Auf Abstand zum 1. Mai!

Ein Diskussionsbeitrag der SDAJ Berlin

 

Die Vorbereitungen für den 1. Mai waren in vollem Gange und dann kam die Corona-Krise. Die Gruppen, die den diesjährigen revolutionären 1. Mai in Berlin organisieren, haben zu einer offenen Diskussion darüber aufgerufen, wie wir dieses Jahr den 1. Mai gestalten können. Den Ursprungsbeitrag findet ihr hier

http://de.indymedia.org/node/75328

Der erste Mai wird stattfinden, die Form dafür steh nur nicht fest. Wir begrüßen die Debatte, die der Vorbereitungskreis der Berliner Revolutionären 1. Mai Demo angestoßen hat. Wir finden es richtig, offen und solidarisch, um Formen zu diskutieren, die uns ermöglichen, auch in diesem Jahr am 1. Mai kämpferisch und gemeinsam unsere Forderungen in die Öffentlichkeit zu bringen.

Für uns steht außer Frage, dass wir am 1. Mai einen Ausdruck für unseren Unmut über die bestehenden Verhältnisse finden müssen, der über den üblichen Kram bei Social Media hinausgeht. Längst zeigt sich, dass der Dauerstream an Informationen im Netz nicht ersetzen kann, was und wen wir erreichen, wenn wir uns zusammenschließen und gemeinsam auf die Straße gehen.

Nun stellt uns die Coronakrise in zweierlei Hinsicht vor Herausforderungen, was die Sicherheit der Teilnehmenden an einer gemeinsamen Aktion betrifft. Erstens die Sicherheit vor dem Corona-Virus und zweitens die Sicherheit vor der Brutalität der Staatsgewalt.

Erstens sprechen wir uns strikt gegen Aktionsformen aus, die für die Teilnehmenden ein Ansteckungsrisiko mit dem Corona-Virus mit sich bringen. Eine Kundgebung (oder Demo) käme für uns nur unter Einhaltung von Mindestabstand zueinander sowie Bedeckung von Mund und Nase (bspw. durch Masken) in Frage. Diese Maßnahmen schlagen wir nicht vor, weil wir es besonders toll finden, womit der Berliner Senat uns in den letzten Wochen schikaniert hat, sondern weil wir der Meinung sind, dass wir alle eine Verantwortung haben uns gegenseitig aber besonders die Beschäftigten im heruntergewirtschafteten profitorientierten Gesundheitssystem zu schützen.

Zweitens sprechen wir uns gegen Aktionsformen aus, die die Teilnehmenden fahrlässig der aktuell gesteigerten Gewalt des Staates aussetzt. Wir haben schließlich gesehen: Den richtigen und wichtigen Aktionen gegen die katastrophalen Zustände an den Grenzen Europas, insbesondere im Flüchtlingslager Moria, wurden trotz der Einhaltung der Regeln zur Ausgangsbeschränkung mit starken Repression begegnet.

Das sind massive Einschnitte in die Versammlungsfreiheit, die wir so nicht hinnehmen dürfen. Der Staat gestattet mit seinen Maßnahmen nur noch Ansammlungen von Menschen, die den Profiten der Konzerne nützen. Baustellen bleiben geöffnet, Produktionsstätten werden am Laufen gehalten, Paketzusteller ackern härter denn je und kaum jemand schert sich um die Gesundheit dieser „systemrelevanten“ Beschäftigten.

Der Staat würde es uns nicht gestatten, unsere Versammlungsfreiheit auszuüben, weil es ihm einfach nicht in den Kram passt, selbst wenn wir das Ansteckungsrisiko stärker minimieren, als es bei einem einfachen Besuch im Supermarkt möglich wäre. Aber: wir sollten uns nicht davor fürchten, dass unsere Personalien aufgenommen werden, weil wir uns für unsere Rechte einsetzen. Wir kennen nur die Brutalität mit der dieser Staat seinen Willen durchsetzt und im Falle des in Berlin geltenden Bußgeldkatalogs, der horrende Strafen gegen jede(n) verhängt, der / die nicht mit einem „triftigen Grund“ das Haus verlässt, halten wir es für fahrlässig die Teilnehmenden ohne angemessene Maßnahmen wie bspw. die Anmeldung einer Kundgebung zu einer gemeinsamen Aktion aufzurufen.

