Der Lügenberg

In einer Studie der Freien Universität (FU) Berlin von 2008 wurden Jugendliche aus verschiedenen Bundesländern nach ihrem Wissen über die DDR befragt. Die Studie ergab, dass gerade SchülerInnen aus Bayern ein „gutes“, d.h. erwünschtes Wissen über die DDR haben. Dabei wussten 40% (Bayern 21 %, Brandenburg 7%) der Befragten nicht, in welchem Jahr der Mauerfall war… Die Studie besagt auch, dass sich die SchülerInnen die DDR als Diktatur ansehen aber dennoch mit ihrem Sozialsystem sympathisieren.

Informationen über die DDR hatten die SchülerInnen von Verwanden, Bekannten und aus den Medien. Aber wenn man sich auf die Mainstream-Medien verlässt, kommt man schnell zu der Überzeugung, dass fast jeder bei der Stasi war, jeder zweite im Stasi-Knast saß und alle BürgerInnen sich gegenseitig misstraut haben. Es ist nur merkwürdig, dass viele DDR-BürgerInnen sich viel mehr an die Solidarität, das Miteinander, den Zusammenhalt der Bevölkerung erinnern. Aber diese Erinnerungen, diese Wahrnehmungen der Menschen, die in der DDR gelebt haben, sind für die Macher der Studie anscheinend „falsch“. Wie sonst ist es zu erklären, dass junge Menschen in Bayern angeblich mehr wissen als in Brandenburg, wo sie von ihren Eltern und Großeltern erzählt bekommen, wie das Leben in der DDR war?

Wenn ich meinen Verwandten darüber spreche, höre ich Verschiedenes. Von schönen gemeinsamen Urlauben für wenig Geld ist da die Rede. Große, geräumige Wohnungen für große Familien. Bildung je nach eigenem Bedarf. Ausbildung für alle. Keine Angst vor Arbeitslosigkeit. Und ich höre von Müttern, die ohne Stress und Angst um ihr Kind Vollzeit arbeiten gegangen sind. Das alles gab es nicht nur für Parteimitglieder, das war Standard. Natürlich höre ich dann auch von den Bananen, die es nur einmal in der Woche gab. Von den Autoteilen, auf die man lange warten musste. Aber: Kein Kind lebte in Armut oder musste hungern, Nachbarschaftshilfe und Transport zur Arbeit konnten immer organisiert werden. Wo tauchen diese Erfahrungen auf?

Diana, Essen

Diana (28) kommt aus dem Erzgebirge. Nach der „Wende“ erlebte sie, wie die Textilfabrik in ihrem Ort verkam. Von ihren fünf Tanten wurden 1990 vier arbeitslos und schleppen sich seitdem von einem miesen Job zum nächsten.

 

Literaturempfehlung

Ralph Hartmann: DDR unterm Lügenberg
Berlin: edition ost, 2009, 9,95 Euro.
Hartmann widmet sich den typischen Stichworten, die immer wieder in der antikommunistischen Propaganda über die DDR fallen, wie z.B. verordneter Antifaschismus, marode Wirtschaft, drohender Staatsbankrott oder Erziehungsdiktatur. Hartmann greift diese Stereotype auf und fragt nach ihrem Wahrheitsgehalt.

Jörg Roesler: Geschichte der DDR, Köln
Papyrossa Verlag, 2013, 9,90 Euro.
Roesler geht von einem marktsozialistischen Standpunkt an die Geschichte der DDR heran, für ihn stellt sich die Frage, wie sich Plan und Markt vereinbaren lassen – dementsprechend sieht er den Bruch mit Ulbrichts Wirtschaftsreformen der 60er Jahre als Anfang vom Ende der DDR. Wenn man dies berücksichtigt, bietet er eine knappe Einführung in die DDR-Geschichte jenseits der Vorurteile des bürgerlichen Mainstreams und ordnet sie ein – sowohl in die Beziehungen zur Sowjetunion als auch in die Systemauseinandersetzung, in der die DDR eine besondere Rolle spielte.

Mary Fulbrook: Ein ganz normales Leben. Alltag und Gesellschaft in der DDR,
Darmstadt: Primus Verlag, 2008, 29,90 Euro
Die britische Historikerin schreibt von einem bürgerlichen, aber dennoch erfrischend vorurteilsfreien Standpunkt aus über das Alltagsleben in der DDR jenseits der üblichen antikommunistischen Dämonisierung. Auch wenn sie wirklich nicht wohlwollend auf die politischen Verhältnisse in der DDR blickt, kommt sie doch, im Gegensatz zu so vielen ihrer Kollegen, zum Ergebnis, dass „ein ganz normales Leben“ eben auch in der DDR

Horst Schneider: Das Gruselkabinett des Dr. Knabe(lari),
Berlin: Spotless, 2011, 9,95 Euro.
Im Film „Das Cabinet des Dr. Caligari“ aus den 1920ern führt der Doktor die Besucher seines Kabinetts mit geschickt verzerrten Kulissen und irreführender Beleuchtung hinters Licht. Der ostdeutsche Historiker Horst Schneider zeigt in seinem Buch auf, wie es Dr. Hubertus Knabe in der Gedenkstätte Hohenschönhausen dem Dr. Caligari nachtut. Mit Täuschungen und Lügen zieht dieser Doktor mit offiziellen Weihen gegen die DDR zu Felde. Glauben sollte man ihm dabei nicht. möglich war und beschreibt kenntnisreich, wie es ausgesehen hat.

Romane

Stefan Heym: Fünf Tage im Juni, München: btb, 2005, 9,99 Euro.
Der Parteisekretär fragt den Gewerkschaftsfunktionär Witte: „Wirst du die
Erhöhung der Arbeitsnorm unsern Arbeitern gegenüber vertreten oder nicht?“ Damit steht dieser mitten in dem Konflikt, der zu den Ereignissen des 17. Juni führte. Heym erzählt von den Versuchen, die höheren Normen von oben durchzudrücken, von der Unzufriedenheit der Arbeiter und davon, wie diese Fehler von den Gegnern des Sozialismus für den konterrevolutionären Aufstand vom 17. Juni 1953 ausgenutzt wurden.