Woran scheiterte die DDR?

Wir brauchen uns nicht für den Sozialismus zu schämen – aber wir müssen aus den Leistungen und aus den Fehlern der DDR lernen. Von Patrik Köbele

Gleich zu Beginn: Eine eindeutige Antwort auf Frage, woran die DDR gescheitert ist, kann hier nicht gegeben werden. Ein Artikel in einer Broschüre reicht natürlich nicht aus, um die Zerschlagung des Sozialismus in Europa, den Untergang der DDR zu erklären. Dass sie aber erklärt werden muss, wenn über einen neuen Anlauf zum Sozialismus nachgedacht werden soll, ist ebenfalls klar. Eine umfassende Analyse des Scheiterns der sozialistischen Staaten ist also unabdingbar. Folgende Denkanstöße müssen meines Erachtens nach dabei eine Rolle spielen:

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Es ist müßig, über die Angriffe des Imperialismus auf den Sozialismus zu trauern, vom Imperialismus etwas anderes zu erwarten ist Illusion und die ist für Revolutionäre nicht hilfreich. Also: Ja, am Ende war der Sozialismus zu schwach, sonst wäre er nicht untergegangen. Da die DDR sich aber nicht isoliert betrachten lässt, sondern im Kontext des Sozialismus in Europa insgesamt untersucht werden muss, lässt sich ihr Ende auch nicht von der Zerschlagung der UdSSR und der sozialistischen Staaten in Europa lösen.

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Dieser, am Ende zu schwache Sozialismus, hat einiges erreicht: Der Imperialismus wurde in manchen Phasen zum Frieden gezwungen. Kolonial und neokolonial unterdrückte Länder konnten sich national befreien. Der Arbeiterklasse im Westen wurden viele Zugeständnisse gemacht. In der DDR gab es keine Arbeitslosigkeit, Bildung war kein Privileg mehr, Antifaschismus Prinzip. Seit dem Ende des Sozialismus erleben wir bitter, was ein Sozialismus, der am Ende zu schwach war, schon erreicht hat – ein Grund mehr, für einen starken Sozialismus zu kämpfen.

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Die Ursachen der Schwäche? Es ist ein Bündel, sie haben historische Ursachen und konkrete Ausprägungen. Es gibt aber zwei historische Unsinnigkeiten, die wir uns nicht erlauben sollten: Erstens, die über 70 Jahre Existenz der Sowjetunion und 40 Jahre der DDR beweisen, wie richtig und legitim die Entscheidung für den Sozialismus in der DDR waren. Sie beweisen aber auch, dass der Sozialismus sich in harten Kämpfen durchsetzen muss. Zweitens: Das Scheitern auf eine Periode oder gar eine Person und deren Verbrechen, Deformationen und Handeln zurückzuführen, hat mit dialektisch-materialistischer Geschichtsbetrachtung nichts zu tun. Alle Perioden müssen auf Stärken und Schwächen und auch auf Fehler untersucht werden.

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Der reale Sozialismus hatte eine äußerst schwierige Ausgangssituation, neue Produktionsverhältnisse zu entwickeln und mit der permanenten Entwicklung der Produktionsmittel mitzuhalten, deren Entwicklung in den Kernländern des Imperialismus oft schneller fortschritt, auch weil diese als „Kraftquell“ immer z.B. über die Extraprofite der neokolonialen Ausbeutung verfügten. Es gab zwei zusätzliche Problemstellungen, die phasenweise mehr oder weniger erkannt, aber letztlich nie vollständig gelöst wurden. Erstens war die Arbeiterklasse in der Sowjetunion zunächst relativ klein, die Masse der Bevölkerung bestand aus Bauern – und das hieß eben auch, dass es nur wenige klassenbewusste, erfahrene und gebildete Arbeiter gab, die die Diktatur des Proletariats an Ort und Stelle verkörpern konnten. Das führte auch dazu, dass zunächst sehr viele Entscheidungen in der Partei zentralisiert wurden. Zweitens war der Sozialismus über lange Zeit gezwungen, mit massiven Mitteln die Grundstoffindustrie zu entwickeln um mit der Entwicklung des Kapitalismus mithalten zu können. Wahrscheinlich wäre dies sogar länger notwendig gewesen. Dazu wäre es aber auch nötig gewesen, dass die Masse der Menschen diese Politik mitträgt, dass der Sozialismus ein neues System der Bedürfnisse, Lebenserwartungen, kurz eine neue Weltanschauung entwickelt. Allerdings wurde „die Konkurrenz zwischen den Gesellschaftssystemen nicht mehr als Konkurrenz um Lebensziele, sondern um Konsumstandards geführt“, schreibt der kommunistische Philosoph Hans Heinz Holz in seinem Buch „Niederlage und Zukunft des Sozialismus“. Im Endeffekt führte dies dazu, dass der Sozialismus neue Produktionsverhältnisse entwickelte, aber die entscheidende Produktivkraft, der Mensch, am Ende in großen Teilen von der „Fahne“ ging.

