Der Kampf um Frieden in der EVG

veröffentlicht am: 27 Sep, 2024

Interview mit Rainer Perschewski

 

POSITION: Hallo Rainer, du bist im Vorstand einer EVG-Betriebsgruppe, im Landesvorstand der EVG Berlin sowie im Bundesvorstand und freigestellter Betriebsratsvorsitzender. Wie kam es zu deiner gewerkschaftlichen Arbeit und welche Themen haben dich seither begleitet?

Rainer Perschewski: Ich würde gerne zunächst einmal unterstreichen, dass ich erst vor 10 Jahren in die Freistellung eines Betriebsrates gegangen bin und vor 8 Jahren Vorsitzender wurde. Die drei Jahrzehnte davor sind alle Aktivitäten von mir aus dem jeweiligen Job in mittlerweile drei Branchen heraus entstanden. Das war mir immer sehr wichtig, da ich „normaler“ Beschäftigter sein wollte und mich nicht von den alltäglichen Arbeitsbedingungen abheben wollte. Ich habe bereits als 16-Jähriger meine erste Funktion in der Gewerkschaft übernommen, einfach weil es mein Selbstverständnis war, mich dort zu engagieren, wo ich arbeite. Gewerkschaften bieten da den größten Aktionsraum, und durch die Vielfalt an Meinungen in den Mitgliedsgewerkschaften des DGB bewahren sie auch davor, einen zu engen Blick auf den Alltag und auch die politischen Probleme zu bekommen. Bei den Themen muss man das jeweilige Tätigkeitsfeld im Blick haben. Betriebliche Themen sind häufig alltägliche Auseinandersetzungen im Arbeitsleben, die sich insbesondere zwischen Führungskräften und deren Mitarbeitenden ergeben: Gleichstellung, Diskriminierung, Arbeitsbedingungen, Bezahlung etc. Der gewerkschaftliche Blick darauf fordert dann eine gewisse Fähigkeit zur Verallgemeinerung, um diese dann in Tarifrunden oder Arbeit in den Gewerkschaftsgremien einzubringen. Dazu gehören sozialpolitische Themen genauso, wie gesellschaftspolitische Themen.

 

Du gehörst zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg“. In diesem werden die Gewerkschaften und deren Vorstände aufgerufen, sich zu ihren Beschlüssen zu bekennen, die sich ganz klar gegen Krieg und Waffenlieferungen stellen. Wie ist es dazu gekommen und wo beginnt für dich der Friedenskampf innerhalb der Gewerkschaft?

Das ist richtig – ich habe diesen Aufruf unterzeichnet, weil die Debatte in den Gewerkschaften seit der Eskalation des Krieges in der Ukraine 2022 in eine völlige Schieflage geraten ist. Alle Gewerkschaften des DGB haben eine Antikriegshaltung, für Frieden und Völkerverständigung in ihren Satzungen und Programmen verankert. Die meisten auch klare Positionen gegen Waffenexporte. Jetzt, wo eine kriegerische Auseinandersetzung in die Nähe gerückt ist, besteht die Gefahr, dass alles nicht mehr gelten soll und quasi Feuer mit Öl bekämpft werden soll. Es werden Feindbilder reaktiviert, mit denen schon seit über 100 Jahren Kriege begründet wurden. Sprich, der „Russe“ ist an allem Schuld und es wird die Gefahr durch den „russischen Bären“ beschworen. Wer sich da ein wenig mit der Geschichte befasst, wird feststellen, dass die Begründungen für eine Bedrohung aus dem Osten immer ähnlich waren. Wir erleben immer weitere Eskalationen und immer mehr Maßnahmen werden umgesetzt, die zunächst als nicht zu überschreitende „rote Linien“ bezeichnet wurden. Hysterie greift um sich, jegliche Diplomatie wird über Bord geworfen. Scheinargumente, die auch die Diskussion in den Gewerkschaften beherrschen, und vor allem besteht die Illusion, dass es ohne Auswirkungen auf die sozialen Bedingungen für die arbeitenden Menschen bleibt. Genau dort beginnt für mich der Einsatz für Antikriegshaltungen in den Gewerkschaften. Die Schwierigkeit ist hier, überhaupt erstmal wieder eine Basis für Diskussionen herzustellen, und wir müssen deutlich machen, dass Rüstung und Sozialabbau zwei Seiten derselben Medaille sind.

 

Du bist nicht nur aktiver Gewerkschafter in der EVG, sondern auch in der DKP organisiert. Warum ist es gerade für Kommunistinnen und Kommunisten besonders wichtig, in den Gewerkschaften, also der größten Arbeiterorganisation, zu kämpfen, und inwiefern ergänzt sich deine politische Arbeit dadurch auch außerhalb des Betriebes, sich für die Interessen der Arbeiterklasse einzusetzen?

