„Sie nennen uns Terroristen und Verräter“ – Interview mit Layana Khaoury (YCLI) zur Eskalation um Palästina

veröffentlicht am: 10 Aug, 2021

Der israelische Imperialismus eskalierte erneut die Gewalt gegen Palästina – die todbringende Bilanz: 249 Todesopfer, darunter 66 Kinder auf palästinensischer Seite. Der Gaza-Streifen gleicht einem Trümmerhaufen. Zuvor sollten Wohnhäuser im arabisch-dominierten Stadtteil Sheikh Jarrah von Ost-Jerusalem durch die israelischen Besatzungskräfte geräumt werden – in deren Folge kam es zur Erstürmung der Al-Aksa-Moschee, dem drittheiligsten Ort des Islam, durch israelische Soldaten. Zehntausende palästinensische und solidarische Menschen gingen weltweit gegen die erneute, zionistische Aggression im Nahostkonflikt auf die Straße – die POSTION hatte die Möglichkeit mit Layana Khaoury, internationale Sekretärin der Kommunistischen Jugend aus Israel (YCLI) zu sprechen. Layana lebt in Haifa (Israel) und hat Neurowissenschaften sowie Psychologie studiert.

 

POSITION: Zuletzt im Mai eskalierte der Konflikt zwischen dem israelischen Staat und dem palästinensischen Widerstand. Wie ordnest du diesen ein und was war dessen Auslöser?

Layana: Zunächst, es gibt viele Gründe für die letzte Eskalation. Die israelische Besatzung wird von Tag zu Tag härter; das palästinensische Volk lebt in diskriminierender Apartheid. Der unmittelbare Grund jedoch für die jüngste Eskalation war der zionistische Plan für die Zwangsumsiedlung der Bewohner der Jerusalemer-Stadtteile Sheikh Jarrah und Silwan. Hinzu trat, dass die aggressiven Siedler die Heiligkeit islamischer Stätten wie der Al-Aqsa-Moschee mit Füßen traten und die PalästinenserInnen daran hinderten, im Fastenmonat Ramadan, die Moschee zu erreichen, während die ultra-rechte Siedlungsbewegung mit einem Flaggenzug marschieren durfte.

 

Arbeitet Ihr mit Organisationen in den besetzten Gebieten (Westjordanland, Gaza-Streifen etc.) zusammen und wenn ja: mit welchen?

Layana: Natürlich, die gemeinsame Arbeit mit palästinensischen Organisationen in den besetzten Gebieten ist grundlegend für unsere Position zur Unterstützung der palästinensischen Sache. Zusätzlich zu der Tatsache, dass die Kommunikation mit den palästinensischen Organisationen in den besetzten Gebieten uns näher an ihre Herausforderungen, Probleme und ihren Kampf mit der Besatzung bringt, bestätigt diese ferner, dass unser gemeinsamer Kampf für Freiheit und Sozialismus gerecht ist.  In jenem arbeiten wir hauptsächlich mit linken und fortschrittlichen Organisationen zusammen, dabei kooperieren wir primär mit unserer Schwesterorganisation PPP- Palestinian People Party.

 

Die deutschen Monopolmedien beschwören den Terrorismus der Hamas, deren Fahne in Deutschland verboten werden soll. Was ist deine/ eure Position zur Hamas?

Layana: Wir übernehmen nicht die Terminologie der Besatzung – wir bezeichnen die Hamas nicht als Terroristen. Zumal Israel all jene, die sich seiner Besatzung widersetzen, als Terroristen oder Antisemiten tituliert. Der Widerstand in seinen verschiedenen Formen ist legitim, trotzdem haben wir viele Vorbehalte gegenüber den Methoden und der Politik der Hamas. Für meinen Teil: sehe ich nicht, dass das Abfeuern von Raketen die richtige Strategie zur Befreiung des palästinensischen Volkes ist. Dennoch liegt es uns fern den Widerstand und das Streben nach Selbstbestimmung mit der israelischen Besatzung gleichzusetzen. Im Grundsatz hat jede Nation das Recht, Widerstand zu leisten, insbesondere in Anbetracht der 54 Jahre Besatzung in den 1967 eroberten Gebieten sowie im Hinblick auf die seit 15 Jahren andauernde Blockade des Gaza-Streifen durch Israel. Andererseits lehnen wir die islamistische Ideologie der Hamas und ihre reaktionäre Verwaltung des Gazastreifens ab. Die Wahrheit ist jedoch, dass die Verbrechen Israels und die Unterdrückung des palästinensischen Volkes strukturell schon vor der Gründung der Hamas oder ihrer Präsenz auf der politischen Bühne existierten.

 

Wie ist die Situation der progressiven Kräfte in Israel? Besonders nach dem Aufstand im letzten Jahr und der aktuellen Situation nach den Wahlen?

Layana: Ich sehe, dass die wichtigste progressive Kraft in Israel die „Vereinte Liste“ ist, da nur sie klar gegen die Besatzung, den Rassismus und seine kapitalistischen Nutznießer einsteht. Bedenklich und bedauerlich ist, dass einige Parteien, die zuvor jahrelang von Menschenrechten schwadronierten und sich als „progressiv“ ausgaben, kein Problem hatten, in die neue extrem-rechte Regierung unter Naftali Bennet einzutreten. Leider muss konstatiert werden, dass die „Vereinte Liste“ von 15 auf 6 Sitze zurückgefallen ist – zuvor war die Raam-Partei ausgetreten.  Die progressiven Kräfte in Israel müssen sich leider erst wieder sammeln und gehen zurzeit durch eine schwere Krise.

 

Der deutschen, marxistischen Linken wird immer vorgeworfen, antisemitisch zu sein, wenn Kritik an den Verbrechen von Israel laut wird. Wird dir oder euch Antisemitismus vorgeworfen für eure Solidarität mit dem palästinensischen Volk in Israel?

Layana: Die israelische Besatzung versucht, ihre Verbrechen zu kaschieren, indem sie diejenigen, die sie kritisieren, beschuldigt, antisemitisch zu sein. Doch in Israel können die Regierung und die faschistischen Kräfte das Volk nicht des Antisemitismus beschuldigen, da die palästinensischen Araber und die antizionistischen Juden als Semiten [eine Gruppe, die historisch der semitischen Sprachfamilie angehört und von Nordafrika bis in den Nahen Osten verbreitet ist, Anm.d.Red.] betrachtet werden müssen. Dennoch haben Netanjahu, Benett und die rechten Parteien versucht, die palästinensischen Führer des Antisemitismus zu beschuldigen, was jedoch als lächerlicher Versuch scheiterte. Aber die Besatzung und die zionistische Propaganda besitzt weitere Anschuldigungen. Sie nennen uns „Terroristen“ oder „Verräter“.

 

Abgesehen von der Besatzungsfrage und dem Thema der Befreiung von Palästina, was seht Ihr oder was siehst du als die größten Probleme der Jugend in Israel an?

Layana: Die neoliberale Regierung bietet der Jugend keine Perspektive, die Studiengebühren und die Lebenshaltungskosten sind hoch; die Mietpreise schießen in die Höhe. Die Jugend in Israel kann kaum ihre Grundbedürfnisse decken – Preise galoppieren, während Gehälter stagnieren. Die Pandemie zeigte deutlich: während Milliarden für Besatzung und Krieg ausgegeben wurden, fehlte das Geld in der Bevölkerung und die enorme Steuerbelastung stieg.

 

Das Interview führte Luca, Frankfurt

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