Krieg lenkt von Krise ab

veröffentlicht am: 3 Sep, 2014

 

Uri Weltman, Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Israels (CPI) und der Young Communist League of Israel (YCLI)  (foto: Kommunistische Jugend Österreichs, KJÖ)

Uri Weltman, Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Israels (CPI) und der Young Communist League of Israel (YCLI)
(foto: Kommunistische Jugend Österreichs, KJÖ)

Uri Weltman, Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Israels (CPI) und der Young Communist League of Israel (YCLI) im Interview mit POSITION über die Hintergründe des Gaza-Kriegs.

POSITION: Wie würdest du die Hauptereignisse beschreiben, die zum Krieg geführt haben?

Uri: Die Kommunistische Partei Israels (CPI) hat die israelischen Verhandlungsführung im letzten Jahr analysiert. Wir sehen bereits im Juli 2013 viele innere und äußere Gründe für erneute Verhandlungen. Eine Meinungsumfrage ergab beispielsweise im Juli 2013 das 59% der israelischen Bevölkerung die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen unterstützten und 55% die Schaffung eines palästinensischen Staates neben Israel gefordert haben. Das spiegelt sich auch in den Wahlen 2013 wieder. Die israelische Verhandlungsseite hatte gute Verhandlungspositionen, die bei der Wahl gegebenen Versprechen wurden aber nicht gehalten.

Außerdem gibt es externe Gründe. Aufgrund von internationalem Druck oder Entwicklungen wie die neue Etikettierpflicht für Produkte aus den Siedlungsgebieten, geriet das rechte bis extrem rechte Kabinett von Premierminister Benjamin Netanjahu zunehmend in Schwierigkeiten. Und der Druck führte in Isreal zu gesellschaftlichen Diskussionen um die Siedlungsprojekten, ihre Kosten und wie sie uns international isolieren.

Trotzdem wurden die Verhandlungen von der israelischen Regierung wenn auch nur halbherzig aufgenommen. Dabei haben Netanjahu und die vielen Siedlungslobbyisten, die ihn umgeben von Anfang an auf das Scheitern der Verhandlungen gehofft. Er versuche den Palästinensern den schwarzen Peter zuzuschieben („to win the blame game“) und die palästinensische Autonomiebehörde für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich zu machen.

Von Juli 2013 bis April diesen jahres wurden 14.000 Siedlungen außerhalb der Grenzen von 1967 errichtet, was ein zynischer Schachzug ist, weil zwar verhandelt wurde, auf der anderen Seite aber gleichzeitig harte Fakten in Form von Siedlungen geschaffen wurden!

Das haben sie zum Beispiel auch in Ostjerusalem versucht, welches ebenfalls seit 1967 besetzt ist, indem sie die Anwohner verjagen und Siedlungen auf dem Terrain zu bauen. Außerdem hat die Repression nicht abgenommen. Über 60 Palästinenser wurden in diesen Monaten vom Militär oder der Polizei getötet.

Das zeigt: Die Verhandlungen waren nur eine Fassade und sollten nicht erfolgreich enden.

Eine Frage, die durch die Verhandlungen aufkam, war die Freilassung von palästinensischen Häftlingen. In Israelischen Gefängnissen sitzen über 5000 Palästinenser aus den besetzten Gebieten. Viele von sitzen seit vielen Jahren ohne Gerichtsverhandlung in Haft, was laut internationalem Gesetz verboten ist. Im April 2014 hat die Israelische Regierung verkündet, dass sie – entgegen einer Vereinbarung im Zuge der Verhandlungen – die 4. Welle an Gefangenen nicht freilassen wird, was im Zuge weiterer Spannungen zum Scheitern der Verhandlungen führte.

Daraufhin hat die PLO (Palestinian Liberation Organisation) die Initiative ergriffen und begann Gespräche mit internationalen Organisationen in Richtung der Anerkennung der palästinensischen Staates. Selbst die Partner des israelischen Staates kritisierten daraufhin das Ende der Verhandlungen aufgrund des mangelnden Einsatz von seiten der Regierung von Netanjahus.

