Er beschreibt im Prinzip dasselbe, was MarxistInnen traditionell etwas sperrig Reproduktionsarbeit nennen: Arbeit, die der...

mehr lesen