Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel oder: Warum gehen Menschen ins Fußballs…

veröffentlicht am: 8 Jul, 2019

Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel oder: Warum gehen Menschen ins Fußballstadion? (POSITION #02/19)

Fest steht, sie tun es, zu Hunderttausenden, Samstag für Samstag, Wochenende auf Wochenende und kritisiert und unbeliebt, aber dennoch: zur Not sogar an einem Montag.

MEIN VEREIN, DEIN VEREIN
Fußball ist ein großes, taumelndes, überschäumendes Fass voller Gemeinsamkeit, Leid, Erlösung und Glückseligkeit. Alltagsflucht per Definition und dennoch oder gerade deswegen, für nicht wenige Menschen ein zentraler Lebensinhalt. In der Regel sehen Menschen ihren Stadionbesuch nicht als Teil einer politischen Betätigung. Fußball muss auch nicht politisch sein, aber er bewegt sich nicht im luftleeren Raum. Deshalb ist es sinnvoll, seine Überzeugungen nicht am Stadiontor abzugeben, Dinge zu hinterfragen (wie z.B. die Mitbestimmung im Verein) und das Maul aufzumachen, wenn der Nachbar im Block rassistische Parolen schreit. Linke, meist antirassistische Fanprojekte sind super und stehen für die oftmals harte, kontinuierliche Arbeit aktiver Leute vor Ort. Allerdings ist es allemal besser, den eigenen, regionalen Verein zu unterstützen, als den linken Lifestyle-Club 800 km entfernt. Der (linke) Vorwurf, das ganze gemeinsame und gemein-machende Gefühl in den Fankurven und Zuschauerrängen täusche über die reale Teilung und Zerrissenheit, die Problematik und harte Tragik der kapitalistischen Wirklichkeit hinweg, diene also nur der Massenbespaßung und Ablenkung, ist vielerorts weit verbreitet. Diese Kritik geht aber an der Situation, mit der sich sowohl Stadionbesucher als auch aktive Fußballfans konfrontiert sehen, vorbei.

WEM GEHÖRT DER FUSSBALL?
Spielzeiten, Sponsoring, Kartenpreise, Stehplätze und „Sicherheit“ im Block – wer sich die Mühe macht genauer hinzusehen erkennt, wie wenig die harte, kapitalistische Wirklichkeit vor den Fußballstadien Halt macht. Für die allermeisten Menschen, die gerne ins Stadion gehen, ob sie dort nun Zerstreuung oder das emotionale Highlight ihrer Woche suchen, macht es einen Unterschied, ob sie sich die (Dauer-)Kartenpreise noch leisten können oder nicht. Es macht einen Unterschied, ob die Spiele zu Zeiten und an Wochentagen stattfinden, an denen die Mannschaft sowohl zu Hause als auch auswärts unterstützt werden kann, oder ob sich die Spielzeiten primär an erwarteten Einschaltquoten orientieren. Die Frage „Wessen Fußball ist der Fußball?“ mündet nicht automatisch in die Frage „Wessen Welt ist die Welt?“. Aber sie ist ein Anfang. Wer erfährt, dass erschwingliche Stehplätze zugunsten prestigeträchtiger VIP-Logen weggekürzt werden, gerät ins Grübeln. Genauso wie jeder Fußballfan den bitteren Geschmack einer Stadionumbenennung samt der Streichung eines Traditionsnamens zugunsten eines Bankslogans, Konzernnamens oder einer Kreditlinie kennt. An vielen Stellen und in den meisten Stadien sind es mit den Ultras-Gruppen die organisierten Teile der aktiven Fangemeinde, die solche Fragen und Problemstellungen aufgreifen. Bundesweite Beachtung fand unter dem Slogan „50 plus 1 bleibt“ der Kampf gegen eine Änderung der entsprechenden DFB und DFL-Statuten. Die „50 plus 1“ Regelung besagt, dass Vereine, wenn sie ihren Profibereich ausgliedern, mindestens 51% der Stimmenanteile in der entsprechenden Aktiengesellschaft halten müssen. Ansonsten bekommen sie keine Lizenz. Ausnahmen gelten nur für Investoren mit einer jahrzehntelangen, durchgehenden Förderung. Das verhindert den kurzfristigen, massiven Einkauf kapitalträchtiger Investoren, ohne dass Fans und Vereinsmitglieder noch irgendeinen Einfluss ausüben können. In England, Italien oder Spanien, wo es die Regelung nicht gibt, war die Folge des Einstiegs privater Milliardäre oder internationaler Investoren oftmals eine hohe Verschuldung der Clubs und unbezahlbare Eintrittspreise. Nach einer bundesweiten Kampagne der Fanszenen und basierend auf einem vom FC St.Pauli eingebrachten Antrag bleibt die „50 plus 1-Regel“ vorerst weiter bestehen.

HEUTE IHR, MORGEN WIR
Diesem Staat und seinen Vertretern sind Menschen, die in organisierter Form ihre gegen die Herrschenden gerichteten Interessen vertreten, grundsätzlich ein Dorn im Auge. Wieso sollte dies ausgerechnet in der Welt des Fußballs, in einem Bereich, in dem Milliarden verdient, Korruption toleriert und Intransparenz zur Tugend erhoben wird, anders sein? In einem Bereich, wo Traditionsvereine und der Fußball schlechthin zum Spekulations- und Investitionsobjekt degradiert werden (sollen) verwundert es nicht, dass in zunehmendem Maße gerade die Ultras-Gruppierungen, der organisierteste Bereich der Fanszenen, Repression erfahren. Es verwundert nicht, dass sich Strafmaßnahmen des DFB, der Justiz und Polizei primär gegen die Menschen richten, die für ihren Verein und die Unterstützung ihrer Mannschaft leben und bereit sind, persönliche Opfer in Kauf zu nehmen. Erst recht nicht, wenn begonnen wird, über den Tellerrand des eigenen Stadions hinauszublicken, Zusammenhänge aufzuzeigen und Missstände zu thematisieren. So wurde im bayerischen Innenministerium mit Sorge die gleichzeitige Teilnahme verschiedenster, traditionell konkurrierender Fanszenen bei den Protesten gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) beobachtet. Es gilt auch in Zukunft sehr wachsam bei lautstarkem Wehklagen diverser Innenminister über das Gewaltpotenzial in Fußballstadien zu sein. Die Erfahrung zeigt: was heute mit Verweis auf gewaltaffine Fußballfans an Polizeibefugnissen und Polizeiausstattung eingefordert wird, trifft uns bei der nächsten Demo wortwörtlich selbst.

FAZIT
In den Fußballstadien dieser Republik spiegeln sich die Zustände in unserem Land, mit allen Widersprüchen, Chancen und Möglichkeiten. Man kann abendfüllend über rechte Fanszenen lamentieren, sich kuschelige, linke Vereine suchen oder bei aufkeimenden, lokalpatriotischen Gefühlen ein wenig über sich selbst schmunzeln. Fakt ist: Fußball ist und bleibt das, was wir daraus machen.

[Tatjana, Schwabach]

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Dieser Artikel erschien in
POSITION #2/2019
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