Wer hat Angst vorm Sozialismus?

Auf der Strasse, in der Schule, am Arbeitsplatz: In allen Kämpfen das sozialistische Ziel im Blick haben. Interview mit Paul Rodermund, Bundesvorsitzender der SDAJ*.

Eine Broschüre über die DDR – hat die SDAJ nichts Wichtigeres zu tun?

Paul: Die Mainstream-Medien erzählen uns, dass die DDR eine Diktatur war, dass dort alles grau war und alle Entscheidungen von einigen alten Männern im Politbüro der SED getroffen wurden. In den Schulen und Unis kann man dieser verordneten Sicht auf die DDR kaum widersprechen, das gibt schnell Ärger. Aber diese Anti-DDR-Propaganda hat doch einen klaren Zweck. Wir sollen glauben, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gibt. Wir sollen glauben, dass es nicht demokratischer geht als heute, wo wir alle vier Jahre ein Kreuz machen dürfen. Wir sollen glauben, dass es nicht sozialer geht als heute, wo wir uns noch bedanken sollen, wenn wir einen Arbeitsplatz haben und für die Profite eines Unternehmers arbeiten dürfen. Ich finde schon, dass es zu den Aufgaben eines revolutionären Jugendverbandes gehört, diesem Antikommunismus etwas entgegenzusetzen.

Gibt es denn eine Alternative? Hat der Untergang der DDR nicht gezeigt, dass der Sozialismus keine Chance hat?

Paul: Die Konterrevolution hat nur gezeigt, dass es beim Aufbau einer neuen Gesellschaft eben auch Rückschläge gibt. Es wird immer so gerne gesagt: Der Sozialismus funktioniert nicht. Wer so argumentiert, lenkt von dem entscheidenden Punkt ab: Der Kapitalismus funktioniert nicht. Wir haben in den letzten Jahren eine gewaltige Wirtschaftskrise erlebt. Spardiktate, Firmenpleiten, Entlassungen – das ist doch eine riesige Vernichtung von gesellschaftlichem Reichtum, und zwar auf unserem Rücken. Und dann wird gesagt: Die Marktwirtschaft ist effektiv. Ist sie nicht: Kapitalismus heißt Arbeitslosigkeit für die einen und Arbeitshetze für die anderen, Aussieben für die einen und Elitebildung für die anderen, Verschwendung von einigen wenigen und Unterentwicklung in großen Teilen der Welt. Ist das effektiv? Die Widersprüche des Kapitalismus können nur gelöst werden, wenn die Unternehmen nicht mehr einigen wenigen gehören, sondern allen. Wenn der Reichtum nicht nach dem Markt, also für die Profite von wenigen Kapitalisten, eingesetzt wird, sondern planmäßig, für die Bedürfnisse aller. Und wenn die Macht der Banken und Konzerne gebrochen wird. Die Widersprüche unserer Gesellschaft drängen auch heute noch zu einer grundlegenden Umwälzung, zum Sozialismus.

Der Kapitalismus funktioniert nicht? Die Krise hat aber nicht dazu geführt, dass der Kapitalismus am Ende ist…

Paul: Tatsächlich wurde die Stärke und Einbindungskraft, die der Kapitalismus noch immer aufweist, häufig unterschätzt. Natürlich wird der Kapitalismus nicht von selbst zusammenbrechen. Die Eigentümer der großen Konzerne werden ihre Macht nicht freiwillig abgeben, im Gegenteil, sie werden sie mit allen Mitteln verteidigen. Das zeigt sich auch an der Rechtsentwicklung, die wir zurzeit in großen Teilen der EU erleben. Das Kapital hat in der Geschichte gezeigt, dass es auch Faschismus und Krieg einsetzt, um seine Herrschaft auszubauen. Den Kapitalismus überwinden, das geht nur, wenn die arbeitenden Menschen ihn stürzen und eine neue Gesellschaft aufbauen. Aber wir müssen uns natürlich auch klar machen, dass die Arbeiterklasse das heute gar nicht will und dass die meisten Menschen glauben, dass das gar nicht möglich ist. Wir sehen deshalb als SDAJ unsere wichtigste Aufgabe darin, sozialistisches Bewusstsein in der Arbeiterjugend zu verbreiten – also zum Beispiel das Bewusstsein, dass der Sozialismus möglich ist und dass er die Alternative ist, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Vielleicht wäre der Sozialismus eine schöne Sache. Aber tun es nicht für den Anfang auch kleinere Veränderungen, ohne gleich die Revolution auszurufen?

Paul: Die SDAJ kämpft überall mit allen ihren Kräften für Verbesserungen im Interesse der Schülerinnen und Schüler, der Studierenden, Azubis und jungen arbeitenden Menschen. Bei den Bildungsstreiks und in den SVen, in unseren Städten und in den Gewerkschaften sind wir aktiv. Wir kämpfen für gleiche Bildungschancen, für ein Recht auf Ausbildung, für die Übernahme aller Azubis – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Aber wir müssen uns doch auch klarmachen, dass alles, was wir heute erkämpfen, morgen schon wieder bedroht ist. Wenn wir heute höhere Löhne erkämpfen, kommt erst die nächste Preissteigerung und dann, in der nächsten Krise, wieder eine Lohnsenkung. Und so ist es mit allen Verbesserungen im Rahmen des Kapitalismus. Die SDAJ sagt daher: Wer konsequent für Verbesserungen im Interesse der Arbeiterklasse kämpft, der muss gegen das Kapital und seinen Staat kämpfen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, in allen Kämpfen, die wir heute führen, deutlich zu machen: Die Probleme die wir haben, sind ein Ausdruck des Klassengegensatzes in unserer Gesellschaft. Und jeder Versuch einer Verbesserung stößt sehr schnell an Grenzen. Denn die Profitinteressen der Konzerne sind eben heute wichtiger als unsere Bedürfnisse. Daran ändert auch ein verschönerter Kapitalismus nichts. Bertolt Brecht drückt unsere Herangehensweise so aus: Der Revolutionär „organisiert seinen Kampf um den Lohngroschen, um das Teewasser und um die Macht im Staat.“ Die scheinbar kleinen Kämpfe lassen sich nicht von dem Kampf um grundsätzliche Veränderungen trennen. Wer das ähnlich sieht, den laden wir ein, bei uns mitzumachen.

Grundsätzliche Veränderungen, gut. Aber kann die DDR wirklich als Beispiel für eine andere Gesellschaft herhalten?

Paul: Es gibt ja viele Linke, die sich völlig von der DDR distanzieren. Die Linkspartei zum Beispiel hat sich immer wieder für angebliche Verbrechen der DDR entschuldigt. Viele haben eben Angst davor, von den Mainstream-Medien in die Stasi-Ecke gestellt zu werden. Die SDAJ sieht das anders. Die DDR hat, bei allen ihren Schwächen, gezeigt, dass eine andere Gesellschaft möglich ist. Die Erfahrungen, die die Arbeiterbewegung beim ersten Versuch den Sozialismus in Deutschland aufzubauen, gemacht hat, sind für uns doch enorm wichtig. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Errungenschaften und Problemen der DDR findet in Deutschland nicht statt. Und wenn von Bundespräsident über BILD-Zeitung bis zum Schulbuch eben nur von der zweiten Diktatur auf deutschen Boden geredet wird, ist klar, woher der Wind weht. Wir glauben nicht an ein Ende der Geschichte und meinen, wer eine Zukunft jenseits des Kapitalismus erkämpfen will, muss sich auch solidarisch-kritisch mit der DDR auseinandersetzen.

*Stand: 2014