„Aufwertung für wen?“: Verdrängungsprozesse in einem alten Arbeiterviertel

veröffentlicht am: 2 Apr, 2011

Ein Sommer in Wilhelmsburg

19. Juni, 11:00 auf dem Stübenplatz in Hamburg-Wilhelmsburg. Die Sonne scheint. Ich wohne jetzt schon 4 Jahre in diesem Stadtteil, und habe endlich Zeit gefunden, mal einen geführten Stadtrundgang zu machen. Ich bin gespannt.

Der Stübenplatz liegt im Reiherstiegviertel, einem alten Arbeiterviertel und wir machen eine Runde durch Straßen mit schönen, aber zum Teil etwas heruntergekommenen Altbauten. Schon immer war Wilhelmsburg durch Zuwanderung aus verschiedenen Ländern geprägt. Viele fanden Arbeit im Hafen und wohnten hier im Viertel. Das sieht man auch heute: in einigen Straßenzügen liegt der Anteil des durch Migration geprägten Teils der Bevölkerung bei über 70 Prozent. Heute sind allerdings viele der ehemaligen HafenarbeiterInnen arbeitslos. Durch Rationalisierungen in den Hafen- und Logistikbetrieben gingen viele Arbeitsplätze verloren. Seit Ende der 70er Jahre hat sich deshalb dieses baulich besonders schöne Hamburger Viertel immer stärker zu einem Armutsgebiet verwandelt. Nicht nur die Erwerbslosigkeit ist hier besonders hoch – mittlerweile sind 26 Prozent der Bevölkerung abhängig von Sozialleistungen. Wilhelmsburg wurde außerdem vor allem als eine Mülldeponie und Verkehrsdrehscheibe für die Hafenindustrie betrachtet, weshalb Lärm und Gestank die Lebensqualität an vielen Orten hier erheblich verschlechtern.

„Sprung über die Elbe“

Das soll sich jetzt aber angeblich ändern, höre ich den Guide sagen. Wilhelmsburg ist in den Fokus der Politik gerückt: „Sprung über die Elbe“ heißt der stadtentwicklungspolitische Slogan, unter dem sich hier alles verbessern und der Stadtteil aufgewertet werden soll. Mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) und der Internationalen Gartenbauausstellung (IGS) sind für 2013 gleich zwei Mammutprojekte geplant, die diesen Aufwertungsprozess vorantreiben sollen.

Geplanter IGS-Eingangsbereich

„Aufwertung für wen?!“ Höre ich den jungen Typen neben mir grummeln. Ich bin neugierig. Als wir weitergehen kommen wir ins Gespräch. Martin heißt er. Er wohnt auch hier und ist seit einiger Zeit im Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU) aktiv, der sich kritisch mit dem Aufwertungsprozess auseinandersetzt. Es ginge der Politik überhaupt nicht darum, die Lebenssituation der Menschen hier zu verbessern, denn dann würde sie ja wohl eher in sozialen Wohnungsbau und Infrastruktur investieren anstatt in die IBA. Die IBA – übrigens zu 100 Prozent in städtischem Eigentum – hat nämlich einen Etat von 100 Millionen Euro und baut davon keine einzige Sozialwohnung. Sie baut davon überhaupt nichts. Sie ist eher so ein Think Tank, der den Gesamtprozess der städtebaulichen Maßnahmen im Rahmen der Bauausstellung steuert. Von ihren 100 Millionen soll sie ein investitionsfreundliches Klima schaffen und Investoren für die von ihr geplanten Projekte finden. Die Projekte werden dann hauptsächlich von den Investoren finanziert. Die städtischen Flächen, auf denen gebaut wird werden dafür natürlich auch verkauft.

Nur so nebenbei: an die SAGA GWG, die Hamburger Wohnungsbaugesellschaft, wurde seit 2005 kein einziges Grundstück mehr verkauft und die Anzahl von Sozialwohnungen ist von 150.000 im Jahr 2000 auf 105.00 vor zwei Jahren gesunken.

KünstlerInnen als Pioniere

Unsere Gruppe geht durch einen kleinen Park, direkt am Kanal gelegen. Gegenüber kleine Hafenindustriebetriebe und ein Kulturzentrum. Hier sind die Veringhöfe. Bisher kannte ich sie nur als einen Ort, an dem große Hochzeiten oder Techno-Partys gefeiert wurden und am Sonntag musikalischer Gottesdienst zu hören war. Leider schon sehr heruntergekommen das Gebäude – wahrscheinlich war es deshalb günstig zu mieten… Jetzt ist gerade eine Ausstellung drin und vor der Tür steht eine IBA-Informationssäule. Hier soll eine „Künstler-Community“ einziehen. Schon jetzt sind KünstlerInnen eingeladen, die Räume zu nutzen und der Öffentlichkeit zu zeigen, dass hier laut Vorstellung der IBA ein kreatives Zentrum entstehen soll. Im Moment muss noch keine Miete bezahlt werden. Wenn nächstes Jahr die alten Gebäude abgerissen und dafür neue gebaut werden, ändert sich das bestimmt.

