Seien wir realistisch (POSITION #04/19)

veröffentlicht am: 27 Sep, 2019

Nach der „Linksregierung“: Enttäuschung, Illusionen und ein schwieriger Ausweg

2012 begannen die Menschen in Griechenland wieder zu hoffen. Seit über zwei Jahren drücken verschiedene Regierungen das Armutsprogramm durch, das die EU Griechenland verordnet hatten. Die Menschen hatten protestiert, gestreikt, blockiert. Den deutschen Finanzminister Schäuble und das, was die bürgerliche Propaganda „die Märkte“ nennt, konnten sie damit nicht beeindrucken. Nun zeigte sich eine Alternative: Eine linke Regierung, die die Sparpolitik zu beenden versprach. Was bleibt von der Hoffnung?

Regierung des Widerstands?

Im Mai 2012 wählten die Griechen ein neues Parlament, Syriza erhielt fast 17 Prozent der Stimmen, die Parteien konnten sich nicht auf eine Koalition einigen. Im Juni die nächste Wahl, Syriza erhielt 27 Prozent. Noch blieben die Konservativen stärker, aber die Richtung stand fest: Im Januar 2015 war wieder eine Regierung gescheitert, nun gewann Syriza die Wahl mit über 36 Prozent. In der ganzen EU schien der Kampf gegen das Spardiktat das Gesicht des neuen Ministerpräsidenten Tsipras zu haben. In Deutschland demonstrierten Linke und Gewerkschafter in Solidarität mit der griechischen Regierung, die Bild-Zeitung warnte vor dem Chaos, das die Beinahe-Kommunisten anrichten würden, Schäuble und Merkel forderten Tsipras wie Kolonialherren auf, gefälligst ihren Anweisungen zu folgen. Für diejenigen, die das Europa der Konzerne ablehnten, war klar: Die gewaltige Massenbewegung gegen das Spardiktat hatte Syriza an die Regierung gebracht – die erste große Fehleinschätzung.

Im Oktober 2011 titelte eine griechische Zeitung: „Die Mutter aller Streiks“. Zwei Tage Generalstreik, eine Beteiligung zwischen 80 und 100 Prozent im ganzen Land. Nur: Von den riesigen Streiks zu den Wahlgewinnen von Syriza führte keine gerade Linie, sondern ein Bruch in der Massenbewegung.

Diese Bewegung hatte sich nur entwickeln können, weil die Kommunisten sie mit ihren Analysen, ihren Vorschlägen und ihrem Beispiel weitergetrieben hatten. Die lange Reihe der Generalstreiks begann im Dezember 2009. Die an der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) orientierte Gewerkschaftsfront PAME rief zum Generalstreik auf. Der Streik blieb klein, aber PAME hatte gezeigt: Sie kann landesweite politische Kampfaktionen leiten. Als PAME wieder zum Generalstreik aufrief, konnten die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsführungen es sich nicht mehr leisten, den Streik zu boykottieren.

Weniger Streiks, mehr Stimmen

Eine so starke, organisierte und radikale Bewegung hatte es in Europa seit Jahrzehnten nicht gegeben. Gerade deshalb stand sie vor der Frage: Wie weiter? Kann der Druck der Straße dafür sorgen, dass alles so bleibt wie vorher? Keine noch so starke Bewegung hätte das durchsetzen können. Das Arrangement, das sich im Euro ausdrückt war an eine Grenze gelangt: Die gemeinsame Währung macht den Weg für die deutsche Exportwalze frei, die Eliten der kleineren Länder bekommen wegen der starken Währung einen einfachen, billigen Zugang zu Krediten. Der griechische Staat hatte nicht deshalb so enorme Schulden aufgehäuft, weil „die Griechen über ihre Verhältnisse gelebt“ hatten, wie die deutschen Mainstream-Medien behaupteten. Die Schulden waren entstanden, weil die Konstruktion des Euro darauf angelegt war. Mit der Krise, die die kapitalistische Profitmacherei ab 2007 unterbrochen hatte, war dieser Deal für Griechenland und einige andere Länder zerbrochen. Ein „Weiter so“ konnte es nicht geben.

Die Konservativen und die alte Sozialdemokratie sagten: Wir können nichts tun, nur Sparprogramme und „Reformen“ können wieder zu Wachstum führen. Die Mehrheit von Syriza versprach dagegen: Wir werden mit den „Partnern“ in der Eurogruppe verhandeln, um die erpresserischen Sparprogramme zu verhindern. Beide verkündeten, sie hätten das einzig realistische Programm. Tatsächlich stand auf der einen Seite die Angst vor der Erpressung, auf der anderen die Illusion, es könne eine einfache Lösung an der Wahlurne geben. Wofür dann kämpfen? Weniger Streiks, mehr Wählerstimmen für Syriza – so hingen die Massenbewegung und der Aufstieg von Syriza zusammen.

Welche Kapitulation?

Die zweite große Fehleinschätzung war die Legende, Syriza hätte unter dem Druck der EU-Regierungen „kapituliert“. Richtig ist, dass Tsipras einen guten Teil seiner Versprechen gebrochen hat: Er hatte behauptet, die Massenverarmung zu beenden, statt dessen setzte er sie selbst um, nachdem die EU-Regierungen ihre Erpressung verschärft hatten. Aber den Kurs, diese Regierungen als Partner zu behandeln, Griechenland im Euro zu halten und auf eine Lösung in Verhandlungen zu setzen, behielt er bei.

Die Politik der KKE war für viele Linke in Deutschland schwer zu verstehen. Warum grenzte sie sich so hart von Syriza ab? Hätte sie nicht ein Angebot formulieren müssen, um Syriza auf einen kämpferischen Kurs zu zwingen? Ist es nicht unrealistisch, den Sozialismus als Ausweg zu propagieren anstatt kleine Verbesserungen erkämpfen zu wollen?

In diesen Jahren ging es in Griechenland weniger darum, Menschen zu überzeugen, dass sich etwas ändern muss. Es ging darum, einer starken Bewegung die nächsten Schritte und eine Perspektive zu zeigen. Was in Griechenland seit 2010 geschehen ist, beweist nur ein weiteres Mal, dass wirkliche Verbesserungen im Kapitalismus nicht mehr möglich sind, wenn sich die gesellschaftlichen Widersprüche, die wirtschaftliche Krise, so scharf zugespitzt haben. Die KKE stellte fest, dass es einen Ausweg nur gibt, wenn die Arbeiterklasse im eigenen Interesse zum Kern eines großen Bündnisses aller arbeitenden Menschen wird. Dieses Bündnis könne in langen und harten Kämpfen die Erfahrung und die Kraft sammeln, um eine neue Gesellschaft durchzusetzen und aufzubauen. So werde realistisch, was heute unmöglich scheint.

Olaf, Essen

 

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Dieser Artikel erschien in
POSITION #4/2019
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