Frieden & soziale Absicherung

Natürlich war in der DDR nicht alles toll. Für die meisten ihrer BürgerInnen haben aber andere Sachen gezählt.

„Er hat immer das Grosse Ganze gesehen.“

Ellen Schernikaus Sohn Ronald hat 1989 die Staatsbürgerschaft der DDR angenommen. Im September 2014 wurde eine Gedenktafel an dem Haus in der Cecilienstraße 241 angebracht, in dem er in Ostberlin gewohnt hat.

„Ronald war Schriftsteller. Mit 8 Jahren hat er seine ersten Geschichten geschrieben. Kurz vor dem Abi hat er sein erstes Buch veröffentlicht, ein großer Erfolg. Für ihn stand fest, dass er Schriftsteller werden wollte. Die einzigen drei Institute weltweit, an denen Schriftsteller ausgebildet wurden, lagen in sozialistischen Ländern, eines davon in Leipzig. Über diese Zeit in Leipzig hat er seine Abschlussarbeit „Die Tage in L.“ geschrieben, die in der DDR nicht erscheinen konnte. Darüber hat er sich geärgert, genau wie über andere Dinge in der DDR, aber er sagte: „Die Dummheit der Kommunisten halte ich für kein Argument gegen den Kommunismus.“ Er hat immer das große Ganze gesehen. Er wollte in einer Gesellschaft leben, die Zukunft hat. Das war für ihn die Hauptmotivation, bei einem Experiment dabei zu sein. Und die soziale Absicherung: das Recht auf eine Wohnung, das Recht auf Arbeit, das er notfalls auch einklagen konnte. In Westberlin hat er in einer total schlechten Wohnung gelebt, mit Existenzsorgen. Das gab es für Künstler in der DDR einfach nicht.“


Das war eine Errungenschaft

Uli Brockmeyer war seit 1964 Mitglied der FDJ, die er später beim Weltbund der Demokratischen Jugend vertrat

„Die FDJ wurde 1946 als antifaschistischer Jugendverband gegründet, der allen Jugendlichen offenstand. Es war eine Errungenschaft, dass die Jugendlichen der DDR nicht in vielen verschiedenen Verbänden organisiert waren, die je eigene Interessen vertraten, sondern dass die FDJ die Möglichkeit hatte, auf allen Ebenen die Interessen aller Jugendlichen zu vertreten und durchzusetzen. Zum Beispiel durch eine eigene Fraktion in der Volkskammer. Die FDJ musste in Schulen, Unis und Betrieben bei Grundsatzentscheidungen immer gefragt werden. Sie organisierte Freizeitaktivitäten in Jugendclubs, Ferienlagern und vieles mehr, hatte ein eigenes Reisebüro, über das vor allem Auslandsreisen organisiert wurden, in den 80er Jahren auch in fast alle kapitalistischen Länder. Einen Zwang zur Mitgliedschaft gab es nie, dennoch war der Organisationsgrad sehr hoch. Da war so mancher auch bloß aus ‚Pflicht‘, nicht aus Überzeugung dabei. Nichtmitglieder fühlten sich zuweilen ‚ausgeschlossen‘ und auch Nachteile für Nichtmitglieder hat es schon mal gegeben. Gegenbeispiele aber genauso. Einer meiner Mitschüler war gläubig und wurde nie Mitglied, Freunde waren wir trotzdem.“


Was heißt denn Mangel?

Jörg Roesler (73) hat als Professor in der DDR und den USA über die Geschichte der DDR-Wirtschaft geforscht.

„Mit Mangelwirtschaft können – bezogen auf die Versorgung mit Konsumgütern – zwei unterschiedliche Dinge gemeint sein: Im ersten Falle fehlen den Bürgern lebensnotwendige Dinge. In der DDR war das in den Nachkriegsjahren der Fall. Erst Ende der 50er Jahre war der Grad der Versorgung der Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg z. B. beim Pro-Kopf-Verbrauch von Butter, Trinkmilch, Schweinefleisch oder bei heimischen Obst- und Gemüsesorten erreicht bzw. überboten.
Aber einen Mangel anderer Art gab es auch weiterhin: In der Angebotspalette der Verkaufsläden fehlten häufig Dinge, die der DDR-Bürger gern gehabt hätte bzw. die er für diesen oder jenen Zweck benötigte, deren Angebot aber beschränkt blieb, weil es an Devisen mangelte oder an Produktionskapazitäten. Dazu gehörten z. B. bestimmte Rindfleischsorten, Südfrüchte, Bananen, Ausrüstungen für Heimwerker oder Autoersatzteile.
Im Unterschied zur Mangelwirtschaft ersten Grades nahm die zweiten Grades bei gestiegener Kaufkraft und besserer Information über das Angebot in der BRD mit den Jahren nicht ab, sondern in der Wahrnehmung vieler DDR-Bürger eher zu. Anders als beim Mangel an lebensnotwendigen Produkten zeigte, dieser Mangel die Knappheit einzelner begehrter Güter an, aber nicht einen allgemeinen Gütermangel.“


