Fußball-WM in Brasilien

veröffentlicht am: 13 Jul, 2014

„Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod. […] Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist!“

Als die Fußballlegende Bill Shankly diese Worte sprach, bezog er sich auf seine Leidenschaft für den Sport. Für die Bevölkerung der brasilianischen Armenviertel ist die WM eine noch ernstere Sache, denn sie werden Opfer der Allianz aus FIFA-Mafia (klingt übertrieben, ist es nicht), einiger Weltkonzerne sowie ansässiger Großunternehmen. Welche Interessen dahinter stecken, wie die Bevölkerung Brasiliens auf die WM reagiert und was das mit der Linken in Facebook_Meme_Karls Erkenntnis_Pressefest_fin‚Schland zu tun hat – darum geht es hier.

Erst nehmen sie dir dein Haus, dann dein Stadion

Wie kommt es, dass in einem Land wie Brasilien, dessen Bevölkerung zu den fußballbegeistertsten der Welt gehört, vor Stadien demonstriert und die Vergabe der WM kritisiert wird? Ähnlich wie im Vorfeld der WM 2010 in Südafrika wendete der basilianische Staat horrende Summen (ca. 8,3 Milliarden Euro – doppelt soviel wie in Südafrika) für das Fußballspektakel auf. Gebäude mussten abgerissen werden, damit Stadien gebaut werden konnten, in denen sich der ursprüngliche Fan nun kein Ticket mehr leisten kann. In öffentlichen Einrichtungen, für Gehälter und Einstellungen fehlt aber jetzt das Geld. Besonders greifbar wird das Shankly-Zitat für die Bewohner der Favelas (Armenviertel) und die Demonstranten, die von einer „linken“ Regierung für die FIFA verprügelt, vertrieben und erschossen werden, da der Anblick von Armut Fußballtouristen nicht zuzumuten ist bzw man versucht, die Gefahr eines Handtaschenraubs zu minimieren. Die Bevölkerung soll für das Turnier mit steigenden Preisen, Zerstörungen ihrer Häuser, dem Ausschluss vom Nationalsport Nummer 1 und sogar ihrem Leben bezahlen. Mehrere Tausend Favela-Bewohner wurden in den letzten Jahren getötet, damit „man“ Weltmeister im eigenen Land werden kann. Ein kluges Volk, das sich dagegen wehrt. Gegen wen eigentlich?

Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach und am Ende gewinnt immer die FIFA

Es war absehbar, dass die WM zu einem Fiasko für den Großteil der brasilianischen Bevölkerung werden würde – auch, wenn der ehemalige Präsident Lula versprach, keine öffentlichen Ausgaben für die WM zu tätigen. Brasilien bewarb sich auf die WM, da es als Mitglied der BRICS-Staaten (Brasilien, Indien, China, Südafrika) eine aufstrebende Nation, in Südamerika eine wirtschaftlich bedeutende und im Fußball eine tonangebende Macht darstellt. Neben Gewinnen großer Konzerne (Sponsoren sind adidas, Coca Cola, Sony, Emirates und einige brasilianische Großunternehmen, v.a. Baufirmen, in denen sich die Leute kaputtschuften dürfen) spielt Prestige eine große Rolle. Damit ein Land die WM austragen darf, müssen vorher viele, viele Scheine in die Taschen der FIFA-Funktionäre wandern. Dieser Leute verbinden ihre Liebe zum Sport mit der Funktion, Plattform für die Verbindung sportlicher und ökonomischer Interessen zu spielen – diese Monopolstellung lassen sie sich natürlich was kosten. Viel einfacher und trotzdem richtiger als in der Formel: „WM = Armut der Bevölkerung + Gewinne für FIFA und Konzerne“ kann man die WM nicht zusammenfassen. Fragt mal die Südafrikaner. Oberflächlich scheint diese Kritik den Fußballhass vieler Linker zu stützen: Fußball lenkt die Leute vom Wesentlichen ab, ist nur Geldmacherei und macht zudem besoffen und nationalistisch. Aber: Muss das so sein?

