Wie einfach darf Agitation sein? (POSITION #01/16)

veröffentlicht am: 23 Jan, 2016

Ein Lehrbuch für Agitation und die Stärke der kommunistischen Partei
Peter Mertens und die neue Generation belgischer Linker, er selbst sagt belgischer Ideen, haben den Nachfolger von „Wie können sie es wagen?“, dem EU-kritischen Bestseller, vorgelegt. „Die Millionärssteuer. Und sieben andere brillante Ideen die Welt zu verändern“ ist eine Agitationsschrift, die vieles kann und tut, was man in den Medien der deutschen Linken vergeblich sucht. Es ist verständlich, reich an Anekdoten, appelliert an den gesunden Menschenverstand, ist deutlich und greifbar. Nicht alle Beiträge in dem Buch stammen von Peter Mertens oder auch nur von Mitgliedern der belgischen kommunistischen Partei der Arbeit (PTB), viele stammen von Leuten aus den sozialen Bewegungen.
Leider entstehen dabei hin und wieder ernste Widersprüche. Das Lob des „Roten Wien“, das der Gentrifizierung entgegensteht, teilen die dortigen KommunistInnen nicht – im Gegenteil. Die haben vor kurzem noch gegen die dort grassierende „Aufwertung“ demonstriert. Gleiches gilt für den Kampf um demokratische Rechte: Die Volksentscheide in der Schweiz zu loben, wo vor kurzem im Wesentlichen die SVP auf diesem Weg ihre Anliegen gegen „kriminelle Ausländer“, Moscheen und andere Dinge durchbrachte, um das Abendland nicht untergehen zu lassen, beleuchtet dieses Mittel mindestens unkritisch. Die linke Berner Journalistin Patricia D’Incau, meint über diese Passagen: „Das ist ein Fall von rosaroter Brille was die politischen Mittel hier, […] angeht.“
Die Agitation, der sich das Buch verschreibt, und auch dem Anspruch, den es äußert, ein Buch für Mauerspechte zu sein, die die Mauern, die uns der Gegner setzt, ankratzt, um den Blick frei zu legen auf das, was sein könnte, wird es nicht ganz gerecht. Das, was sein könnte, muss erkämpft werden. Aber wie? Und vor allem: gegen wen sollen Millionärssteuer, die kostenlose Gesundheitsversorgung, der soziale Wohnungsbau und die Energiebetriebe in kommunaler Hand erkämpft werden? Das beantwortet das Buch nicht – und auch nicht mit wem. Aber es gibt gewissermaßen Hinweise für die Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“.
Das Buch ist eine Lehrschrift. Es zeigt, dass man seine Anliegen, die nächstliegenden, deutlichsten, einfachsten, auch naheliegend, deutlich und einfach den Menschen an die Hand geben kann. So ist das Buch ein Beitrag zur Debatte über die – auch agitatorische – Arbeit kommunistischer Parteien. Dabei von der belgischen PTB, deren Vorsitzender Peter Mertens ist, lernen zu wollen, ist keine Schande. Kommunistische Parteien, die in den Massen verankert sind und im Parlament sitzen, sind nicht so häufig wie es sein sollte. Die PTB und in Persona Peter Mertens sind hier der Kristallisationspunkt, an dem viele belgische Linke zusammenkommen. Diese Partei erarbeitet die Plattform, auf der weiter denken wieder erlaubt ist. Dazu gehört die reale Kraft dieser Partei und es macht einen Teil dieser Kraft aus.

Peter Mertens (Hg.): „Die Millionärssteuer. Und sieben andere brillante Ideen, die Welt zu verändern“, Neue Impulse Verlag, Essen 2015, 175 Seiten, 14,90 Euro

Yoyo, Berlin und Kurt, Hamburg

Dieser Artikel erschien in
POSITION #1/2016
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