Auferstanden aus Ruinen

Nach dem Ende der DDR waren die Propagandisten des Kapitals sicher, dass der Sozialismus Vergangenheit ist. Und heute? Von Dr. Hans-Peter Brenner

Als der reale Sozialismus untergegangen war, verkündete der Philosoph Francis Fukuyama: Nun sei das Ende der Geschichte angebrochen. Liberale Demokratie und freie Marktwirtschaft haben sich endgültig durchgesetzt. Fortschritt und Veränderung gibt es nur noch im Kapitalismus, aber nicht darüber hinaus. Der deutsche Arbeits- und Sozialminister, Norbert Blüm (CDU), hielt kurz vor dem Zusammenbruch des Sozialismus eine Rede vor antikommunistisch verblendeten Arbeitern der Lenin-Werft in Danzig. Seine Überzeugung, dass der Sozialismus endgültig Vergangenheit sein würde, fasste er in die Worte: „Marx ist tot, Jesus lebt.“

Und heute? Die Werftarbeiter der „Lenin-Werft“ sind längst – wenn sie nicht schon gestorben sind – Teil des großen Arbeitslosenheeres in Polen. Diese Werft war die „Wiege“ der konterrevolutionären „Solidarnoscz“-Gewerkschaft, nun ist sie fast abgewrackt. So wie fast überall in den postsozialistischen Staaten war über sie die Konkurrenz des Monopolkapitalismus hinweggerauscht wie ein Mähdrescher über ein Kornfeld. So ging es auch der DDR, die zu den zehn größten Industrieländern der Welt zählte.

Wer heute von Leipzig per Bahn nach Magdeburg fährt, muss sich angesichts der zerstörten und stillgelegten Industrieanlagen vor Entsetzen schütteln. Die von Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ stellen sich in weiten Bereichen dar als Industriebrachen. Massenhaft wanderten die Menschen ab, weil sie keine Arbeit mehr fanden. Rund zwei Millionen Ostdeutsche verließen in den zehn Jahren nach der „Wende“ ihre Heimat – vor allem junge und gut ausgebildete Leute.

Inzwischen glaubt niemand mehr, dass die liberale Demokratie für alle Zeiten gefestigt ist. Der Marxismus ist gewissermaßen aus Ruinen auferstanden. Selbst katholische Kardinäle (wie Rainer Marx) und großbürgerliche Zeitungen (wie das Handelsblatt) erklären, dass Marx alles andere als tot, sondern ziemlich aktuell ist. Besonders deutlich wurde diese „Marx-Renaissance“ während der Wirtschaftskrise. Es war einfach zu auffällig, dass sich hier zeigte, was Marx bereits im 19. Jahrhundert bewiesen hatte: Kapitalismus bedeutet, dass zwar in den Unternehmen gewaltige Organisationsleistungen vollbracht werden. Aber auf gesellschaftlicher Ebene herrscht Chaos in der Wirtschaft. Banken brechen zusammen, weil sie faule Kreditpapiere gekauft haben. Staaten stürzen, weil sie zu viele Schulden gemacht haben. Die Wirtschaft ganzer Länder wird zerstört, weil Deutschlands Exportindustrie eine übermächtige Konkurrenz ist. Kapitalismus bedeutet – auch in dieser Hinsicht kann kaum jemand die Aktualität Marx’ bestreiten – heute wieder mehr als in den vergangenen Jahrzehnten eine gewaltige Anhäufung von Reichtum auf der einen, ein gewaltiges Anwachsen des Elends auf der anderen Seite. Denn Kapitalismus bedeutet: Der Reichtum unserer Wirtschaft wird zwar gesellschaftlich produziert. Kaum ein Produkt entsteht, ohne dass in irgendeiner Form tausende Menschen dran beteiligt wären. Aber er wird privat angeeignet. Die Unternehmen gehören einigen wenigen Kapitalisten, ihnen gehören die Profite, sie bestimmen, was mit diesem Reichtum passiert.

Ausbeutung und Umweltzerstörung, Faschismus und Krieg sind die logischen Folgen dieser Produktionsweise, denn der chaotische Kreislauf der Konjunktur zwingt die Unternehmer und ihre Vertreter in den Regierungen zu dem rücksichtslosesten Konkurrenzkampf, zur ständigen Jagd nach maximalen Profiten. Die vielfältigen Widersprüche dieser Gesellschaft lassen sich (unter bestimmten Bedingungen) vorübergehend abschwächen. Aber das führt nur dazu, dass sie umso schärfer wieder aufbrechen. Es sind die Widersprüche des Kapitalismus selbst, die dieses System instabil machen.

Aber über diesen Punkt (wenn überhaupt) kommen die angeblichen Marxkenner in etablierten Zeitungen und Lehrstühlen nicht hinaus. Sie sehen nicht, dass diese Widersprüche auch ihre Lösung in sich tragen, dass der Kapitalismus über sich selbst hinaustreibt. Er hat riesige, hoch entwickelte Unternehmen und eine komplexe Weltwirtschaft erzeugt – und damit die Möglichkeit, die Wirtschaft planmäßig an den Bedürfnissen aller auszurichten. Er hat die Arbeit und die Technik so weit entwickelt, dass die Eigentümer der Konzerne überhaupt nicht mehr nötig sind, um die Betriebe am Laufen zu halten – und damit die Möglichkeit geschaffen, die Banken und Konzerne in gesellschaftliches Eigentum zu überführen. Und er hat dafür gesorgt, dass die arbeitenden Menschen mit ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten und ihrer Organisation diese Wirtschaft in die eigenen Hände nehmen könnten, dass die Arbeiterklasse in den gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu einer Kraft heranwächst, die die Macht des Kapitals brechen und eine Demokratie ohne Ausbeuter und Kriegstreiber, ohne Spekulanten und Karrierepolitiker aufbauen kann. Aber diese Möglichkeit auch zur Wirklichkeit werden zu lassen, das – so heißt es schon in der alten Hymne der Arbeiterbewegung, der Internationale – „können wir nur selber tun“.

Dr. Hans-Peter Brenner

Hans-Peter, stellvertretender Vorsitzender der DKP, hat 1973 an den Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Berlin, Hauptstadt der DDR, teilgenommen und konnte die dort gewonnenen Erfahrungen in eine Broschüre des MSB Spartakus über die DDR einbringen