Ende April konnte man weitere negative Entwicklungen für Netanjahus Regierung beobachten. Die erste war die Errichtung der palästinensischen Einheitsregierung der beiden größten palestinensischen Parteien, Fatah und Hamas, mit Abu Mazen (Fatah) als Unterhändler. Wir sahen das als eine positive Entwicklung, da es das erste Mal seit Langem war, dass die Palästinenser Gazas (Hamas-Regierung) und der West Bank (Fatah-Regierung) mit einer Stimme sprachen. Eine Hauptpositionen der Einheitsregierung war die Übernahme des Oslo I Abkommens.

Natürlich suchte Netanjahu tausende Ausreden, warum man nicht mit der Einheitsregierung verhandeln könne.

In der Vergangenheit wurden Verhandlungen mit Abu Mazen als sinnlos bezeichnet, da er damals nur für die Bewohner der von der Fatah regierten Westbank sprechen konnte. Jetzt werden sie als sinnlos bezeichnet, weil die Einheitsregierung mit der Hamas eine terroristische Organisation beinhaltet. Dabei unterhielt auch die Fatah während der Verhandlungen um das Oslo-Abkommen Milizen und war eine terroristische Organisation. Daran zeigt sich die eigentliche Position Netanjahus.

Die zweite negative Entwicklung war der Hungerstreik von über 2000 Häftlingen nach dem Abbruch der Verhandlungen im April 2014. Der Hungerstreik führte zu starken internationalen Echo und sogar Ban Ki Moon (UN-Generalsekretär) musste Netanjahu für seine Politik kritisieren.

Netanjahu benötigte dringend eine Lösung, um der zunehmenden Kritik zu begegnen.

Am 12. Juli bot sich dafür eine Gelegenheit, die er zynisch auznutzte. Am 12. Juni wurden drei Jugendliche aus den israelischen Siedlungsgebieten entführt und getötet. Die Regierung begann mit einer großangelegten Kampagne gegen die palästinensischen Behörden und Regierungsorgane und nahm ganze Städte in der Westbank in militärische Haft. Die militärische Kampagne wurde begleitet von nationalistischen Ausbrüchen gegen die arabische Bevölkerung Israels. Über 20% der israelischen Staatsbürger sind Araber, die auf israelischem Gebiet leben. Sie haben zwar die Staatsbügerschaft, sehen sich aber mit institionellen und gesellschaftlichen Rassismus, bis zu Gewaltausbrüchen, konfrontiert. In dieser Zeit haben israelische Siedler auch offen Araber gewaltsam angegriffen.

Am Höhepunkt der Spannungen wurde ein palästinensischer Teenager entführt und im Zuge eiens Racheakts von Nationalisten lebendig verbrannt. Nach 18 Tagen Militär- und PR-Kampagne wurden die Leichen der drei Jugendlichen am 30. Juni gefunden. Es gab viele Hinweise darauf, dass die Teenager direkt am Tag der Entführung getötet worden waren. Die Polizei veröffentlichte die Audioaufnahmen eines Hilferufs eines Jugendlichen, aus welchen man Hinweise für eine direkte Tötung entnehmen konnte. Die Regierung kannte die Aufnahmen und wusste also von Anfang an, dass sie nach Toten sucht. Sie machte daraus aber lieber eine zynische Kampagne und nutzte den Tod dieser Jugendlichen für ihre eigenen Zwecke. Darunter hatten die Palästinenser zu leiden, aber auch die Israelis, die dadurch hinters Licht geführt wurden. Netanjahu musste sich nicht mehr mit den oben genannten Problemen beschäftigen und erlangte nationale wie internationale Akzeptanz für seine Kampagne.

Nachdem die Körper der drei Jugendlichen gefunden wurden, stiegen nationale Ressentiments in Israel auf und die Militär-Kampagne „Defensive Shield“ begann am 8. Juli. Israelische Flugeinheiten bombardierten bereits Tage davor strategische Ziele, während auch die Palästinenser mit dem Abschuss von Raketen begannen. Nach zehn Tagen eskalierte die Situation nach dem Einmarsch von Bodentruppen. Mittlerweile wurden über 400.000 Palästinenser aus dem Gazastreifen vertrieben, die zivile Infrastruktur nahm großen Schaden, was zu Mangel an Wasser, Strom und medizinischer Versorgung führte, Krankenhäuser und Schulen wurden bombardiert. Bis jetzt sind unter den Palästinensern bereits über 1900 Tote zu verzeichnen, davon 70-80% Zivilisten, 50% sind Frauen und Kinder. Außerdem wurden 60 israelische Soldaten und 3 israelische Zivilisten durch die Kämpfe, Raketen und Tunnelangriffe getötet.