Martin erzählt mir, dass dies die Strategie der IBA ist: sie stößt Projekte an, die das Image vom Viertel verbessern sollen. Gerade KünstlerInnen sind häufig die sogenannten Pioniere. Sie suchen sich Orte, wo die Miete günstig ist und machen dann den Ort durch ihre Arbeit interessant, so dass der auf einmal „in“ ist. Das nutzt die IBA ganz bewusst, schiebt solche Prozesse selbst an und vermarktet das ganze dann noch.
Der Mietpreis für Altbauwohnungen hier im Viertel ist übrigens schon von 5,70 auf 7,30 Euro pro Quadratmeter gestiegen.

Der Schein trügt

13. August. Ein Freitag. Wieder schönster Sonnenschein. Dieses Wochenende ist das Dockville-Festival – ein riesiges Musikfestival mitten in Hamburg. Und zwar in Wilhelmsburg, mitten in der Romantik der Hafenindustrie, keine 20 Minuten vom Bahnhof entfernt und nur eine Viertelstunde von mir zu Haus. Ich entschließe mich zu einem kleinen Spaziergang, um mir das ganze Spektakel mal anzusehen. Schon weit vor dem Eingang stapeln sich die Leute quasi auf der Straße. Die LKWs aus dem Hafen kommen nicht mehr durch und der Logistikbetrieb auf der anderen Straßenseite hat Security engagiert, um sein Gelände vor parkplatzsuchenden Festivalbesuchern zu schützen.

Ich wundere mich, wie schnell das geht. Die Strategie der IBA scheint aufzugehen. 2007 war das erste Dockville. Mit etwa 5000 Gästen war es für Wilhelmsburg auch schon ziemlich groß – aber kein Vergleich zu diesem Jahr mit insgesamt 20.000 Gästen. Und dabei ist das Festival nicht das einzige Instrument, mit dem Wilhelmsburg vermarktet wird. Seit 2007 gibt es jedes Jahr den IBA-Kultursommer mit verschiedensten Kunst- & Kulturprojekten auf der ganzen Insel. Die Kultursenatorin sagte dazu: „Die Einbindung von Künstlern gibt der Stadtentwicklung wichtige und bereichernde Impulse.“ Ja klar: sie locken viele BesucherInnen her, geben dem Stadtteil ein kulturelles Image und lassen vergessen, dass es hier immer noch sehr viel Arbeitslosigkeit und Armut gibt.

Schöne neue Welt

18. September. Es regnet in Strömen. Ich besuche eine kleine Ausstellung im neugebauten Pavillon direkt bei mir um die Ecke. Anfang des Monats wurde der Pavillon mit viel Pomp und wichtigen Leuten von der IBA eröffnet. Die Ausstellung befasst sich mit dem Viertel hier, welches gerade komplett saniert wird. Die ganze Straße ist wie ausgestorben, da die BewohnerInnen der SAGA-Häuser für die Sanierung umquartiert wurden. Ich unterhalte mich mit dem Betreuer der Ausstellung. Wie sich das Viertel und ganz Wilhelmsburg wohl in den nächsten Jahren verändern wird. Die MieterInnen der SAGA hätten alle Rückkehrrecht und der Quadratmeterpreis ihrer Wohnungen stiege nur um ein paar Cent, sagt er. Trotzdem kommen nur etwa 20 Prozent zurück. Und der Rest? Die meisten wohnen jetzt in den Hochhaussiedlungen in Kirchdorf-Süd oder Neuwiedenthal am Rand der Stadt. Und hier? „Tja, Neuvermietungen. Leute aus´m Norden wahrscheinlich.“ beschreibt er die Veränderung. Aber das wäre doch auch gar nicht so schlecht, dann kämen auch mal ein paar Leute her, die ein bisschen mehr Geld als Hartz IV hätten. Und damit hätten kleine Geschäfte, Cafés und ähnliches hier auch endlich mal Überlebenschancen – die Veränderungen seien doch auch für die Leute hier gut. Naja, wer dann noch hier ist und sich das leisten kann. Nur ein paar Minuten von hier wird durch IBA und IGS ein neuer Park geschaffen, in dem schicke Neubauten mit Eigentumswohnungen entstehen. Mit den künftigen BewohnerInnen wird sich sicher auch das Umfeld ändern – auf ihren Geldbeutel zugeschnitten versteht sich.

Schöne neue Welt, denke ich. Und hoffe, dass ich nicht selbst bald wieder umziehen muss.

Jella, Hamburg

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