Brexit, Trump und Deutschlands Weltmachtambitionen (POSITION #06/16)

veröffentlicht am: 20 Dez, 2016

Jürgen Wagner über neue Aufrüstungsvorwände

Innerhalb der deutschen Eliten herrscht seit vielen Jahren Einigkeit darüber, dass sich der – seit 2014 auch ganz offen – erklärte Weltmachtanspruch nur über den Umweg der Europäischen Union realisieren lassen wird. Für eine solche – deutsch dominierte – „Supermacht Europa“ werden zwei Dinge für zwingend notwendig gehalten: Einmal die Expansion in den erweiterten Nachbarschaftsraum, die über die Eingliederung der angrenzenden Staaten in den europäischen Binnenmarkt – in der Regel mittels eines Assoziationsabkommens – erfolgt; und zum anderen die militärischen Fähigkeiten, diesen Großraum auch unter Kontrolle halten zu können.

So hieß es etwa im Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ vom November 2013, dem wohl wichtigsten Grundlagendokument deutscher Weltmachtambitionen: „Erst die wirtschaftliche und politische Integration hat den Staaten Europas im Verbund das internationale Gewicht verliehen, das auch die Großen des Kontinents allein nicht mehr auf die Waagschale bringen. […] Deutschland wird hier [in der EU] öfter und entschiedener führen müssen. […] In Europas südlicher und östlicher Nachbarschaft muss die EU als regionale Ordnungsmacht Stabilität und gute Regierungsführung anstreben – und dabei nicht nur auf Regierungen zielen, sondern auf Zivilgesellschaften. Hierzu sollten wirtschaftliche, diplomatische und auch sicherheitspolitische Instrumente konsequent eingesetzt werden.“

Neue Macht …

Was allerdings den Aufbau militärischer Mittel anbelangt, erwies sich bislang Großbritannien aus Sorge um die eigene machtpolitische Beinfreiheit stets als Bremser, was sich allerdings mit dem Votum für einen EU-Austritt am 23. Juni 2016 erledigt haben dürfte. Aus diesem Grund forderte die wenige Tage später veröffentlichte EU-Globalstrategie, das Bündnis benötige militärische Spitzenfähigkeiten“, um „autonom“, also unabhängig von der NATO und damit den USA, Militäreinsätze durchführen zu können. Kurz darauf, am 27. Juni 2016, preschten dann die Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault mit dem Papier „Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt“ nach vorn, in dem die Umsetzung zahlreicher bislang von Großbritannien blockierter Militarisierungsvorhaben nebst einer diesbezüglichen deutsch-französischen Führungsrolle gefordert wurde.

neue Verantwortung?

Die Wahl Donald Trumps liefert nun zusätzlichen Rückenwind für das Bestreben, aus dem Windschatten der USA herauszutreten und sich als eigenständige Weltmacht zu etablieren. Indem nun verstärkt auf die Umsetzung ohnehin anvisierter Pläne gedrängt wird. Exemplarisch hierfür war etwa das von zehn Redakteuren unterzeichnete Plädoyer namens „Weltmacht! Echt jetzt?“, das am 19. November 2016 in der ZEIT veröffentlicht wurde: „Nach der Wahl Donald Trumps erkennen die Europäer, dass sie künftig selbst ihre Interessen durchsetzen und ihre Sicherheit garantieren müssen – und was dem noch alles im Wege steht. […] Europa muss nicht ‚Weltmacht‘ werden im amerikanischen Sinne, mit Flugzeugträgergruppen, die stählern durch alle Weltmeere pflügen. […] Europa hat Interessen in Afrika, in einem Teil von Asien (Syrien! Afghanistan!) und an all seinen Außengrenzen, vom Balkan bis Marokko, vom Atlantik bis tief ins südliche Mittelmeer. Hier Mitverantwortung zu übernehmen, weit über den eigenen Kontinent hinaus – auch das ist Weltmacht. Regional begrenzte Weltmacht ganz gewiss, aber auch zum Glück. Aber für eine ziemlich große Region.“

Jürgen, Tübingen

Dieser Artikel erschien in
POSITION #6/2016
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