„Im für die ddr? Klare Sache!“

Arnold Schölzel (66) arbeitete als inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die Staatssicherheit – aus Überzeugung. Heute ist er Chefredakteur der Tageszeitung Junge Welt.

„Die Idee hatte ich schon, bevor ich als 19jähriger 1967 von der Bundeswehr in die DDR desertierte: Nach Ostberlin fahren und fragen, ob Hilfe gebraucht wird. Ich war durch die Kindheit und Jugend im Wiederaufrüstungsstaat, die leitenden Altnazis und die Bekämpfung der Revolution in Kuba, in Algerien, in Vietnam durch die westliche Wertegemeinschaft jedenfalls vorbereitet auf die Idee, für die DDR zu arbeiten. Hinzu kam noch die Unverschämtheit, Wehrpflichtige in eine Armee zu stecken, die im Geiste der Wehrmacht und mit Wehrmachtsoffizieren an der Spitze Kanonenfutter liefern sollte – da half nur eine sozialistische Staatsmacht. Als ich 1972 angesprochen wurde, für das Ministerium für Staatssicherheit zu arbeiten, hatte ich nichts dagegen – im Gegenteil. Die Genossen interessierten sich nie für meinen Studien- oder beruflichen Bereich, wurden aber aufmerksam, als ich in eine Gruppe von Mitabsolventen eingeladen wurde. Sie arbeiteten konspirativ, hatten Rückhalt in einigen DDR-Institutionen und nahmen rasch Kontakt nach Westberlin auf, zu westlichen Geheimdiensten. 1977 wurde die Gruppe mit meiner Hilfe aufgelöst. Ihren Berufsweg setzten die meisten dieser Leute fort, standen aber folgerichtig mit an der Spitze der Konterrevolution von 1989. Der Import von Massenarbeitslosigkeit in die DDR und die sich abzeichnenden deutschen Kriege interessierten sie wesentlich weniger als persönliches Herumtrampeln auf DDR-Geschichte und MfS. Das gilt bis heute.“


„Ich hätte nicht in den Westen gemuSst.“

Wie war das mit der Reisefreiheit? Andreas (49) erzählt.

„In meinem Bekanntenkreis haben die Wenigsten gesagt, sie wollen auch mal in den Westen fahren. Da haben wir gar nicht drüber geredet – was willst du über ungelegte Eier reden. Im Westen, wenn das erlaubt gewesen wäre, hätten die ja auch nicht wegfahren können, weil sie kein Geld hatten. Nur einen Bekannten, den hat gestört, dass er nicht so viel Geld umtauschen durfte, wenn er nach Ungarn gefahren ist, und die aus dem Westen, die machen den Maxe da. Am Anfang war es ja noch schwierig, sogar für die Rentner, rauszukommen. Aber mit der Zeit wurde das immer lockerer. Mit der Reisefreiheit, das hat vielleicht einen Teil der DDR-Bürger gestört, aber man muss sich doch mal anschauen, wo wir hinreisen konnten – nach Ungarn, in die Sowjetunion, ich war mal vier Wochen zum Studentenaustausch in Bulgarien. Und im September 89 war ich ganz offiziell im Westen, da habe ich meinen Opa zum Geburtstag besucht. Als dann die Wende kam, das war was anderes, da sind sie alle in den Westen gefahren und haben sich ihre 100 Mark abgeholt, ob sie es nun nötig hatten oder nicht. Dann sind sie wieder zurück. Ich bin dann 1996 in den Westen, weil ich Arbeit brauchte. Mein Traum war das nicht, ich wäre auch zu Hause geblieben, wenn ich Arbeit gefunden hätte.“