In den letzten Jahren gab es öfter Entführungen von israelischen Jugendlichen. Doch führte dies bisher nie zu einem Krieg, sondern konnte trotz Provokationen der Regierung Netanjahus friedlich gelöst werden. Die Entführungen waren also nicht der Grund für den Krieg, sie sind nur der willkommene Anlass gewesen, um den Krieg wieder zu beginnen und von der inneren Krise in Israel abzulenken und eine neue Welle des Nationalismus loszutreten.

POSITION: Welche Rolle spielen die Hamas und die israelische Regierung?

Uri: Die Hamas ist eine reaktionäre Gruppe und es ist wahr, dass die aktuelle israelische Regierung eine rechte bis rechtsextreme ist. Eine reaktionäre Regierung eines hochgerüsteten Staates kann allerdings nicht auf eine Stufe mit einer gesamten unterdrückten Nation gestellt werden, wie es häufig mit der Formulierung „die Palästinenser“ geschieht. Das sind zwei ganz unterschiedliche Qualitäten.

Es gibt Gründe warum die Hamas in dem besetzten Territorium in den letzten Jahren an Stärke und Unterstützung gewonnen hat. Nachdem die Osloer Abkommen unterschrieben wurden, war die Unterstützung der Hamas in der Bevölkerung wirklich schwach. Aber sie wuchs stark durch die Resignation, die durch das Scheitern des Friedensprozesses entstand. Während der „Jahre von Oslo“ haben nicht nur rechte Konservative sondern auch die Sozialdemokraten des Likud-Blocks die Verzweiflung im palästinensischen Territorium wachsen lassen, was die Stärke der Hamas ermöglichte. Diese Entwicklung könnte zurückgehen, wenn die Verzweiflung der Palästinenser bekämpft würde. Wenn es eine wirkliche Mitarbeit an einer friedlichen Zwei-Staaten-Lösung gäbe, dann, da bin ich sicher, wäre es für Gruppen wie die Hamas viel schwieriger Unterstützung zu bekommen.

POSITION: Was sind die Gründe für die Akzeptanz des Krieges in der israelischen Gesellschaft?

Uri: Wir wissen, dass Krieg ein politisches Instrument im Klassenkampf ist, um die Aufmerksamkeit von sozialen Problemen wegzulenken. 2011, in der Zeit mit starken sozialen Bewegungen in Israel, agierte die Regierung von Netanjahu sehr ähnlich wie in der letzten Zeit.

Während alle mit dem Krieg beschäftigt waren, gab es diverse Untersuchungen, die zu weitreichenden ökonomischen Reformen führten. Zum Beispiel wurden im Mittelmeer große Mengen an Gas gefunden. Die Frage ist, ob die Ausbeutung der Gasvorkommen zum Beispiel Schulen und Krankenhäusern oder der privaten Ökonomie zugute kommen wird. Die bisherigen Entscheidungen führen zu einem größeren Privateinkommen durch die Gasförderung als es vor dem Krieg der Fall war. Weiterhin wurde der Verteidigungsetat um 100 Millionen $ aufgestockt.

Krieg sowie Krisen generell sind Gelegenheiten für politische Entscheidungen, die normalerweise zu einem öffentlichen Aufschrei führen würden.

POSITION: Wie reagiert die Friedensbewegung in Israel im Moment?

Uri: Manche der größeren Friedensorganisationen waren nicht gewillt, gegen diesen Krieg auf die Straße zu gehen. Die Regierung war effektiv darin, den Widerstand als antipatriotisch zu stigmatisieren. Demonstrationen wurden von rechtsradikalen israelischen Gruppen angegriffen, was eine sehr gefährliche Entwicklung ist.

