US-Bomben auf Syrien (POSITION #02/18)

veröffentlicht am: 10 Jun, 2018

Das hätte noch schlimmer ausgehen können. „Mach dich bereit, Russland, weil sie kommen werden“, die US-Raketen, „hübsch und neu und ’smart'“, hatte US-Präsident Donald Trump am 11. April getwittert. Der Tweet war eine Antwort auf die Ankündigung des russischen Botschafters im Libanon, die Vereinigten Staaten müssten sich, wenn sie Syrien, wie angekündigt, angriffen, auf Gegenschläge einstellen; Moskau werde einen Beschuss nicht widerstandslos hinnehmen. Trumps auftrumpfende Antwort ließ drei Tage lang das Schlimmste befürchten: US-Bomben auf syrische Militäreinrichtungen, in denen auch russische Soldaten stationiert sind, unmittelbar danach der angekündigte russische Gegenschlag, den die US-Streitkräfte prompt zum Anlass für weitere Attacken nähmen – und die kriegerische Eskalation zwischen den großen Atommächten wäre da. Auf Drängen nicht zuletzt von führenden US-Generälen beschränkte sich Washington, militärisch unterstützt von Großbritannien und Frankreich, politisch unterstützt von Deutschland, letztlich darauf, in einer Angriffswelle, über die Moskau offenkundig vorab informiert worden war, eine Reihe syrischer Militär- und Forschungseinrichtungen ohne russische Präsenz zu zerstören. Damit war die ultimative Eskalation abgewendet – knapp.

Bedrohliche Situation in Syrien
Die Lage in Syrien ist unverändert brandgefährlich. Dort sind die westlichen Mächte zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten dabei, einen Stellvertreterkrieg gegen Moskau zu verlieren. Die NATO-Staaten hatten durchweg darauf gesetzt, die Regierung von Bashar al Assad stürzen zu können; sie hatten zu diesem Zweck diverse aufständische Organisationen in Syrien politisch und militärisch unterstützt. Berlin hatte sich unter anderem darauf konzentriert, einen politischen Fahrplan für den Umbau Syriens nach Assads Sturz zu entwickeln und ihn eng mit der syrischen Exilopposition zu koordinieren. Niemand hatte ernsthaft damit gerechnet, dass Russland eingreifen und das Ruder für Damaskus herumreißen könnte. Genau das jedoch ist geschehen; Moskau ist erfolgreich gewesen, und mittlerweile glaubt niemand mehr an eine militärische Niederlage Assads. Die Frage ist nun allerdings, wie der Westen auf die Entwicklung reagiert.

Scheitern der westlichen Mächte
Denn schließlich sind die westlichen Mächte nicht nur mit dem Versuch gescheitert, in Damaskus eine neue, prowestliche Regierung zu installieren. Vor allem haben sie mit ihrem Umsturzstreben – völlig gegen ihre eigentliche Absicht – Russland den Weg zu einer neuen Machtstellung in Syrien gebahnt. Dabei geht es nicht nur um die Marinebasis in Tartus, die Moskau halten, und um die Luftwaffenbasis Hmeimim, die es errichten konnte. Auch politisch hat Russland im Nahen Osten heute erheblich mehr Einfluss als zuvor. Und nicht nur Russland. Auch Iran ist derzeit mächtiger denn je. Teheran ist, wenn man so will, schon der eigentliche Gewinner des Irakkriegs gewesen: Seit Saddam Husseins Sturz hat es mit Hilfe der schiitischen Bevölkerungsmehrheit seinen Einfluss im Irak erheblich ausgebaut. Saudi-Arabiens Krieg im Jemen hat dort die Huthi-Rebellen Teheran in die Arme getrieben. In Syrien wiederum zahlt sich nun die iranische Unterstützung für die Assad-Regierung aus. Alles in allem ist Irans Stellung im Nahen und Mittleren Osten signifikant gestärkt.

Gegen Russland und den Iran
Im Grundsatz sind sich die NATO-Staaten in dem Vorhaben einig, den russischen und den iranischen Einfluss nach Möglichkeit wieder zurückzudrängen, um die eigene, jetzt ein wenig geschwächte Machtposition wiederherzustellen. Differenzen gibt es allerdings in der Frage, wie weit man dazu eskalieren soll. Washington ist, wie neben Trumps Testosteron-Getwittere auch Äußerungen anderer US-Hardliner zeigen, bereit, sehr weit zu gehen; das gilt unter anderem für Eskalationen gegenüber Russland. Vor allem aber gilt es im Machtkampf gegen Iran. In der US-Hauptstadt wird längst über einen möglichen Krieg gegen das Land diskutiert, der sich durch einen direkten Angriff, aber auch durch Attacken auf iranische Stellungen in Syrien entzünden könnte; der neue Außenminister Mike Pompeo sowie der neue Nationale Sicherheitsberater John Bolton haben immer wieder für einen solchen Waffengang plädiert. Ziel ist es, zunächst Teheran aus dem Kampf um die Vormacht in Nah- und Mittelost auszuschalten. Dadurch wäre auch Russland, das sich eng mit Iran abstimmt, deutlich geschwächt.

Das Vorgehen der EU-Mächte
Die europäischen Mächte, insbesondere Deutschland, dringen darauf, Iran nach Möglichkeit aus seiner machtvollen Stellung in Syrien zurückzudrängen, aber auf den großen Krieg gegen das Land zu verzichten: Sollte ein solcher Krieg gewonnen werden, dann würden vor allem die militärisch nach wie vor dominierenden Vereinigten Staaten davon profitieren – und davon abgesehen haben die westlichen Mächte noch in keinem der Kriege, die sie in den vergangenen 15 Jahren in der islamischen Welt angezettelt haben, wirklich gesiegt. Berlin, Paris und London dringen daher gegenüber Iran auf eine Politik der Einbindung, die den Einfluss des Landes durch enge Kooperation begrenzen soll. Das bietet zudem die Option, sich lukrative Geschäfte zu sichern. Hoffnungen machen sich neben den großen Energiekonzernen unter anderem der Maschinen- und Anlagenbau – in der Bundesrepublik eine höchst bedeutende Branche -, aber auch die Kfz-Industrie. Nun werden selbst die bestmöglichen Deals in Iran das US-Geschäft nicht wettmachen können, das für die deutsche Industrie bei Exporten und Investitionen ungebrochen an erster Stelle steht; jeden Konflikt mit den USA muss man also aufs Genaueste kalkulieren. Doch stellt sich für Berlin die Frage, ob es im Fall Irans nicht doch einen ernsten Streit mit Washington riskiert: Will man, wie die Bundesregierung es mehrmals angekündigt hat, „auf Augenhöhe“ mit den Vereinigten Staaten gelangen, dann kommt man um Auseinandersetzungen nicht herum.

[Jörg Kronauer]

… Jörg ist Sozialwissenschaftler und freier Journalist mit Schwerpunkt deutsche Außenpolitik.

Dieser Artikel erschien in
POSITION #2/2018
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