Wählen alleine reicht nicht, dieses Land braucht Widerstand

veröffentlicht am: 6 Okt, 2017

Nach der Wahl: Wie lässt sich der parlamentarische Rechtsruck erklären und wer trägt die Verantwortung dafür? Interview mit Olaf Harms, Spitzenkandidat der Hamburger Kommunisten und Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di in Hamburg.

POSITION: Vor ein paar Monaten war das ganze Land im Schulz-Wahn, von „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ war die Rede. Warum ist die SPD in den letzten Monaten wieder so heftig abgestürzt und wäre ein Kanzler Schulz denn eine bessere Wahl gewesen?

Olaf: Ich habe den Schulz-Hype nicht verstanden. Aber er stand natürlich für eine Wechselstimmung und ging kaputt, weil Schulz und seine SPD eben nicht glaubhaft für den Wechsel standen. Im Gegenteil. Es reicht das Stichwort Agenda 2010, die für den sozialen Abstieg so vieler steht. Schulz befand im Bundestagswahlkampf: Vielleicht hier und da ein bisschen korrigieren, aber im Grunde richtig. „Weg mit Hartz IV“ war für ihn kein Thema. Wer sollte denn glauben, dass die SPD plötzlich für soziale Gerechtigkeit steht, während sie in mehreren Regierungen eben diese zerstört hat?

Die SPD dieses Landes hat schon lange ihre Bodenhaftung zur Arbeiterklasse verloren, und das nicht erst seit Einführung der Agenda 2010 mit den Hartz-Gesetzen. Das ist auch der Grund, warum ein Kanzler Schulz, der im EU-Parlament unter anderem für das Freihandelsabkommen CETA eingetreten ist, keine bessere Alternative gewesen wäre.

In einer Presseerklärung habt ihr geschrieben, dass schon seit den 1980er-Jahren ca. 13 Prozent der Westdeutschen ein in sich geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, welches nun mit dem Wahlerfolg der AfD zum Vorschein käme. Muss man nicht vor allem davon ausgehen, dass viele Leute ihre Stimme an die AfD als Denkzettel an die „alternativlose“ Regierungspolitik verstehen?

Olaf: Da habt Ihr recht, wir wollten mit diesem nicht ganz glücklichen Vergleich die Rechtsgefahr weder nach dem Motto „das war schon immer so“ verharmlosen und schon gar nicht alle AfD-Wähler in die faschistische Ecke stellen. Sie wollten zu Recht die große Koalition abstrafen und hofften zu Unrecht das durch die Wahl der AfD tun zu können. Das Wahlergebnis drückt damit die große Widersprüchlichkeit im Massen-, aber auch in Klassenbewusstsein aus und zeigt uns drastisch unsere Verantwortung als Partei der Arbeiterklasse auf.

Die direkte Verantwortung für den Rechtsruck trägt die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD, die für ihre Politik im Interesse der Konzerne abgestraft worden ist. Sie ist Verursacherin der sozialen Misere im Land und der realen Ängste vor dem sozialen Abstieg. Abgestraft wurde aber auch die Linkspartei im Ostdeutschland, die die Menschen dort ebenso enttäuscht hat. Sie hat gezeigt, dass sie für das Mitregieren bereit ist, den Sozialabbau mindestens mit zu verwalten.

Die DKP war mit ihrem Wahlantritt nicht auf Stimmen aus, sondern suchte die Diskussion mit Freunden und KollegInnen, um selber für die eigenen Interessen aktiv zu werden und um sich als Partei zu stabilisieren und bekannter zu werden. Wie sehr ist euch das gelungen?

Olaf: Unser Ergebnis mit rund 12.000 Stimmen ist viel zu niedrig und kann nicht befriedigen. Es ist aber auch die Quittung dafür, dass wir seit 1989 zu keiner Bundestagswahl eigenständig angetreten sind. Mit unseren Kernthemen Frieden, Arbeit und Solidarität haben wir bewusst Alternativen für eine andere Politik aufgezeigt, und insbesondere deutlich gemacht, dass es nicht die Geflüchteten sind, die Schuld haben an Wohnungsmangel, maroden Schulen und fehlender Infrastruktur. Wir haben deutlich gemacht, dass Verbesserungen auf der Straße erkämpft werden müssen und das Wählen allein nicht reicht, dass dieses Land Widerstand braucht.

Dort, wo die DKP aktiv im Wahlkampf war haben wir neue UnterstützerInnen gefunden, vieles gelernt und an Kraft gewonnen. Viele Gruppen konnten sich stabilisieren und ihr Umfeld erweitern. Wir sind als KommunistInnen selbstbewusst auf FreundInnen, KollegInnen, NachbarInnen zugegangen, aber auch auf die BürgerInnen in unseren Stadteilen und haben gesagt: Mit uns könnt ihr rechnen. Daran werden wir anknüpfen.

Wird sich nach der Wahl und durch eine neue Koalition etwas für unsere Arbeit als Kommunisten ändern?

Olaf: Nicht grundsätzlich, aber eine mögliche Jamaika-Koalition kann noch aggressiver agieren. Durch den  Druck von rechts durch die AfD-Fraktion wird sie unempfindlicher für Druck der Straße und der Gewerkschaften. Die müssen ihre diplomatische Zurückhaltung gegenüber dieser Partei des Sozialabbaus aufgegeben und begreifen, dass nur aktives Handeln die Chance für Verbesserungen bringt. Vor dem Hintergrund von Rentenklau und Altersarmut oder den Folgen der Digitalisierung der Arbeit sind sie gefordert, ihre Mitglieder in den Betrieben und bei Tarifauseinandersetzungen zu aktivieren. Das wollen wir KommunistInnen stärker unterstützen, zum Beispiel aktuell beim Kampf der Beschäftigten im Gesundheitswesen für mehr Personal.

Wir werden weiter mit unserem Sofortprogramm für Frieden, Arbeit und Solidarität auf der Straße sein und zeigen, wo das Geld für Bildung und ein Gesundheitswesen, das Patienten und Beschäftigte nicht krank macht, zu holen ist: aus dem Militärhaushalt und bei den Reichen. Wir werden uns weiter für eine Millionärssteuer und eine Abkehr vom Ziel, den Rüstungshaushalt auf 2 % des BIP zu steigern, einsetzen. Und wir werden weiterhin das Monopolkapital als Hauptgegner benennen und zum gemeinsamen Kampf aufrufen.

Das Interview führte Mark, München

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