Die CPI und die YCLI organisierten Demonstrationen in den größeren Städten von Israel gegen den Krieg, die Gaza Blockade und für Verhandlungen. Der Staat reagiert mit Repression: Am 26. Juli wurden mehr als 600 Personen verhaftet und ein Knesset-Parlamentsmitglied von Polizeioffizieren angegriffen. Das war der bisher größte Angriff auf eine von der CPI initierte Demonstration durch die Polizei.

POSITION: Welche Rolle spielt Israel in der Region?

Uri: Israel hat enge ökonomische und miltärische Verbindungen zum US-amerikanischen Imperialismus und ist einer seiner strategischen Außenposten. Israel ist der größte Nutznießer US-amerikanischer Militärhilfen. Zwischen 2009 und 2013 plante die USA 30 Milliarden $ Militärhilfen für die Israelische Regierung ein. Die Militärhilfe ist eine Investition und sie dient als Druckmittel gegen die israelische Regierung. Im Syrienkonflikt spielte das israelische Militär eine Schlüsselrolle beim militärischen Vorgehen gegen Assad. Wir sagen, dass für wirklichen Frieden die politischen und militärischen Bindungen zu den USA ganz und gar abgebrochen werden müssten. Antiimperialismus ist notwendig für den Frieden.

Weiterhin sind da reaktionäre arabische Regime wie Saudi-Arabien, Katar und weitere. Es ist kein Zufall, dass Israel wollte, dass diese Nationen in den Friedensverhandlungen mitarbeiten. Diese Staaten haben kein Interesse am Wohl des palästinensischem Volkes. Sie haben über das Öl enge Handelsbeziehungen zu den USA. Zum Beispiel ist auch die größte Militärbasis der USA im persischen Golf in Katar und im letzten Gaza-Konflikt 2011 wurde das israelische Militär von dort mit Waffen versorgt. Dies zeigt, dass es ein Bündnis zwischen den zionistischen israelischen Regierungen, dem US-Imperialismus und den reaktionären arabischen Ländern gibt.

POSITION: Wie steht ihr zu der Diskussion rund um Antizionismus, Antiimperialismus und Antisemitismus?

Uri: Wir lehnen jeden Vergleich zwischen Antizionismus und Antisemitismus ab! Antisemitismus ist eine faschistische, reaktionäre Bewegung, die wir bekämpfen. Der Zionismus ist eine europäische Ideologie aus dem 19. Jhdt., welche besagt, dass die einzige Lösung gegen Antisemitismus die Emigration ist, was aber keine Lösung für nichts ist. Genausowenig ist Migration eine Lösung für Sexismus, Rassismus, Islamophobie oder andere reaktionäre Ideologien. Die Lösung liegt im Kampf gegen Kapitalismus, der diese Bewusstseinsformen hervorbringt und befördert. Unser antikapitalistischer Kampf ist die Perspektive. Im Sozialismus können wir diese Probleme im Interesse der Menschen lösen.

Die zionistische Bewegung geht davon aus, dass es eine Unterteilung zwischen Juden und Nicht-Juden gibt. Sie behauptet, dass der Grundkonflikt nicht im Klassenkonflikt zwischen Kapitalisten und Arbeitern besteht, sondern im Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden. Wir als Marxisten sagen, dass es um Klassenkampf geht und das nicht wichtig ist, ob jemand jüdisch ist oder nicht.

POSITION: Was erwartest du von der Friedensbewegung in Deutschland?

Uri: Dies führt uns an den Anfang zurück. Der Anfang der Friedensverhandlungen wurde der Regierung durch internationalen Druck aufgedrängt. Es wäre gut, wenn die Europäer den Druck auf die Regierungen der Europäischen Union erhöhen würden. Dies würde zu einem höheren Druck auf die israelische Regierung führen.

Auch Boykotte sind positiv und sollten von Kommunisten initiert werden. Außerdem würde uns die Bekämpfung der militärischen Zusammenarbeit zwischen dem israelischen Staat und anderen Staaten natürlich einen großen Schritt weiter Richtung Frieden bringen. Damit zum Beispiel keine Kriegs-U-Boote von ThyssenKrupp-Marine-Systems in Kiel geliefert werden, wo du lebst (lacht).

Das Interview führte

Jan, Kiel

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