Wie Hartz IV wirkt…

veröffentlicht am: 2 Jul, 2011

Mit Blick auf den scheinbaren Rückgang der Erwerbslosigkeit wird den Maßnahmen im Zuge der „Hartz-Gesetze“ ein großer Erfolg bescheinigt. Doch wie etwa Hartz IV wirklich wirkt, lässt sich erst verstehen, wenn man begreift, was es mit uns macht.

Ein großer Raum mit Computern; neben mir viele andere überwiegend junge Männer und Frauen. Ich gehöre zu den wenigen, die studiert haben. Die meisten hier sind auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz, mussten ihre Ausbildung abbrechen oder wurden nach der Ausbildung nicht übernommen, z.B. als Köche oder im Einzelhandel. Unterschiedlich wie wir sind, haben wir alle eine Gemeinsamkeit: Wir beziehen so genannte „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“, also Arbeitslosengeld II bzw. „Hartz IV“. Einige von uns haben bereits Berufserfahrung, andere werden wohl bald eine Anstellung oder zumindest einen befristeten Job finden, während wiederum anderen von uns niemals die Chance gegeben werden wird, mehr als nur einen Ein-Euro-Job zu erlangen. Im Moment aber sind wir alle „Hartzer“ bzw. „Hartzis“, wie man uns in dieser Gesellschaft nennt. – Es ist Montagmorgen, halb neun, im Oktober letzten Jahres. Der Herbst ist da und es ist: „Maßnahme-Zeit“.

Wie wirkt Hartz IV?

Bevor wir uns vor die Computer klemmen, um unsere Bewerbungsunterlagen zu verschnörkeln und im Internet nach Stellenangeboten zu suchen, gibt es die große Eröffnungsrunde. Hier teilen wir uns regelmäßig mit, dass keiner von uns bisher passende Stellenangebote gefunden hat. Diese Erfahrung, die wir vier Stunden, viermal die Woche machen müssen, ist sehr deprimierend. „Was ist denn mit Leiharbeitsfirmen?“ fragt Herr Voll-Pfosten* in die Runde. Er leitet unsere Maßnahme. Zwar seien die Arbeitsbedingungen mies und der Lohn niedrig, gibt er sich recht „sozial-kritisch“, doch Leiharbeit in großen Betrieben könnte für uns eine Chance sein, „irgendwann dort auch fest übernommen zu werden.“ – Ich wundere mich, dass er nicht rot wird (im Gesicht). Denn auch er kennt die offizielle Statistik der Bundesagentur für Arbeit, wonach der so genannte „Klebeeffekt“, der von Leiharbeit ausgeht, schon vor der Krise bei nur 15 Prozent lag. Jetzt, wo die Konzerne die Krise genutzt haben, um auch ihre Kernbelegschaften auszudünnen, dürfte die Wahrscheinlichkeit, durch Leiharbeit in einem Unternehmen „kleben zu bleiben“, noch sehr viel niedriger sein. Doch vor allem die Kolleginnen und Kollegen hier, die noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben bzw. nach der Ausbildung im erlernten Beruf keine Anstellung, zeigen sich interessiert. Aus der Angst heraus, als Hartzer vielleicht für immer von 345 Euro im Monat leben zu müssen, sind sie bereit, schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne zu akzeptieren.

„Hauptsache, ich bin die los“

Doch es ist nicht nur das wenige Geld („zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“), was das Leben als Hartzi so belastend macht. „Ich habe keinen Bock, mich länger von denen herumschubsen zu lassen“, klagt mir Frank sein Leid während einer von unseren zwei Pausen, in denen wir den Computerraum für je sieben Minuten verlassen dürfen. „Alles muss man sich gefallen lassen; ist doch ätzend.“ Frank hat bereits zwei Jahre in einem Reisebüro gearbeitet und ist es gewohnt, unabhängig zu sein. Dass er nun „für jeden Furz“ die Erlaubnis seiner Fallmanagerin einholen muss – z.B. wenn er nur für ein paar Tage die Stadt verlassen möchte, um seine Freundin zu besuchen –, belastet ihn sehr. So erwägt er sogar, sich selbstständig zu machen. „Vielleicht als Schlagzeuglehrer,“ sagt er, „Hauptsache, ich bin die endlich los.“ Frank würde alles tun, um dem Hartz-IV-Regime zu entkommen.

