Der offene Brief an Sigmar Gabriel

veröffentlicht am: 2 Jun, 2015

Lieber Siggi,

seitdem du zum Bundesminister für Wirtschaft & Energie und Vizekanzler ernannt wurdest, zeigst du getreu den sozialdemokratischen Prinzipien, wessen Interessen du in Wirklichkeit vertreten möchtest. Die SPD glänzte schon in der Vergangenheit nicht mit einer Politik zur Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der Lohnabhängigen. Zur Erinnerung: Das Verarmungsprogramm Agenda 2010, Hartz 4 oder die ersten deutschen Angriffskriege seit dem 2. Weltkrieg. Jetzt, als Juniorpartner der Union, versuchst du auf dem warmen, gut dotierten Ministersessel sitzend diese Politik noch ein bisschen zu optimieren.

Dein einfach unbezahlbarer Einsatz für die mittelständischen Unternehmen durch Steuererleichterungen von über 744 Millionen Euro – Stichwort „Bürokratiebremse“ – ließ Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer vor Glück bald platzen: „Dazu kann man Wirtschaftsminister Gabriel erst einmal gratulieren.“, sagte er gegenüber der Rheinischen Post. Sicherlich genauso erfreut war dein Kollege Bundesinnenminister Thomas de Maizière, als du im Deutschlandfunk die Vorratsdatenspeicherung äußerst inhaltsleer kommentiertest: „Ich bin der Überzeugung, wir brauchen das.“

Was „wir“ deiner Meinung nach noch brauchen sind Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA. „Wir“, das meint auch in diesem Fall die Unternehmer, die sich hohe Profite von den Verträgen versprechen. Dass Verbraucherschutz, Rechte der Beschäftigten, soziale Standards etc. auf dem Spiel stehen, ist dir da nicht so wichtig. Deswegen hast du im letzten September mit dem DGB ein gemeinsames Papier für die Verhandlungen zu TTIP herausgegeben – trotz der Ablehnung von TTIP auf dem Gewerkschaftstag. In dem Papier werden allerlei schöne Versprechungen gemacht, die am Ende dann doch unter den Tisch fallen werden. Trotzdem hat das Papier seinen eigentlichen Sinn erfüllt: Es wird weiter verhandelt und die Kritiker, vor allem aus den Gewerkschaften sind zum Schweigen gebracht. Denn genau das ist deine Aufgabe: den bestehenden und berechtigten Unmut gegen TTIP zu brechen. Du möchtest uns verklickern, das Freihandelsabkommen diene der Verbesserung der Lebens- & Arbeitsbedingungen und solange die SPD in der Regierung ist, wird das Schiff schon geschaukelt. Es ist schon immer die Rolle der Sozialdemokratie, das Bewusstsein der arbeitenden Menschen in Deutschland in Illusionen zu ertränken, um den Blick auf die wahren Profiteure dieses Systems zu verschleiern. Denn auch bei TTIP werden nicht wir, die Profiteure sein, sondern deutsche Konzerne wie Bayer, ThyssenKrupp, BMW und VW.

Die Presse lobt dich ebenfalls in höchsten Tönen, als jemand der Kapital und Arbeit ein Stück weit versöhnt habe (Die Zeit). Versöhnt hast du niemanden. Indem du das Kapital verwöhnst, verhöhnst du uns – diejenigen, die nur ihre Arbeitskraft besitzen und die Zeche am Ende zahlen dürfen. Das heißt dann Sozialpartnerschaft. Dazu darf man dir wirklich gratulieren lieber Siggi, du Genosse der Bosse.

Niels, Gütersloh & das Zeitungskollektiv

Niels arbeitet als lohngedumpter Altenpfleger und ist Mitglied bei ver.di.

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