Das bedeutet schlussendlich, dass wir für Aktionsformen sind, die möglichst im Einklang mit den Auflagen des Berliner Senats zum Schutz gegen die Verbreitung des Corona-Virus stattfinden und wollen uns für den Versuch aussprechen, eine 1. Mai-Kundgebung mit Abstand anzumelden. Denn nur so können wir gewährleisten, dass wir niemanden von vorne herein von der Teilnahme an der Demo ausschließen.

Darüber hinaus sind wir für alle Aktionsformen offen, die eine solche Kundgebung begleiten könnten: ob von Dächern und Balkonen, vor Haustüren, an Fenstern, mit Transparenten, Schildern oder Fahnen.

Wichtig ist uns, klarzumachen, dass wir in diesen Zeiten zusammenstehen. Und zwar nicht „für die deutsche Wirtschaft“, wie es seit Wochen von uns verlangt wird. „Wir sitzen ja alle im selben Boot“, das ist das, was uns weiß gemacht werden soll. Das verschleiert, wer in diesem System die Gewinner und Verlierer sind – ein Zustand, der die Corona-Krise nur weiter verschärft wird.

Während diejenigen, in prekären Arbeitsverhältnissen (Leih- oder Zeitarbeiter und befristete Angestellte) ihre Jobs verlieren oder auf Kurzarbeit gesetzt werden, investiert die Regierung jetzt schon Milliarden in die Rettung von Banken und Konzernen.

Das Kurzarbeitergeld, das von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt wird, umfasst nur eine Höhe von 60% des regulären Einkommens, Aufstockungen von Arbeitsgeberseite ist sehr Branchen- und Regionen abhängig. Begründet wird das mit der Sicherung der Arbeitsplätze. An vielen Stellen fehlt es an betrieblicher Interessenvertretung oder einer gewerkschaftlichen Verankerung, was es fast unmöglich macht, sich gegen diese Angriffe zur Wehr zu setzen.

Zeitgleich mit dem Kurzarbeitergeld wurde ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds für Unternehmen eingerichtet, der ca. 500 Milliarden Euro umfasst. Nur 10% davon sollen für Freiberufler, Selbstständige und kleine Unternehmen ausgegeben werden. Aber da macht die Bundesregierung nicht halt. Sie hat den großen Unternehmen und Banken Kredithilfen verschafft und Möglichkeiten zur zinslosen Stundung von Steuerzahlungen eingeräumt, während auf die Vollstreckung überfälliger Steuerschulden ganz verzichtet wird. Diese „Hilfen“ werden den Selbstständigen nicht eingeräumt.

 

Doch schon lange bevor Corona das gesellschaftliche Leben lahmlegte, hat sich eine erneute zyklische Konjunktur- und Strukturkrise abgezeichnet. Jetzt nutzt der Staat die Pandemie, um diese Tatsache zu verschleiern und auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung Hilfspakete für seine Unternehmen zu schnüren. Weitere Absurditäten lassen nicht auf sich warten: die Lockerung der bestehenden Maßnahmen soll sich daran orientieren, wie der wirtschaftliche Schaden minimieren lässt – und nicht etwa an den Bedürfnissen der Bevölkerung. 40.000 Erntehelfer aus Rumänien werden eingeflogen, während die Aufnahme von Geflüchteten angeblich nicht verkraftbar wäre. Hotels bleiben leerstehend, statt sie für Wohnungslose oder als Frauenhäuser freizugeben. Die Personaluntergrenze im Gesundheitssystem soll heruntergesetzt werden, während die Beschäftigten im Gesundheitssektor auch schon ohne Pandemie mit viel zu wenig Personal für viel zu viele Menschenleben verantwortlich sein müssen. In dieser Gesellschaft gelten die Profite der Konzerne und nicht unsere Interessen – das war vor Corona so, wird währenddessen so bleiben und uns danach mit aller Wucht treffen.

 

Egal wie unser 1. Mai aussehen wird: Das können wir uns nicht gefallen lassen. Ob vom Fenster aus oder auf der Straße – unsere Forderungen müssen sein:

  • Schließung der nicht lebensnotwenigen Produktionsstätten!
  • Verbot von Leih-, Zeit-, und Kurzarbeit!
  • Volle Lohnfortzahlung auf Kosten der Banken und Konzerne statt Kurzarbeitergeld!
  • Verstaatlichung der Schlüsselbetriebe und ihre demokratische Kontrolle!

 

Berlin, den 14. April 2020 – SDAJ Berlin