„Deutschland ist die #1 und wir holn den Titel Heim, stelln das Dosenbier ins Eis, heut gibts ne große Sauferei.“ (Kay One)

So, wie es Rapper Kay One darstellt, empfinden viele „Linke“ den Fußball: Eine kommerzielle Party für biertriefende Prolls mit Minderwertigkeitsgefühl, die dann den Nazi in sich rauslassen. Dabei geht es geht im Grunde um die Frage der Einbettung des Sports in eine kapitalistische Gesellschaft, die Funktion von Nationalismus und eine vernünftige Kritik am Ganzen – sowie einige Stolperfallen – Vorsicht, Stufe.

Stufe 1: „Fußball ist nur Kommerz, da mache ich nicht mit“

Stimmt erstmal, ist aber überall so: Ob im Kino, im Theater (gut, das ist stark subventioniert) oder auf dem Konzert – überall kostet der Eintritt Geld, überall gibts Sponsoren und wirtschaftliche Anhängsel, die von der Veranstaltung Gewinn oder zumindest Werbung erwarten. Eine Kritik, die auf jegliche Kultur im Kapitalismus zutrifft, wird exklusiv für den Fußball reserviert. Da sind die (kritischen) Brasilianer schlauer: Sie wollen den Fußball, aber für alle und nicht als Geldmaschine für Großkonzerne und die FIFA. Ihr Kampf ist nicht nur die Verteidigung des sozialen Status Quo, sondern auch der Versuch, ihren Sport nicht einer Schicht reicher Oligarchen zu überlassen.

Stufe 2: „Boah die dummen Prolls mit ihrem Asi-Sport“

Ein beliebter Fehler der postmodernen Linken. Da man keine Konzepte mehr hat, wie man die Leute erreichen kann, spricht man ihnen lieber die Intelligenz ab und lässt sie an den eigenen super-aufgeklärten Maßstäben scheitern: So erübrigt man sich die weitere Befassung mit dem Problem und fühlt sich dabei noch moralisch erhaben. Die größten Dialektiker, die sonst mit Begriffen wie Totalität, Verdinglichung und Basis-Überbau argumentieren, vergessen häufig ihr Grundvokabular, wenn es um Fußball geht und erblicken im runden Leder eine Art mystische Kraft, die die Leute zu geifernden Idioten macht. Als wäre dem Fußball ein zauberhaftes Wesen eigen. Gegenthese: Nicht der Fußball „an sich“ ist dumm, er wird dumm gemacht. Von der FIFA, Großkonzernen und Sendern wie Sky, die aus dem Fußball ein oberflächliches TV-Spektakel machen. Fußball ist wie die Naturwissenschaft: Lebt man in einer Gesellschaft, die lieber Bomben verkaufen will, als Krebs zu bekämpfen, wird nicht viel Gutes dabei herauskommen – und mit dem Fußball ist es ähnlich. In ihm steckt mehr Potenzial, als ihm der Kapitalismus zugesteht.Ballkontrolle

Stufe 3: Der „Party-Patriotismus“

Auch hier geht es um angeblich dumme Prolls, aber auch das nationale Kollektiv. Viele Linke meinen, das Problem der Sehnsucht nach (nationaler) Vergemeinschaftung mit einem Schopenhauer-Zitat über den Nationalstolz – den haben nämlich nur Deppen, die sonst nix können – lösen zu können. Damit kann man sich dann zufrieden geben, oder forscht weiter nach: Führt Fußball automatisch zu Völkerverständigung und Frieden, wie Gauck und die FIFA meinen, oder zu nationalistischen Ausbrüchen und völkischen Mobs? So denken Antideutsche und postmoderne Ideologen. Weder noch. Es ist auch hier eine Frage der Einbettung: Im Kapitalismus wird alles dafür getan, Klassengegensätze hinter Gerede über die Nation verschwinden zu lassen. Das klappt in Brasilien grad nicht so gut, wird hier von Wirtschaft und Politik aber erfolgreich mit gratis Fähnchen, „Du bist Deutschland“ usw. forciert. Die Standortlogik findet so ihren Weg in den Fußball. Zwar ist man recht weit unten in der Befehlskette und wird getreten, aber anstatt zu seinem Recht, kann man so wenigstens noch zu seinem Ausdruck („Ich als Deutscher“) kommen und sich als Teil der unüberschaubar großen Masse von (Export-)Weltmeistern fühlen.
Da hilft nur, nicht vor dem Fußball und den Fahnenschwenkern wegzulaufen, sondern das Gespräch zu suchen: Über Klassengegensätze, Nationalismus und wie gut Fußball und das Leben sein könnten.

Moritz, Bochum

 

 

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