Der Ausverkauf

Als 1990 die sogenannte „Deutsche Einheit“ beschlossen wurde hatte dies weitreichende Folgen für die knapp 17 Millionen Einwohner der DDR. Fabriken, die früher kollektives Eigentum waren, wurden den „Besitzern“ zurückgegeben. Viele Fabriken schlossen daraufhin ihre Tore, die Menschen standen plötzlich ohne Job und Zukunftsperspektiven auf der Straße. Die 100 DM „Begrüßungsgeld“ waren schnell weg, der Lebensstandard sank. Kunst und Kultur waren zu teuer, Menschen blieben den Kulturhäusern fern.

Helmut Kohl versprach den Menschen im Osten „blühende Landschaften“. Was sie bekamen war der Ausverkauf ihrer Industrie, ihres Landes und ein dadurch immer schneller ansteigendes Heer von Arbeitslosen. Auch wenn die wirtschaftliche Lage der DDR nicht die beste war, die Entlassungen und der rapide Abbau der industriellen Produktion waren das Ergebnis einer Konterrevolution, von der das westdeutsche Kapital profitierte.

Doch auch für die alten Bundesländer stellte die Annexion einen herben Rückschlag dar. Verbesserungen, die die Arbeiter und ihre Gewerkschaften in den 80er Jahren erkämpft hatten, waren nur möglich, weil es die DDR gab. In Tarifkämpfen saß die DDR immer als „dritter Tarifpartner“ mit Beispielfunktion für soziale Rechte mit am Tisch. Ob im Bildungssektor, im Gesundheitswesen oder bei den niedrigen Arbeitslosenzahlen. Der Druck, der über die bloße Existenz der DDR auf die politischen und wirtschaftlichen Ebenen in Westdeutschland ausgeübt werden konnte, war groß. Mit dem Wegfall der Deutschen Demokratischen Republik war das vorbei und das deutsche Kapital auf dem Vormarsch. Rohstoffe, Fabriken und Arbeitskräfte waren in Ostdeutschland billiger und leichter zu haben.

Auch wenn die „Wiedervereinigung“ in den Medien als Ergebnis einer Massenbewegung im Osten dargestellt wird, wird dabei ein anderer Teil der Wahrheit verschwiegen. So demonstrierten im Mai 1990 in Frankfurt am Main 20.000 Menschen gegen die Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Sie forderten den Erhalt der DDR als eigenständigen Staat und zugleich bestimmte Reformen wie die Aufhebung der Einschränkung der Reisefreiheit. Ob die geforderten Verbesserungen der Wendepunkt für die DDR gewesen wären, können wir heute nicht beurteilen.

Diana, Essen

 

Literaturempfehlung

Hans Heinz Holz: Niederlage und Zukunft des Sozialismus, Essen: Neue Impulse Verlag, 1991.
Hans Heinz Holz schrieb dieses Buch unter dem Eindruck des Niedergangs des Sozialismus 1989/90 und der damit einhergehenden Krise Kommunistischer Parteien und stellte fest: „Diese Krise der Parteien ist nicht eine Krise des Marxismus“ Konsequent hält Holz also an den Erkenntnissen von Marx, Engels und Lenin fest, bei diesem ersten Versuch einer Erklärung der Niederlage des Sozialismus und der Bestimmung der künftigen Aufgaben vom Kommunistinnen und Kommunisten.

Kommunistische Partei Griechenlands: Thesen über den Sozialismus,
in: Konsequent, Schriftenreihe der DKP Berlin, Ausgabe 2/2011.
Mit ihren Thesen legte die KKE den bisher wohl umfassendsten Versuch einer kommunistischen Partei vor, die Niederlage des Sozialismus in Europa zu erklären. Die von einem Parteitag beschlossenen und vorher in der gesamten Partei breit diskutierten 39 Thesen legen den Fokus auf die Analyse der ökonomischen Entwicklung der Sowjetunion und kommen dabei zu einem ganz anderen Ergebnis als viele andere Erklärungsversuche: nicht das Neue, die Planwirtschaft, erwies sich als undurchführbar, sondern das Vertrauen auf Instrumente des Alten, der Marktwirtschaft, zur Lösung der neuen Probleme, untergrub letztlich die wirtschaftliche Basis des Sozialismus.

Siegfried Wenzel: Was war die DDR wert? Und wo ist dieser Wert geblieben? Versuch einer Abschlussbilanz,
Berlin: Das Neue Berlin, 2000, 14,90 €.
&
Klaus Huhn: Raubzug Ost. Wie die Treuhand die DDR plünderte, Berlin: edition ost, 2009, 9,90 Euro.
Beide Bücher widmen sich einer Ansicht, die so häufig vertreten wird, dass sie kaum noch angezweifelt wird: Die DDR war pleite, ihre Industrie wertloser Ramsch, den die Treuhandanstalt, die sie im Auftrag der BRD abwickelte, nur mit Verlusten loswerden konnte. Was oft genug gesagt wird, wird allerdings dadurch noch lange nicht wahr. Wenzel weist nach, wie es um die Wirtschaft der DDR wirklich stand und dass sie mitnichten pleite war. Huhn zeigt, wie die Treuhand das Volkseigentum unter Wert an westdeutsches Kapital verscherbelte.

Romane

Wolfgang Schorlau: Die blaue Liste. Denglers erster Fall,
Köln: Kiwi, 2003, 7,95 Euro.
In diesem Krimi gestaltet Schorlau die Auseinandersetzungen um die und innerhalb der Treuhand-Anstalt, die den Ausverkauf der DDR organisierte. 1991 wird der Treuhand-Präsident Detlev Rohwedder erschossen, angeblich von der RAF. Nur: Sein Tod machte den Weg frei für die völlige Abwicklung der Betriebe im Osten, profitiert hat das westdeutsche Kapital. Wirklich aufgeklärt wurde der Rohwedder-Mord nie, und das gibt Schorlau den Spielraum, eine Handlung zu entwerfen, die zwar nicht beweisbar, aber durchaus plausibel ist.