Rostock: In meinem Geschichtsunterricht…

veröffentlicht am: 9 Nov, 2012

Die SDAJ Rostock schreibt auf ihrer Website:

In meinem Geschichtsunterricht lernte ich vieles über den „Ostblock“ und den kalten Krieg, aber vor allem lernte ich viel über die DDR. Ich hörte, dass an ihrer Grenze scharf geschossen wurde, dass eine Mauer quer durch Berlin verlief, dass Kritik am Staat unerwünscht war und dass Kritiker eingesperrt wurden. Außerdem brachte man mir bei, dass an der ökonomischen Lage und Lebenssituation, die Planwirtschaft (aber nicht der Zweite Weltkrieg oder der nachfolgende kalte Krieg) schuld war. Und ich lernte, dass die Sowjetunion und seine Verbündeten als Aggressoren für den eisernen Vorhang verantwortlich waren. Freunde von mir hatten vielleicht einen weniger einseitigen Geschichtsunterricht. So hört man auch hier und da von den sozialen Errungenschaften der DDR wie etwa die Garantie der grundlegenden Lebensmittel und Vollbeschäftigung. Doch nicht selten werden diese im selben Satz relativiert. Da erscheint die soziale Schulbildung als eine „Gleichmacherei“, die Wohnungsbaupolitik als viel zu hässlich und selbst kostenlose Kitaplätze sind nur eine weitere Form von bösartiger Propaganda.

Die Geschichte der BRD liest sich dagegen als eine Aneinanderreihung von Errungenschaften und großartigen Leistungen. Wie es dort damals mit der Gleichstellung der Frau oder der Integration von Behinderten aussah, wird nie gefragt. Das hat natürlich einen Grund. Die Verteidiger des Kapitals sind in keinster Weise an einer kritischen Reflexion ihrer Geschichte interessiert, schon gar nicht, wenn der Vergleich mit einer Alternative möglich ist. Und so greift man zu guten alten Schwarzweißbildern in denen sich die Versagen der geschönten BRD, im Schatten der behaupteten Schrecken seiner Gegner relativieren.

Hier im Osten hat diese Geschichtsschreibung eine besonders antikommunistische Wirkung, weil sie mit dem abstrakten Begriff Sozialismus verknüpft ist. Die DDR stellt sich hier nicht als ein konkreter historischer und Teil einer größeren Gesellschaftsstruktur dar. Wenn von Sozialismus die Rede ist, dann nimmt er die Gestalt dieses einen Staates an. Wer sich hier Kommunist nennt, wird schnell als SED-FunktionärIn angesehen, welche am liebsten die Mauer wieder aufbauen will. Der Geschichtsunterricht liest sich aus Perspektive der Sieger des Kalten Krieges, das bedeutet, die Geschichte taugt ihnen, als Beweis der Unmenschlichkeit oder Unmöglichkeit einer sozialistischen, politischen Perspektive. Und solange wir in einem kapitalistischen System leben, bleibt sie wohl eine Erzählung von bösen Unterdrückern, dem Land der Dunkelheit und einer langen, hohen Mauer.

Nur, wenn damals wirklich alles so schrecklich war, wieso hören sich die Erfahrungsberichte nicht allesamt furchtbar an? Bei einem so repressiven Staat müsste man doch erwarten, alle ehemaligen Bürger erinnern sich dieser Zeit mit Trauern und Bedauern. Aber auf Nachfrage im privaten Rahmen erzählen selbst Geschichtslehrer, von einem erträglichen Leben oder materieller Absicherung. Nur politische Position bezieht niemand.

Mein ehemaliger Philosophielehrer erklärte uns, er unterrichte nicht über Lenin aus Angst vor elterlichen Protest. Und der Biolehrer einer Freundin sagte aus, er dürfe auf Grund seiner Pflichten gegenüber den Schülern nicht mehr über die DDR erzählen, ganz so als gebe es Aspekte der Vergangenheit, welche die historische Wahrheit zu trüben vermögen. Es scheint als hätten viele ehemalige DDR-BürgerInnen ein schlechtes Gewissen, wenn sie Positives vom Osten berichten. Kein Wunder ihnen wurde ja auch lange genug eingeredet, sie hätten eine ideologische Manipulation erfahren. Wer sich nicht nur einseitig an die DDR erinnert, der sei einfach ein dummer, aber gefährlicher Menschenfeind oder aber „ostalgisch“, schwebt also angeblich in einer romantisch verklärten Phantasieerinnerung. Und so sind nur jene zu hören, die dem verschärften Antikommunismus der Weststaaten immer ausgesetzt waren, oder staatliche Repressionen im „real existierenden“ Sozialismus erfuhren.

Auf einer solchen Grundlage ist eine kritische, objektive Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Ostdeutschland vollkommen unmöglich. Und so lässt sich sehr leicht verstehen, dass viele Menschen die DDR völlig ablehnen und sie für kein bisschen Erhaltungs- und Entwicklungswürdig befinden. Kein vernünftiger Mensch würde behaupten im Osten war alles perfekt, aber es reicht schon, einen differenzierten Standpunkt zu vertreten und man wird nicht ernst genommen. Wenn ich Ostdeutschland als totalitär charakterisiere, wird das sehr oft hingenommen, sollte ich aber nur irgendetwas positiv erwähnen, dann muss ich mich zwei Stunden um Kopf und Kragen reden, nur damit mir meine Vernunft nicht dauerhaft abgesprochen wird. So ist verständlich, dass viele Linke die historischen Anknüpfpunkte des vorerst gescheiterten Sozialismus aufgegeben, um die Opposition zur bürgerlich Geschichtsschreibung zu meiden. Es bleibt also weiterhin unsere Aufgabe um eine objektive Geschichtsschreibung zu kämpfen.

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