Keine Demokratie ohne demokratische Medien (POSITION #04/19)

veröffentlicht am: 10 Okt, 2019

Das Entstehen einer öffentlichen Meinung in Kaffeehäusern, Salons, Theatern oder gelehrten Gesellschaften bereitete im 18. Jahrhundert die bürgerlich-demokratische Revolution vor. Das Bildungsbürgertum wollte weder der vox populi (der Volksmeinung) folgen noch Staat und Kirche. Es brachte die modernen Zeitungen hervor, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts Massenware wurden. Mit dem politischen Auftreten der Arbeiterklasse entfaltete sich ein Konflikt, der bis heute das Verhältnis von Medien und ihren Nutzer*innen bestimmt: Kapital und demokratische Meinungsbildung sind ein Gegensatz, letztlich unvereinbar. Der 24jährige Karl Marx fasste das in die Worte: „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.“

Die Macht der Medienmonopole

Das Problem verschärfte sich sprunghaft mit dem Entstehen von Zeitungskonzernen um 1900. An die Stelle der öffentlichen Meinung trat die veröffentlichte. Ein Beispiel: Der US-Zeitungsmagnat William Randolph Hearst schickte 1897 einen Pressezeichner nach Kuba mit dem Auftrag, über den bevorstehenden Krieg mit Spanien zu berichten. Der Korrespondent kabelte: „Hier gibt es keinen Ärger, es wird keinen Krieg geben.” Hearst antwortete: „Sie liefern die Bilder, ich liefere den Krieg.“ Am 15. Februar 1898 explodierte im Hafen von Havanna das US-Schlachtschiff Maine, 266 Mann kamen um. Washington behauptete, ein spanischer Torpedo habe das Schiff getroffen. Die Hearst-Presse entfachte eine nationalistische Hysterie, der Krieg konnte beginnen. Ähnlichkeiten mit dem Vertrieb von Videos aus dem Persischen Golf durch Donald Trump sind nicht zufällig.

Heute ist die Menschheit mit der größten Manipulationsmaschinerie ihrer Geschichte konfrontiert. Digitalisierung bedeutet hier: Jeder Inhalt wird durch Zerlegung und Wiederzusammensetzen hergestellt. Der Prozess wird von Monopolen und von mit ihnen verflochtenen staatlichen Stellen gesteuert. Mark Zuckerberg ist der Chefredakteur des größten globalen Informationskanals, die deutsche Presse wird von etwa zehn Milliardärsfamilien beherrscht. Wer auf unabhängige Meinungsbildung Wert legt, sollte dem Internettheoretiker Jaron Lanier folgen und seine „Social Media“ Accounts löschen.

Demokratisierung der Medien

Wichtiger wäre: Über die Eigentumsverhältnisse reden – auch sozialistische. Wo die herrschten oder herrschen, sind Kriegshetze, Rassismus oder Nationalismus verboten. Es heißt, die Dinge auf den Kopf stellen, wenn daraus abgeleitet wird, im Sozialismus werde automatisch die Meinungsfreiheit unterdrückt. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Erst wirklich demokratisierte Medien ermöglichen Demokratie. Das betrifft auch die Inhalte: Der Imperialismus benötigt Verdummung, Emotionalisierung und Brutalisierung, fortgeschrittene bürgerliche Demokratie und erst recht der Sozialismus brauchen das Gegenteil. Die Demokratisierung der Medien – in welcher juristischen Form auch immer – steht an und die große Unzufriedenheit mit den Konzern- und Staatsmedien besagt, dass Vorschläge dafür Chancen auf Resonanz haben. Im Grunde muss von vorn angefangen werden, im 18. Jahrhundert: Wer Pressefreiheit und Aufklärung haben will, muss die öffentliche Meinung wiederherstellen. Nicht nur Wohnungen, auch Medien dürfen nicht Monopolbesitz sein.

Arnold Schölzel

Arnold Schölzel ist Journalist und Autor. Er ist Chefredakteur des „RotFuchs“ und schreibt regelmäßig für die „junge Welt“

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Dieser Artikel erschien in
POSITION #4/2019
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