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Der Dichter und die DDR

veröffentlicht am: 2 Jun, 2020
Der Kommunist Brecht war kritisch, aber immer solidarisch mit seinem Staat

An Bertolt Brecht als einem der größten deutschen Dichter und Dramatiker kommt auch der bürgerliche Schulunterricht nicht vorbei. „Galileo Galilei“ wird genauso gelesen wie die „Mutter Courage“ oder der „Aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Doch da die Schulbildung im Kapitalismus nicht der objektiven Wahrheit, sondern der Reproduktion der herrschenden Ideen verpflichtet ist, wird auch Brecht nicht, wie so gern behauptet, „neutral“ behandelt. Es wird vielmehr versucht, seine Geschichte und sein Werk im Sinne der Kapitalisten umzudeuten oder schlicht zu verfälschen. Ein schönes Beispiel dafür ist das Verhältnis von Brecht zur DDR. Bereits für seine Zeit vor deren Gründung 1949 wird versucht, mit dem rein formalen Argument, er sei nie Mitglied einer Partei gewesen sein, zu verleugnen, dass Brecht zeitlebens Kommunist war. Wann wäre je ein Wort über sein Gedicht „Der Kommunismus ist das Mittlere“, in dem er diesen als das „Allernächstliegende, Mittlere, Vernünftige“ bezeichnet über die Lippen einer bürgerlichen Lehrkraft oder den Stift eines bürgerlichen Schulbuchautors gekommen? Am Ende würden die SchülerInnen noch auf die absurde Idee gekommen, dass Brecht auch damit Recht gehabt haben könnte!

Keine Zweifel daran, was das demokratischere, fortschrittlichere Deutschland war

Was allerdings zitiert wird, bis der Schularzt kommt (was selten passiert), ist ein Zeile aus Brechts im Nachgang der Proteste vom 17. Juni 1953 geschriebenen Gedichts „Die Lösung“, in dem er polemisch fragt, ob es für die Regierung nicht einfacher wäre, das Volk aufzulösen und sich ein anderes zu wählen. Anstatt dieses kurze Gedicht in seinen Zusammenhang zu stellen, wird es geradezu als Inbegriff für den „guten“ Brecht genommen, dessen Sympathie für die DDR ansonsten eher eine Verirrung gewesen sein soll. Die Wirklichkeit sah freilich anders aus. Brecht war weder unpolitisch noch hat er auch nur einen Moment daran gezweifelt, dass das demokratischere, fortschrittlichere Deutschland östlich der Elbe war. Als Kommunist, Künstler und DDR-Bürger war für ihn ein solidarischer Umgang mit seinem Staat und seiner Regierung genauso selbstverständlich wie ein kritischer. Er verstand die bestehenden Unzulänglichkeiten des jungen Staates als Produkte des Widerspruchs zwischen den berechtigten Ansprüchen der ArbeiterInnen an ein gutes Leben und den schwierigen ökonomischen Voraussetzungen. Charakteristisch für sein Denken über die Ereignisse um den 17. Juni, dessen unmittelbarer Auslöser die Erhöhung der Arbeitsnormen war, ist eine Szene aus einem unvollendeten Stück: „Kann die Regierung die neuen Normen beibehalten? Nein! Kann sie sie preisgeben? Nein! – Die Regierung gibt die Normen preis.“ Dass die ungenügende Vermittlung der gesellschaftlichen Gesamtinteressen durch die Arbeiterregierung die Gefahr einer Entfremdung zwischen dieser und den ArbeiterInnen darstellte, daraus machte Brecht keinen Hehl. An seiner Verbundenheit mit dem Staat, der unter schwierigsten Bedingungen das „Allernächstliegende“, das „Vernünftige“ umzusetzen versuchte, ändert dies nichts.

 

Daniel, Trier

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