Das zu erklären ist gar nicht so schwer. Ich habe nach den ersten Jahren meines politischen und gewerkschaftlichen Engagements die Ursache für die meisten Probleme in der kapitalistischen Verfasstheit dieser Gesellschaft ausgemacht. Kapitalinteressen und Profitstreben haben auf allen Ebenen der Gesellschaft einen größeren Stellenwert als die ureigensten Interessen der Menschen nach guten Arbeits- und Lebensbedingungen. Nun hilft es aber nichts, wenn ich mich nur mit Gleichgesinnten zusammentue und quasi in einer Blase lebe, während die Mehrheit der Gesellschaft anders tickt. Wenn ich zudem der Meinung bin, dass eine wahrhaft demokratische Wirtschaftsordnung ohne Profitstreben und die Probleme wie soziale Ungleichheit oder Klimaprobleme nur in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung gelöst werden können, dann muss ich die Menschen davon überzeugen. Hier kommt dann die Arbeiterklasse ins Spiel. Die Mehrheit der Gesellschaft – die Arbeiterklasse oder abhängig Beschäftigten – leiden unter den kapitalistischen Bedingungen, auch wenn viele das Gesellschaftssystem damit nicht in Verbindung bringen. Unsere Aufgabe ist es, diese Zusammenhänge herzustellen und deutlich zu machen, dass es schon unser ureigenstes Interesse ist, die Herrschaft der Minderheit (Bourgeoisie), also das Privateigentum an Produktionsmitteln über die Mehrheit, also der Arbeiterklasse oder abhängig Beschäftigten, zu beenden. Wo, wenn nicht in den Gewerkschaften, in denen sich arbeitende Menschen unterschiedlichster Weltanschauungen organisieren, sollte ich mich engagieren? Nur diejenigen, die die Gesellschaft gestalten und die produzierten Werte erarbeiten, also die Mehrheit der Menschen – die Arbeiterklasse – können die Verhältnisse ändern. Da gibt es außerhalb der Gewerkschaften keine vergleichbare Organisation. Häufig kommt an dieser Stelle das „Argument“ man könne mit diesen angepassten Gewerkschaften nichts erreichen. Das lasse ich nicht gelten, denn die Mitglieder in den Gewerkschaften sind nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, und wenn ich es nicht schaffe, mich mit den Kolleginnen und Kollegen auseinanderzusetzen, sie zu überzeugen und Mehrheiten zu gewinnen, dann werde ich auch keine gesellschaftlichen Veränderungen erreichen.

Das Engagement in der DKP ergänzt meine betriebliche und gewerkschaftliche Arbeit schon allein dadurch, dass ich mir immer wieder bewusst werde, warum ich mich so für die Arbeits- und Lebensbedingungen engagiere – für die Vision, wie ich mir eine Gesellschaft vorstelle, wie von unseren Klassikern in den Grundlagen herausgearbeitet wurde. Du glaubst gar, wie wichtig das ist. Ohne meine Aktivitäten in einem Kollektiv von Gleichgesinnten, das auch immer wieder ermöglicht, sich selbst zu überprüfen, wäre das nicht möglich. Außerdem helfen unsere theoretischen Grundlagen, die jeweilige Situation einzuschätzen und zu analysieren.

 

Nächsten Monat beginnt die Forderungsfindung der Tarifrunde der DB AG. Im Frühjahr 2025 endet die Friedenspflicht und damit werden voraussichtlich wieder Warnstreiks stattfinden. Wie kann neben ökonomischen Forderungen auch in einer Tarifrunde das Thema Krieg & Frieden eine Rolle bei den Kolleginnen und Kollegen spielen?

Vorher findet schon die Tarifrunde der zahlreichen Klein- oder Privatbahnen statt. Die Tarifverträge enden schon im November. Die Vorbereitungen für unsere nächste Tarifrunde bei der DB AG laufen schon seit einigen Monaten. Denn dazu gehört, dass die Tarifkommissionen gebildet werden. Hierzu werden die Mitglieder aus den Betrieben rekrutiert. Jede Betriebsgruppe hat einen tarifpolitischen Ansprechpartner, welcher den Pool für die Tarifkommissionen bildet, also alles ehrenamtliche Mitglieder, die in diesen Kommissionen zusammenkommen. Diese sind weitgehend konstituiert worden und haben sich schon zu ersten Workshops zusammengefunden, um die grundlegenden Aufgaben festzulegen. Im Bundesvorstand der EVG haben wir uns nochmal mit der Evaluierung der letzten Tarifrunde auseinandergesetzt, welche ziemlicher Kritik ausgesetzt war. Beauftragt mit der Evaluierung war das WSI (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut) des DGB und es wurden erste Vorstellungen für die Organisation der nächsten Tarifrunde diskutiert. Natürlich auch mit Konsequenzen, wie bspw. dem Vorgehen im Falle von Streiks, der Einbeziehung der Mitglieder oder der Verbesserung der Kommunikation. Vor dem Hintergrund der gigantischen Mittel für die Rüstung und der Kriegsunterstützung in der Ukraine ist es wichtig, den Zusammenhang herzustellen. Die Mittel, um den öffentlichen Verkehr zu finanzieren, wären vorhanden, sie kommen nur nicht in der erforderlichen Höhe, weil die Prioritäten anders sind. Das glaube ich, wird einleuchtend sein und damit kann man die Tarifrunden gut begleiten. Übrigens nicht nur die von den Bahnen, sondern auch für den öffentlichen Dienst.

 

Das Interview führte Robin, Kassel

Zum Interviewten: Rainer ist in der Betrieb-und-Gewerkschaft-Kommission der DKP, kommt aus Berlin und im Bundesvorstand der EVG.

Gruppenkarte

finde die SDAJ Gruppe in deiner Nähe!

mehr zum Thema

Generation Z – Zu nichts zu gebrauchen?

Generation Z – Zu nichts zu gebrauchen?

Alle Jahre wieder grüßt die PISA-Studie mit ihren erschreckenden Ergebnissen über das deutsche Bildungssystem. Zumeist beginnt dann die Hetze gegen die „dumme junge Generation“, welche „eh zu nichts zu gebrauchen ist“. Dabei sind es nicht wir, die es dahin kommen...

mehr lesen
Der Wahnsinn hat System

Der Wahnsinn hat System

Wer ist Javier Milei? Seit dem 10. Dezember 2023 hat die Ultra-Rechte in Südamerika ein neues Gesicht: Javier Milei. Der neue argentinische Staatspräsident hat seinem Land einen so radikalen Sparkurs auferlegt, dass selbst die etablierten Medien wie Tagesschau etc....

mehr lesen