Kein Erwerb, keine Anerkennung

„Hallo meine Hartz-IV-Freunde“, tönt es von der Seite und Susanne gesellt sich zu uns in die Raucherecke. Frank geht wieder rein. Er mag Susanne nicht, weil „die immer nur von ihrem kleinen Balg labert.“ Susanne ist eine recht junge Mutter. Nach der Schule hat sie keinen Ausbildungsplatz gefunden und lediglich verschiedene kleinere Jobs gemacht, z.B. gekellnert oder geputzt. Obwohl sie noch jung ist, hat sie sich mit ihrer Erwerbslosigkeit bereits abgefunden, so scheint es. „Hätte schon Bock, zu arbeiten“, sagt sie, „aber ich werde wohl nie etwas finden.“ Sie weiß, dass sie sich noch so sehr anstrengen kann – die meisten Stellenangebote kommen für sie nicht infrage. Selbst wenn sie sich tagsüber eine Kinderbetreuung leisten könnte, wäre sie als momentan Alleinerziehende für die meisten Chefs wohl nicht „flexibel“ genug, was Arbeitszeiten und Überstunden angeht. Im Gegensatz zum „Um-jeden-Preis-Arbeiter“ Frank gehört Susanne zu denjenigen von uns, die sich von den Drangsalierungen durch das Amt recht unbeeindruckt zeigen und sich auch mit dem wenigen Geld irgendwie arrangieren. „Den Anschluss an die gesellschaftliche Normalität suchen sie über sozial anerkannte, konventionelle Rollen und Lebensentwürfe,“ heißt es in einer soziologischen Studie über die Verarbeitungsformen von Hartz IV. Solche „Nicht-Arbeiter“ wie Susanne haben sich von der Perspektive einer Erwerbsarbeit entfernt, wegen „frustrierenden Erfahrungen mit andauernder Arbeitslosigkeit oder generell fehlender Arbeitserfahrung.“ Im Fall von Susanne bleibt so nur die Hausfrauen- und Mutterrolle, mit der sie ihre aussichtslose Situation kompensiert. Hier versucht sie sich zu profilieren, um jene gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, die ihr durch die fehlenden Erwerbschancen verwehrt wird.

So tun als ob

Als wir wieder im Computerraum sind, kommt ein etwas älterer Hartz-IV-Freund (Mitte dreißig) herein und sucht mit regungsloser Mine nach Stellenangeboten im Internet. Er ist mir bereits unter der Woche hin und wieder früh morgens in der Stadt begegnet, wenn ich auf dem Weg zur Maßnahme war. Ich habe ihn jedoch noch nie hier gesehen. Die Maßnahme-Leitung scheint ihn aber zu kennen und begrüßt ihn freundlich. Von Frank, der schon etwas länger hier ist, erfahre ich, dass der Kollege seine Pflichtstunden längst abgerissen hat, jedoch hin und wieder noch „nur so“ vorbeikommt. „Armer Kerl – letztens hat er sich sogar nach einem Ein-Euro-Job erkundigt: freiwillig!“ – In der bereits erwähnten Studie wird der Kollege den „Als-ob-Arbeitern“ zugerechnet: Sie sind aufgrund längerer Erwerbslosigkeit und zahlreicher Frustrationen dankbar für jede Gelegenheit, in ihrem Umfeld den Anschein zu erwecken, als gingen sie einer normalen Erwerbsarbeit nach, selbst wenn es nur ein Ein-Euro-Job ist.

Wem nützt Hartz IV?

Ich habe während der acht Wochen, die ich hier abreißen musste, natürlich keinen Job gefunden. Aber ich habe beobachten können, wie die meisten meiner Hartz-IV-Freunde von ihren Ansprüchen, z.B. nach einer qualifizierten Tätigkeit im erlernten Beruf mehr und mehr abgerückt sind. Genau das ist die Wirkung von Hartz IV. Was mit der Rede von „mehr Eigenverantwortung“ gemeint ist, hat auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bereits vor zwei Jahren festgestellt: „Die Akzeptanzlöhne der Arbeitslosen haben sich deutlich nach unten bewegt.“ Bereits im ersten Jahr der Hartz-Reformen, 2005 gab nahezu jedes dritte Unternehmen an, dass Bewerber eher bereit waren, einen Arbeitsplatz unter der eigenen Qualifikation anzunehmen sowie Kompromisse bei der Lohnhöhe einzugehen. Natürlich bleibt das nicht ohne Folgen auch für die bereits Beschäftigten. – Ich habe durch meine Maßnahme besser verstanden, warum es so verdammt wichtig ist, für mehr und bessere Arbeits- und Ausbildungsplätze zu kämpfen. Langfristig wird das jedoch nicht gehen, ohne mit diesem System zu brechen – nicht nur mit Hartz IV!

*Alle Namen von der Redaktion geändert.

Thomas, Offenbach

Dieser Artikel erschien in POSITION – Magazin der SDAJ #5/2010.

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