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Dabei war auch das Bürokratie-Problem „schuld“. Ein sozialistischer Aufbau, ein sozialistischer Staat kommt ohne eine Bürokratie nicht aus. Es gibt die Notwendigkeit eines Staatsapparats, einer Ökonomie und einer Parteistruktur. Sinnig ist, dass sie sich gegenseitig kontrollieren, Auswüchse verhindern. Notwendig ist, dass sie permanent daran arbeiten, die Massen und vor allem die Arbeiterklasse und ihre Kreativität einzubeziehen. Das Räte-Konzept war ein solches Konzept, aber zum Beispiel auch die Mitbestimmung über die Massenorganisationen in der DDR. Aber sowohl die Unreife der Rahmenbedingungen wie auch schwerwiegende politische Fehler sorgten dafür, dass die sozialistische Demokratie oft nur noch einen rein formalen Charakter annahm.

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All das führte zu einer Verarmung der Theorie. Es wurde zu wenig unterschieden zwischen dem Widerspruch zum Gegner und den Widersprüchen, die die eigene, neue Gesellschaft hervorbrachte. Gleichzeitig wurde aus der richtigen Einschätzung, dass die Erhaltung des Friedens die zentrale Voraussetzung für den Erhalt der Menschheit und des Sozialismus ist, die richtige Schlussfolgerung gezogen auf internationale Bündnispolitik zu orientieren. Um solche Bündnisse zu erleichtern und zu verbreitern wurde allerdings auch von eigenen Positionen Abstand genommen und versucht, sich mit opportunistischen Anschauungen zu arrangieren. Diese Verarmung der Theorie führte aber wiederum dazu, dass die kommunistische Partei faktisch ihre Avantgarderolle verlor.

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In der damaligen DDR gab es eine große Unzufriedenheit der Massen, die aber anfangs Veränderungen innerhalb des Sozialismus einforderten („Wir sind das Volk“), dies wurde umgekehrt zu einer Stimmung des Anschlusses an die kapitalistische BRD („Wir sind ein Volk“, „Kommt die DM nicht zu uns, gehen wir zu ihr“). Ein entscheidender Einschnitt war eine gewisse Panik hinsichtlich der ökonomischen Situation der DDR, die sich auch in der Partei- und Staatsführung entwickelte. Allerdings ist festzuhalten: Trotz ökonomischer Probleme war die DDR (zumal wenn man ihren Schuldenstand an heutigen Staatsverschuldungen misst) nicht pleite!

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Das Hauptproblem in der damaligen Situation, unabhängig davon, dass die DDR durch die Entwicklung in der Sowjetunion wohl nicht zu halten gewesen wäre, scheint mir, dass dann eine Kopflosigkeit begann, die auch dem geschuldet war, dass große Teile der SED (auch der Führung) dann nach Strohhalmen griffen, die sich schnell als konterrevolutionär entpuppten. Die Partei wurde von den Massen und der Klasse nicht mehr als Avantgarde gesehen und sie wollte es in weiten Teilen auch nicht mehr sein. Waren dem Kapitalismus ideologisch schon viele Tore aufgemacht, so wurden sie dann auch ökonomisch und militärisch geöffnet.

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Angesichts der Realität des Kapitalismus haben wir uns des Sozialismus mit seiner ganzen Geschichte nicht zu schämen. Das betrifft unser Verhältnis zum Klassengegner. Denn wir haben bereits bewiesen, dass der Kapitalismus überwindbar ist.

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Angesichts der erfolgreichen Konterevolutionen haben wir die Pflicht einer genauen, differenzierten Analyse des Scheiterns, der Stärken, der Deformationen, der Verbrechen, der Erfolge in der Geschichte des Sozialismus. Das betrifft unser Verhältnis zur Arbeiterklasse: Wir haben die Pflicht zu verbreiten, dass der Kapitalismus / Imperialismus überwindbar ist.

Patrik Köbele

Patrik, Vorsitzender der DKP, hörte in seiner Jugend oft den Satz: „Geh doch nach drüben“. 1978 erlebte er dann die DDR zum ersten Mal live, Sozialismus mit Stärken und Schwächen, aber Sozialismus und deshalb die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung.