Aggressive Expansionspolitik

veröffentlicht am: 26 Mai, 2015

Susann Witt-Stahl, Chefredakteurin des Musikmagazins Melodie und Rhythmus, war 2014 mehrfach im Donbass. Ein Interview.

POSITION: Was hast Du im Donbass erlebt?

Susann: Viel Trauriges, Bitteres, Ergreifendes – Dinge, die ich nie vergessen werde. Beispielsweise habe ich eine große Zahl Menschen angetroffen, die durch die dauernden Kriegshandlungen ihre Existenz verloren haben und sehr zermürbt, zum Teil sogar schwer traumatisiert sind. Das ist natürlich kein Wunder. Vor dem Minsk-II-Abkommen hat die ukrainische Artillerie ohne Rücksicht auf Verluste in die Städte hineingeballert – nicht einmal Schulen und Krankenhäuser wurden verschont. Die westlichen Medien und Politiker sprechen zynischerweise von „bedauerlichen Fehltreffern“. Die Mehrheit der Bevölkerung ist verstört über die deutsche Außenpolitik. Nicht wenige kannten die DDR, waren dort früher als Soldaten der Roten Armee stationiert. Sie hatten an das „neue Deutschland“ geglaubt und darauf vertraut, dass auch die Berliner Republik den welthistorischen kategorischen Imperativ „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ ernst nehmen würde. Und nun müssen sie erleben, wie nicht nur die schwarz-rote BRD-Regierung, sondern auch die grüne Opposition militante Nationalisten und Faschisten – zumindest objektiv – unterstützen. Da kann man sich vorstellen, dass viele Bewohner der Städte und Dörfer des Donbass einer der wenigen deutschen Journalisten, die dort unterwegs sind, nicht nur Fragen beantworten, sondern auch stellen. Eine davon lautete: „Wie könnt Ihr es zulassen, dass Mörderbanden wie der Rechte Sektor und das Bataillon Asov über uns herfallen?“

POSITION: Was hat Dich zu den Reisen bewegt?

Susann: Seit jeher fühlt sich die Mehrheit der Medienvertreter zuständig, die Positionen des regierenden bürgerlichen Lagers zu verbreiten – das versteht sich von selbst. Aber es gab Zeiten, in denen sich Journalisten eben auch dem Prinzip Wahrheit verpflichtet fühlten und schmerzhafte Fakten und unbequeme kritische Standpunkte abbildeten, sogar Einspruch erhoben und die Werte verteidigten, die die bürgerliche Demokratie unentwegt propagiert, aber meist nicht realisiert: Meinungsfreiheit beispielsweise. Heute aber führt sich das Gros der Medienvertreter wie der Pressestab der NATO auf und fungiert als Jubelperser der westlichen Welt. Die Ukraine-Berichterstattung hat das erschreckende Ausmaß dieses Verwahrlosungsprozesses offenbart: Sie ist total einseitig und selektiv – es wird gelogen, Tatsachen werden verdreht und unterschlagen. Militante Nationalisten und Faschisten, die im Sinne der Machtinteressen der USA und EU agieren, werden als „Revolutionäre“ und „Demokraten“ glorifiziert, ihre Gegner als „Terroristen“ dämonisiert. Ich meine, dass es die Pflicht jedes kritischen Journalisten ist, den Versuch zu unternehmen, diese Tendenz gegen den Strich zu bürsten und die unerwünschte und zuweilen auch sehr hässliche „andere Seite“ zu zeigen. Also habe ich meinen Koffer gepackt und ein Flugticket gebucht, als 2014 die Ereignisse in Kiew eskalierten, um nachzuschauen, was dort wirklich los ist. Ich musste sehr schnell feststellen, dass der Euromaidan, der den ARD-, Spiegel- und taz-Konsumenten präsentiert wurde, nur ein „Traumschiff“ war – der real existierende Euromaidan hingegen ein Seelenverkäufer. Für die überwältigende Mehrheit derjenigen, die sich von dem Machtwechsel in der Ukraine Emanzipation, Wohlstand, ein Leben ohne Angst und Repression versprochen haben, erweist er sich sogar mehr und mehr als Titanic.

POSITION: Wie ist das Verhältnis der Aufständischen zu Russland?

Susann: Es hat viele Facetten. Einerseits fühlt sich die Mehrheit Russland dankbar verbunden, denn der Aufstand gegen die neuen Machthaber in Kiew wäre sicher ohne die politische, ökonomische, logistische und humanitäre Hilfe – es rollen ohne Ende Hilfskonvois durch das Land – schon nach kurzer Zeit zusammengebrochen. Russland hat zudem Hunderttausende von Kriegsflüchtlingen aus dem Donbass aufgenommen. Die Leute dort reagieren übrigens auch meist irritiert oder sogar belustigt, wenn man sie fragt, ob sie „pro-russisch“ sind. Die Antwort lautet häufig: „Wir sind nicht pro-russisch – wir sind Russen.“ Ethnisch und kulturell, auch historisch betrachtet, sind die Menschen dort Russen und fühlen sich als solche. Viele wollen daher auch den Anschluss an die Russische Föderation oder wünschen sich die Sowjetunion zurück. Es gibt aber auch nicht wenige Aufständische – vor allem die Kommunisten und Sozialisten, darunter viele Bergleute und andere Arbeiter, die in den Reihen der Milizen und Armee kämpfen –, die nicht von den „Bürokraten in Moskau“ und den russischen Oligarchen drangsaliert werden wollen. Sie wollen ihre Unabhängigkeit und in einem sozialistischen Staat Novorossia oder in einer föderalistischen Ukraine mit weitgehender Autonomie leben. Derzeit bilden diese Kräfte allerdings klar die Minderheit.

POSITION: Was hältst du von der antifaschistischen Karawane in den Donbass der Band Banda Bassotti anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung?

Susann: Banda Bassottis Initiative ist nicht nur ein Manifest gegen Krieg und Faschismus in der Ukraine und die haarsträubende Geschichtsklitterung, die derzeit in der politischen Kultur der westlichen Welt betrieben wird, um den Schulterschluss zwischen dem Bürgertum und Faschisten zum Zweck der Durchsetzung der aggressiven Expansionspolitik der EU und USA in Osteuropa und Asien eine politische Legitimation zu verschaffen. Es ist auch Fanal für alle sich auf dem Rückweg in die machtgestützte Innerlichkeit bürgerlicher Ideologie befindenden Linken, die sich lieber die Ideologeme des Neoliberalismus zu eigen machen, als sich auf die Theoriebestände der marxistischen Faschismusforschung und eine konsequent antikapitalistische und antiimperialistische Praxis zu besinnen. Daher wird die Redaktion von Melodie und Rhythmus auch die zweite „No-Pasaran“-Tour (im September 2014 fand ja bereits schon eine statt) promoten und publizistisch begleiten. Für ein kritisches Musikmagazin, das daran mitwirken will, linker Gegenkultur wieder auf die Beine zu helfen, ist das ein Muss.

Das Interview führte,

Jann, Essen

 

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